NZZ am Sonntag | 10. November 2024

WENN EINE AMPEL NICHT FUNKTIONIERT, GILT VORFAHRT FÜR RECHTS!

Christian Lindner, der Florian Silbereisen der FDP, gefeuerter Finanzminister, geschasster Schatzmeister, war einst Posterboy der Liberalen.

Christian Lindner, der Florian Silbereisen der FDP, gefeuerter Finanzminister, geschasster Schatzmeister, war einst Posterboy der Liberalen. Er hätte Potenzial beim Dating in der woken Gen-Z-Bubble. Diese vergibt auf Social-Media-Plattformen jeweils Punkte, ein perfect Match gilt als eine 10/10. Ein Minus gibt es für unsensibles Verhalten. Pluspunkte werden mit grünen, Alarmsignale mit roten Flaggen versehen. Nach einem Date mit Lindner wäre zu lesen: «Er wäre eine 10/10, looks cute, gehört einer Minderheit an, green Flag für seine polyamore Regenbogen-Koalition, wo er, wow, den Haushalt schmeisst. Aber er will beim Date das Essen von der weniger reichen Person bezahlen lassen: Instant red Flag!»

Bei den diversen sexuellen Ausrichtungen LGBTIQAplus würde er wohl das Plus wählen.

Zeitgleich mit der Wahl des orangen Riesen in den USA wurde Lindner entlassen. Zu sehr habe er nur für Superreiche politisiert, statt für die gesamte Nation. Deutschland hat sich trumpiert. Getäuscht. Verwählt. Bei der Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen fehlte die breite Mitte. So heisst in der Schweiz die entsprechende Partei, diese ist allerdings eher schmal. Und orange, wie die mittlere Farbe bei einer Ampel eigentlich sein sollte.

Dass in Deutschland Gelb die Farbe der Liberalen ist, scheint unverständlich für uns in der Schweiz. Die FDP verspricht nicht das Gelbe vom Ei, sondern das Blaue vom Himmel. Der Trickle-down-Effekt besagt, Reichtum sickere nach unten wie das Restwasser am Grimsel-Staudamm. Am Schluss lande es beim einfachen Volk. Gleichzeitig gibt es eine fast grössere, unbemerkte Umverteilung von unten nach oben, wenn das Sünneli scheint. Unternehmen profitieren von Arbeitskräften und Infrastruktur, bekommen aber Steuergeschenke. Die breite Mitte muss bezahlen. Superreiche und Grosskonzerne sind so gesehen wasserblaue Speicherstauseen.

Gekränkt bemerkte einst eine Liberale, ich würde die FDP selten thematisieren, denn selbst humoristisches Bashing verstärkt die Publizität. Namedropping ist der Trickle-down-Effekt der Satire. Doch die FDP ist eine kleine Randgruppe, eine schützenswerte Minderheit. Ich trete nicht gerne nach unten. FDP-Bundesrat Ignazio Cassis hat die Aura eines ausgesetzten Haustiers. Man möchte ihn füttern, streicheln und zweimal täglich fürs Gassigehen an die Leine nehmen, um ihn abends auf ein geblümtes Sofa zu betten.

Unsere Finanzministerin Karin Keller-Sutter hingegen scheint kühl wie ihr blauer Lidschatten, man kann sich nicht vorstellen, dass sie so von der Bundespräsidentin Viola Amherd entlassen werden könnte. Immerhin hier haben wir an der Spitze eine Gemeinsamkeit mit den USA: Orange ist Trump(f).

Die rote Signalfarbe des Arbeiterkampfes hingegen wurde inzwischen auch bei uns durch das Korrektur-Rot des Lehrpersonals ersetzt. Längst sind es nicht mehr einfache Angestellte in Fabriken, sondern Lehrkräfte, Beamte und Kulturschaffende, welche der Sozialdemokratie verpflichtet sind. Statt revolutionär zu kämpfen, stellen sie rote Ampeln auf und regulieren das Zusammenleben. Nächstenliebe und Solidarität werden per Gesetz verordnet. Ob wirklich Herzblut dabei ist, bleibt fraglich. Doch das Bekenntnis zur Sozialdemokratie macht Rot zur ehrlichsten Farbe auf der politischen Palette. Im Grunde kommt es einem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit gleich. Wer SP wählt und rot stimmt, sagt damit aus: «Ich bin politisch ein Gutmensch, um zu kompensieren, dass ich privat ein Ars*hloch bin.»

Im Gegensatz dazu leben Grüne in der Schweiz meist auch privat so nachhaltig, dass Höhenflüge selten sind. Für die Vielfliegerei gibt es hierzulande die Grünliberalen, hellgrün mit blauem Punkt.

Wir drehen uns basisdemokratisch im Farbkreis, einem Kreisel, in dem wir oft einige Runden hängenbleiben, bevor wir uns für eine Richtung entscheiden. Ein Land von Richtern und Henkern.

Unsere Nachbarin, die Nation der Dichter und Denker, scheint aber nicht mehr sicher zu lenken. Kein Wunder, hat die «Ampel» versagt. Eine Ampel ist nicht nur Exekutive, sie ist auch Gesetz! Nur eine Farbe darf leuchten, damit eine Ampel funktioniert. Gilt nun das Rot, dessen Regulation oft Stillstand bedeutet? Gilt das progressiv vorangehende Grün? Oder schauen wir mal? Zum Beispiel aufs Geld mit Gelb?

Die Genz-Z würde sagen: Diese Ampel sendet Mixed Signals.

Mit Schwarz, Rot und Gold hat sich Deutschland sogar eine Art Ampel auf die Flagge geschrieben. Da könnte es sich doch ein Beispiel nehmen an seinen deutschsprachigen Nachbarländern. Dies sind zwar beide red Flags. Nur hat Österreich ein dickes Minus, die Schweiz hingegen ein fettes Plus.

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Thomas Gottschalk fasst Frauen rein dienstlich

Thomas Gottschalk sagte: «Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst». Das ist der Grund, weshalb ich die Woke-Bewegung hasse. Kaum sind wir Frauen in Positionen, in denen wir Männer rein dienstlich anfassen könnten, gilt dies als übergriffig. Danke für gar nichts.*

Thomas Gottschalk sagte: «Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst». Das ist der Grund, weshalb ich die Woke-Bewegung hasse. Kaum sind wir Frauen in Positionen, in denen wir Männer rein dienstlich anfassen könnten, gilt dies als übergriffig. Danke für gar nichts.*

Thomas Gottschalk relaitivert im Interview mit Annabelle:

„Es tut mir Leid, diese Wette habe ich verloren und mein Wetteinsatz ist Reue, Einsicht, Busse, Wiedergutmachung.

Erfolgreiche Männer fühlten sich damals wie Gott, Schalk und Witz lag vor allem darin, über die Grenzen zu gehen.

Wir redeten uns sogar ein, dass die Frauen es geil fanden, wenn ein 30 Jahre älterer Moderator sie betatschte. Unser privates, übergriffiges Vergnügen erklärten und überhöhten wir zur dienstlichen Pflicht.

Keinen Moment versuchten wir, uns in die Frauen hinein zu versetzen, höchstens ganz wörtlich, mit einem ganz, ganz kleinen Teil von uns.

Wir benahmen uns komplett daneben, glaubten, Witze auf Kosten von Minderheiten oder marginalisierten Gruppen zu machen, sei besonders frech und originell, so schien der Zeitgeist zu sein.

Es waren aber auch damals schon nicht alle erfolgreichen älteren, weissen Männer so. Es hätte Vorbilder gegeben, echte Gentlemen, wir haben sie absichtlich ignoriert, weil wir uns den Spass nicht verderben lassen wollten.

Ich habe mich schuldig gemacht und einfach um Entschuldigung zu bitten, reicht wohl nicht:

  • Ich werde das aufarbeiten müssen, an mir arbeiten müssen, wenn nötig auch Konsequenzen auf mich nehmen, damit es in Zukunft nicht mehr als normal gilt, sich übergriffig zu verhalten.
  • Ich werde den Frauen und anderen Betroffenen zuhören und sie ernst nehmen.
  • Ich werde aufhören, mich und meine verletzten Gefühle des alten weissen Mimimi-Mannes in den Vordergrund zu drängen, und stattdessen lieber anderen Menschen die Plattform lassen.
  • Journalistinnen und Reporter sollen lieber diverse, jüngere Künstlerinnen und VIPs interviewen, statt mich.
  • Mein Gesicht gehört nicht mehr auf die Covers, genauso wie meine Hände nicht mehr auf die Knie von jungen Frauen gehören.
  • Statt NACHDENKEN vor dem Sprechen, werde ich VORDENKEN und trotzdem nicht sprechen. Es gibt andere Vordenkerinnen, die das besser machen als ich.
  • Wetten, dass ich das hinkriege.
  • Topp, die Wette gilt.“

Du hast geglaubt, dass er das gesagt hat? Willkommen bei „Verstehen Sie Spass?“!

*Meine Aussage weiter oben ist natürlich ein Witz! Wir Frauen dürfen Männer schon lange rein dienstlich anfassen. Als Krankenschwestern, als Alten-Pflegerinnen, als Masseuse, als Nu}}en, als Pedikürtisanen und in anderen unterbezahlten Berufen. Die Männer sind verständlicherweise eifersüchtig, dass sie zum dienstlichen Anfassen einen gut bezahlten und angesehenen Beruf ergattern müssen.

Immerhin durfte unsere Bundespräsidentin Viola Amherd an der Olma ein Ferkel in den Arm nehmen. Sie habe danach gesagt: «Ich habe die Sau rein dienstlich angefasst.» Dem Ferkel war es noch weniger wohl als den angefassten Frauen. Es wusste, in der Schweiz landet man als Schwein am Schluss immer Am Herd.

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NZZ am Sonntag | 12. Oktober 2024

Binge-Watching, Binge-Eating und Bingo-Politik, bis man 3satt ist!

Binge Eating, unkontrolliertes Essen, war einst Nebenwirkung verregneter Fernsehtage. Die Spannung von Krimis ertrug ich nur mit einer knisternden Tüte. Der Fahnder hatte Zweifel, ich hatte Chips. Werbepausen boten Zeit für den Gang zum Kühlschrank, bis man mehr als satt war.

Binge Eating, unkontrolliertes Essen, war einst Nebenwirkung verregneter Fernsehtage. Die Spannung von Krimis ertrug ich nur mit einer knisternden Tüte. Der Fahnder hatte Zweifel, ich hatte Chips. Werbepausen boten Zeit für den Gang zum Kühlschrank, bis man mehr als satt war.

Mal zappte ich versehentlich zu einem Mittelalter-Thriller auf ARTE mit investigativem Mönch als Helden. Ein wahrer Hero. Ich rief: „Der Name der Dose!“ und verschlang Büchsen-Ravioli, um Finger und Mund zu beschäftigen. Mal landete ich beim Thementag „Agenten und Spione“ und erspähte neben dem leider leeren Kühlschrank ein tröstendes, geröstetes Toastbrotfrühstück. Ein Quantum Toast. Am Thementag „Wild West“ futterte ich beim Spaghettiwestern als Kau-Girl die Reste von gestern. 3sat betrieb kulturelle Resteverwertung statt Foodwaste, ich tat dasselbe.

Manchmal flüsterte mir Derricks emotionslose Stimme ins Ohr: „Harry, hol schon mal die Waage.“ Wagte ich mich tatsächlich auf die Waage, war ich oft ein Fall für zwei. Vollgefressen, dreifach satt.

Heute poliere ich turbotippend die Handytastatur, das ist eine ständige Fastenkur, schnelles WhatsAppen statt gelegentliches Zappen. Ich freu mich, wenn die Kulturzeit aufpoppt oder auf dem 3sat-Insta-Kanal deutsche und österreichische Kabarett-Kollegen in die Timeline sliden. ARTE ist bei mir erst als Dessert am Start, für Hochkultur und aparte Frankophilie.

3sat soll nun weggespart werden. Der dreifach sättigende Kultursender Deutschlands, Österreichs und der Schweiz soll mit ARTE, dem Spartensender von Frankreich, Deutschland und der Schweiz fusionieren. Eine Diät im Binge-Watching-Zeitalter. Anders als beim Binge-Watchen von Serien verschlingen Binge-Eater alles durcheinander: Kuchen, Salami, Betty Bossi, Bell, ein unmöglicher Mix, Mischen impossible. Dabei ergibt das Zusammenlegen von Organisationen über Landes- und Sprachgrenzen hinweg durchaus Sinn. Nicht nur Nischen-Sender, sondern auch Extrem-Parteien haben Misch-Potenzial.

Le Rassemblement Nationale a de la peine, die extreme Rechte in Frankreich hat Mühe, Marine Le Pen fehlt ihr wohl. Im Vergleich dazu laufen die deutschsprachigen Schwesterparteien wie warme Semmeln. Ni pain ni Le Pen. Eine Fusion mit der erstarkten AfD, der Überfliegerin FPÖ sowie der stabilen SVP könnte helfen. Der Name, rassig wie eine Currywurst, liegt auf der Hand: Rassemblement Internationale! Internationale Front! Rechtsnationale aller Länder, vereinigt euch!

Das klingt zwar nach Linksextremismus. Linke und Rechte sind sich heute ohnehin zum Verwechseln ähnlich, Mischen erscheint inzwischen sehr possible. „Die in der Schweiz lebende, lesbische Politikerin im Vorstand einer Pol-Partei“ kann SP-Feministin Tamara Funicello sein. Oder AfD-Antifeministin Alice Weidel. Deren Partnerin heisst zufälligerweise Sarah*. Nicht Sahra* wie die Wagenknecht, die neu ein Bündnis mit sich selbst geschlossen hat: Die Linke ist die Second Hand, Sahra first!

Weidels Sarah mit Wurzeln in Sri Lanka lebt als Filmemacherin ein wokes, queeres Multi-Kulti-Leben mit ihrer Alice im Schweizer Wunderland. Die andere Alice, Alice Schwarzer, ehemals Vorzeigefeministin, ist möglicherweise brauner, als man vermutet hätte. Geröstet wie ein Weissbrot im Toaster. Fehlt nur noch die Zutat aus Österreich. FPÖ-Politikerin Susanne Fürst, die keine queeren Leute auf Kinder loslassen, dafür möglichst viele Kinder in eine verquere Welt setzen will. Sie befindet: Abtreibung und Frauengesundheit second, Susanne Fürst!

Sollen sich diese Parteien doch zusammentun. Am Parteitag könnten sie sich durch drei bis vier Landesküchen fressen, bis sie satt sind, danach ein kultureller Leckerbissen zum Dessert. Wertvoll wären hier auch für rechte Frauen Frauenrechte. Da würde sich der Schweizer Film „Die göttliche Ordnung“ eignen. Dieser Streifen mit fiktiven Personen spielt in den realen 70er-Jahren, als Schweizer Frauen ihre Entrechtung endgültig satt hatten. Das passt. Schliesslich hat Alice Weidels Partnerin Sarah den Film mitproduziert. Er lief am entsprechenden Thementag. Auf 3Sat.

Für Politik, Kulinarik und Bildschirmgenuss gilt: Wird bereits vorgemischt, entfällt das lästige Wählen. Streaming-Dienste überfordern mich zunehmend. Ich habe es satt, dass ich mehr Zeit zum Auswählen benötige als zum Konsumieren. Gäbe es doch nur eine KI, die das perfekte Menu samt neuer, unerwarteter Ingredienzen für mich zusammenstellt! Etwas Arte, etwas Kulturzeit, einige Thementage. Das macht dreifach satt, besser als jede Binge-Watching-App.

Mahlzeit! En Guete! Bon App!

*Sarah oder Sahra: Der AH-Effekt besagt, es komme drauf an, wie weit rechts das AH im Namen stehe.

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NZZ | 14. September 2024

Wenn der Spott die Falschen trifft: To kill a mockingbird

Comedy muss den Bauch treffen, Satire den Kopf, Religion das Herz. Und Politik? Das ist von Partei zu Partei verschieden.

Comedy muss den Bauch treffen, Satire den Kopf, Religion das Herz. Und Politik? Das ist von Partei zu Partei verschieden.

Letzte Woche flog eine Amsel in grenzsuizidaler Manier in mein Fenster. Zum Glück sei sie nicht ins Wasser gefallen, erklärte man mir in der Vogelstation, das Überleben mit gebrochenem Flügel sei aber noch nicht garantiert. Amseln sind Verwandte der Spottdrosseln, Mocking Birds, figurieren oft als Götterboten und politisches Wappentier. Spottend andere Stimmen nachahmend, sind sie die Comedians der Vogelwelt.
Comedy muss den Bauch treffen, Satire den Kopf, Religion das Herz. Und Politik? Das ist von Partei zu Partei verschieden. Comedy soll lustig machen, Satire soll weh tun, Religion soll Hoffnung stiften. Und die Politik? Das ist von Politikerin zu Politiker verschieden.

Die Waffen der Wahl sind gezielte Worte, treffende Bilder und nicht selten beissender Spott. Doch wir schiessen gerne übers Ziel hinaus, oft treffen wir die Falschen. Ein Credo meiner sonst eher ungläubigen Gilde lautet, stets nach oben zu treten. Das hiesse Menschen mit Status, Macht und Geld zu verlachen, den Papst, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen, Amazon-Milliardär Jeff Bezos. Die werden hindernisfrei in Panzerglas-Papamobilen herumgefahren, sitzen schusssicher hinter Schutzwällen, die Spottdrosseln erleiden höchstens Genickbruch, wenn sie in die spiegelglatte Fassade donnern. Nach oben treten tut weh, allerdings meist nicht den Getretenen.

Längst allen bekannt ist der Witz, bei dem der Schuss nach hinten losging. Da mokiert sich ein Komiker über Teilnehmende der Paralympics, über Menschen ohne Beine und Arme, lacht schallend bei der Pointe, dass diejenigen verlieren, welche ertrinken. Erst Parasportlerin Kristina Vogel brachte die Empörung darüber zum Fliegen, der Shitstorm spülte den Komiker von der Kanzel. Der ohnehin angeschossene Ruf des Spassvogels wurde gekillt, zumindest vorübergehend – er war früher bereits nach anderen Tauchern wieder auferstanden.

Kann Parasport überhaupt humoristisch thematisiert werden, ohne nach unten zu treten? Würden dadurch die Witze allzu flügellahm? Müsste man nicht erst mal die Namen der Athletinnen und Leistungssportler nennen, ihre Leistungen hervorheben, statt alle in denselben Topf zu werfen? Wie wäre es damit:
«Olympionike Josia Topf, ohne Arme geboren, schwimmt seit Jahren auf Olympia-Niveau. Im Gegensatz zu Jeff Bezos – ohne Arme, die für ihn arbeiten, könnte der sich keinen Tag über Wasser halten.»

Echte Inklusion heisst aber nicht, den Moral-Kompass auszurichten, sondern mehr von den Überflieger-Comedians mit Behinderung auf die Bühne zu bringen. Jahn Graf, Rosie Jones oder Eddie Ramirez, laut eigener Aussage der Sechser im Randgruppen-Lotto: schwarz, im Rollstuhl, nonbinär, mit Migrationshintergrund.

Wem bauen wir eine Rampe, wenn wir nur den ganzen Dreck, Kot und Stuhlgang auf den Bühnen ausrollen, aber keine rollstuhlgängigen Toiletten bauen im Backstage?
Wem verschaffen wir Gehör, wenn wir mit grosser Geste und dem Moralfinger auf ableistische Comedians zeigen, aber keine Gebärdendolmetscher ins Theater einladen?
Wie erreichen wir Sichtbarkeit, wenn wir nur Leitplanken der Political Correctness aufzeigen, aber keine Blindenleitsysteme installieren?

Öffentlichkeitswirksam den Vogel zeigen ist gratis. Inklusion aber kostet. Wenn wir wirklich treffen wollen, wo es weh tut, müssen wir aufs Portemonnaie zielen. Oder archaische Gefühle wie Fremdenangst und Misogynie befeuern. Auch unfreiwillig. Den Vogel abgeschossen hat bekannterweise eine grünliberale Politikerin und beliebte Comedy-Roast-Teilnehmerin. Sie zielte auf ein Madonnen-Bild, traf aber offenbar die religiösen Gefühle der ganzen Nation, welche man zwar selten in der Kirche, jedoch im Hass predigenden Online-Gottesdienst antrifft. Der kostet weder Steuern noch Opferstock-Beiträge. Vielleicht ist die Politikerin als Seconda einfach überintegriert und lernte von den Besten: Wer die sexuelle Integrität von Lebenden angreift, kann Tourismus-Chef eines Kantons werden. Wer die religiöse Integrität einer leblosen Ikone angreift, müsste dann doch wenigsten Kirchenvorsteherin werden können!

Was sie dabei nicht bedachte: Wir sind doch hier nicht im Wallis! Als Katholikin weiss ich zudem, Frauen, gerade mit Migrationshintergrund, sollten fehlerlos sein, unbefleckt, um unsterblich zu werden. Immaculata. Eine Frau, welche die jungfräuliche Maria durchlöchert, macht sich doppelt schuldig.

Zum Glück steht ihr Sohn Jesus für Vergebung. Wer seine rechte Wange trifft, dem bietet er noch die linke als Zielscheibe. Wird er auch stigmatisiert, beschossen, getötet, besteht immerhin die Hoffnung, dass er nach drei Tagen wieder aufersteht.
Die kleine Spottamsel ist übrigens durchgekommen. Ich habe sie Hope getauft. Hoffnung. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Ladies Drive | Herbst 2024

Körbchengrösse Doppel D, Liquid Youth, Brustkrebsprävention

Mit Stolz geschwellter Brust wollte ich verkünden: Ich bin für einen Preis nominiert! Doch als einzige Frau neben acht Männern habe ich ein Alleinstellungsmerkmal.

Mit Stolz geschwellter Brust wollte ich verkünden: Ich bin für einen Preis nominiert! Doch als einzige Frau neben acht Männern habe ich ein Alleinstellungsmerkmal. Nicht «Liquid Youth»!, das passt gar nicht zusammen. Als ich jung war, war ich nicht flüssig und jetzt, da ich liquid bin, bin ich nicht mehr die Jüngste. Mein Alleinstellungsmerkmal trage ich in Körbchengrösse D vor mir her.

Wenn ihr denn schon gerne mit Brüsten sprecht, dann hört bitte zu, was sie euch zu sagen haben!

Brüste einer Zwölfjährigen: «Hey, Alter! Guck ihr ins Gesicht. Du hast uns registriert, gut, nun vergiss uns. Wir gehören einem Kind. Ein Kind, das sich noch entwickelt, noch keine Frau ist, trotz uns. Unser Wachstum ist bisweilen schmerzhaft, gleichzeitig bekommt sie die Menstruation, Pickel und Körperbehaarung. Es ist schwer genug für sie, ohne deine schmierigen Blicke. Krieg deine Triebe in den Griff! Krieg die Kurve, Alter! Sie kriegte schliesslich auch Kurven. Ohne dass sie darum bat!»

Brüste einer Stillenden: «Wir sind Nassfutter-Aufhänge-Rundsilos! Eine Nahrungsmittelfabrik! Nicht für dich, sondern für das Kind unserer Trägerin. Hör auf zu starren. Wir haben das Recht, in der Öffentlichkeit entblösst zu werden, ohne verschämte oder lüsterne Blicke ertragen zu müssen. Du darfst deine Nippel ja sogar auf Instagram zeigen!

Manchmal schmerzen wir, sind entzündet, verursachen Fieber, an welchem Frauen früher regelmässig starben. Unsere Milch ist von unterschiedlicher Qualität. Aber sie liefert für das Baby in den ersten drei Monaten Immunschutz wie eine natürliche Impfung.»

Brüste einer Nicht-Stillenden: «Die Gründe, dass meine Trägerin nicht stillt, gehen dich nichts an! Vielleicht möchte sie wenigstens jede zweite Nacht durchschlafen, und dass auch der andere Elternteil nachts rausmuss, eine enge Bindung aufbaut. Es können berufliche oder gesundheitliche Gründe sein, die du nicht zu kommentieren hast. Zwing uns nicht des Säuglings Willen! Denn ein Fläschen mit inzwischen recht gesunder Pulvermilch kannst du ganz gut selber mischen. Erzähl uns nicht: Mischen impossible! Wir sind Brüste. Aber wir sind nicht einfach still. Denn wir sind gegen Stillzwang!»

Brüste einer Transperson: «Wir gehören nicht hierher, wir stören. Wir sind so wenig angebracht, wie deine blöde Aussage, das sei gegen die Natur. Deine Vasektomie ist genauso gegen die Natur wie meine Mastektomie. Dein Viagra, deine künstliche Befruchtung, dein Auto, dein Handy sind keine Produkte der Natur. Aber die Hormone, das Körperempfinden der Person, die uns nicht will, ist so natürlich wie deine Freude an Brüsten.»

Narben einer Brustkrebs-Überlebenden: «Schau hin! Wir waren einst Holz vor der Hütte. Doch da war der Wurm drin. Ein Käfer wucherte, zum Glück von tastenden Fingern erkannt! Ein Teil von uns musste gehen, damit sie leben kann. Wir sind stolz, wir sind das Narbengesicht, das die Geschichte einer Kämpferin erzählt. Egal ob wieder aufgebaut oder nicht: Wir sind ein geritztes Herz in der Borke, ein Jahrring im Holz!»

Alle rufen sie:
«Wir sind wie deine Witze: manchmal ziemlich flach
Manchmal mit Spitze, oft nicht richtig angebracht
Manchmal verzieht man wegen uns keine Mine
Manchmal sind wir unter der Gürtellinie

Wie deine Jokes, manchmal voll die Bänger, voll gut
Manchmal bejahrt, mit Bart, einfach Low hanging fruits
Oft saftlos, manchmal künstlich grösser gemacht.
Selten wird echt zu Recht darüber gelacht

Ob krank, mastektomiert, amputiert und beschnitten
Long live the Tits! Lang leben die Titten
Das Überleben, das Leben ist eben ein Fest
Vergiss es nie: We’re simply the Breast!»

Und was sagen meine eigenen Brüste? Die sind schon in einem gut abgehangenen Alter, da sprechen sie wie Politiker im Wahlkampf, die sind froh um jede Beachtung: «Danke dafür, dass wir gesund sind! Danke für eure Beachtung, für nette Blicke, für Komplimente! Danke, dass beim regelmässigen Abtasten, Durchleuchten nichts Bösartiges zum Vorschein kommt, worauf wir reagieren und etwas unternehmen müssten! Wir heissen nicht wie im Wallis Putini, das klingt zu sehr nach Kreml. Lieber etwas Einheimisches, gerade im Wallis: Wie wäre es wenn ihr uns Oskar Freyschwinger nennt?! Oder noch südlicher: Giorgia Meloni. Oft sind wir verschleiert, als seien wir zum strengen Islam konvertiert. So genannte Konver-Titten. Und wenn unsere Besitzerin, unsere Titten-Gritte noch mit einem Comedy-Award ausgezeichnet wird, schwellen wir vor Stolz vielleicht zu Cup Doppel-D. Lick it smooth! Liquid Youth!»

Erschienen in Ladies Drive, Herbst 2024, für #Brustkrebsprävention, loveandsaveyourboobies.ch, inspiriert von Zora Schiess SchiessGestaltung – Büro für Grafik & Kultur

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Sonntagsblick

Liebe Lehrkräfte: Ich wünsche viel (Lehr-) Kraft und einen scharfen (Sonntags-) Blick zum Schuljahresstart!

Liebe Lehrkräfte
Jetzt beginnt auch noch in den letzten Kantonen das Schuljahr. Als studierte Erziehungs-Wissenschaftlerin, ausgebildete und ehemals praktizierende Lehrerin wurde ich von verschiedenen Seiten zu Schulthemen befragt.

Liebe Lehrkräfte
Jetzt beginnt auch noch in den letzten Kantonen das Schuljahr. Als studierte Erziehungs-Wissenschaftlerin, ausgebildete und ehemals praktizierende Lehrerin wurde ich von verschiedenen Seiten zu Schulthemen befragt. Ich habe auch von meiner eigenen Lehrerin erzählt, Frölein Scheidegger, die stets verbale Wortketten bildete. „Immer schön das Subjekt weglassen, wichtig ist nicht, wer es macht, sondern, dass es gemacht wird. z.B.
– Als letzter die Schule abschliessen -> Subjekt: der Abwart.
– Kurz einen Blick in den Papierkorb werfen -> Subjekt: die NZZ-Leserin*.

Wichtig ist nicht, wer es macht, sondern, dass es gemacht wird!“ dozierte Frölein Scheidegger.
*Ich konnte gestern in beiden Blättern, Sonntagsblick und NZZ am Sonntag, meine Stimme erheben.

Dabei wäre im Grunde eure Stimme wichtiger. Eure und die der Wissenschaft. Denn die Wissenschaft kann bestätigen, dass die Lehrperson das wichtigste Element für gelingenden Unterricht ist. Nur wenn Kinder und Lernende glauben, vertrauen, spüren, dass die Lehrperson es gut meint, können sie auch glauben, was diese ihnen erzählt. Dass Beziehung vor Erziehung kommt, wissen wir inzwischen. Dass wir aber den Erziehenden auch entsprechend Anerkennung, Infrastruktur, gute Bedingingen, Entlastung, tiefere Betreuungsschlüssel geben sollten, wird gerne vergessen.
Die Vermittlung von Werten, Kompetenzen und Wissen, das Coachen, Leiten, Führen, Vorbild sein, Geborgenheit schaffen, diese ganze verbale Wortkette kann nicht einfach eine KI übernehmen. Denn es kommt eben doch aufs Subjekt an. Wichtig ist eben doch, wer es macht, und nicht nur, dass es gemacht wird.
Wichtig seid ihr.
Danke.
Patti, die Deserteurin

(Und danke. dass ihr nicht ALLE gänzlich in die Comedy desertiert. Erhebt eure Stimme!
Und gebt sie mir dann auch gern an den Swiss Comedy Awards 😂🎤)

Patti Basler im Sonntagsblick: Ich plante schon in der ersten Klasse eine Schulreform
Komikerin für einmal ernst: Patti Basler – ausgebildete Lehrerin und Erziehungswissenschaftlerin – spricht zum Schuljahresstart über integrative Förderung, Schulnoten, Burnout und Humor im Unterricht.

Sonntagsblick, Karen Schärer: Patti Basler, waren Sie als Lehrerin jeweils nervös vor Schuljahresbeginn?
Patti Basler: Nein, eher freudig erregt. Ich hatte erst in den letzten Ferienwochen genügend Druck zum Arbeiten und Vorbereiten. Schon als Schülerin empfand ich lange Sommerferien als Belastung.

Wie bitte?
Ferien bedeuteten Langeweile und Mitarbeit auf dem Bauernhof. Deshalb plante ich schon in der ersten Klasse eine Schulreform: Lange Ferien und freie Mittwochnachmittage abschaffen, stattdessen die Hausaufgaben in der Schule erledigen. Das könnte ich aus Sicht der Schulkinder noch immer unterschreiben.

Keine Hausaufgaben, weniger Ferien?
Ja. Aber der Lehrkörper braucht diese langen Sommerferien. Es herrscht jeweils eine Art Vorsommerferien-Burnout: Die letzten zwei Monate gibt man noch das letzte Quäntchen Energie, das man durch die Venen pumpt. Danach ist man aber nicht tiefenentspannt, sondern für zwei Wochen scheintot. Ich war da keine Ausnahme. Ein System, das nur funktioniert, indem man sich so ausbeutet, ist doch im Grund bescheuert.

Was zehrt denn so sehr?
Zum Unterrichten gehört wohl etwas Idealismus, denn wer mit ähnlichen Qualifikationen reich werden möchte, studiert Wirtschaft. Idealismus sorgt aber dafür, dass nicht nur Dienst nach Plan geleistet wird. Man versucht wirklich, den verschiedenen Rollen und Ansprüchen gerecht zu werden. Das zehrt. Zeitliche Belastung, energetische Belastung, Multitasken-Müssen, Mental Load, Mitdenken für 25 Kinder, ihre Eltern, ihre Geschwister, den Onkel und den Hamster.

Kürzlich ergab eine Umfrage: Lehrpersonen bewerten ihre Zufriedenheit mit der Note 4,2. Darf ein «Genügend» genügen?
Die Note 4,2 dürfte besser sein, als viele Menschen, die sich mit Bildung auskennen, befürchtet haben. Schliesslich bedeutet der eklatante Fachkräftemangel an den Schulen mehr Arbeit und Stress für ausgebildete Lehrpersonen. Die Note ist auf jeden Fall ein Alarmzeichen, gilt Bildung doch als eines der höchsten Güter der Schweiz.

Ein Ausreisser nach unten in der Befragung ist die Zufriedenheitsnote für die integrative Förderung: 3,7. Die FDP erachtet die integrative Schule als gescheitert. Ist sie das?
Die Frage kann ich so nicht beantworten, sie ist meines Erachtens falsch gestellt. Ob integrative Schule oder Sonderklassen, ob Niveauklassen oder verschiedene Schulstufen, in jeder Form von Unterricht braucht es einen sinnvollen Betreuungsschlüssel.

Das Verhältnis von ausgebildeter Lehrperson zu Kindern.
Richtig. Heute sollen in jedem Unterrichtssystem die Kinder individuell gefördert werden. Bei einer 25-köpfigen Klasse bleiben der Lehrperson etwa 30 Sekunden pro Lektion für die individuelle Förderung jedes Kindes. Das reicht nicht. Nicht bei einem fremdsprachigen Kind, nicht bei einem muttersprachlichen Kind, nicht bei einem Kind mit Lernschwächen und nicht bei einem hochbegabten, das mehr Stoff braucht. Es reicht einfach nicht. Gescheitert ist nicht die integrative Schule, sondern dieser Betreuungsschlüssel von verantwortlicher Lehrperson und Kind, ein Verhältnis von 1:25.

Besserer Betreuungsschlüssel, bessere integrative Förderung?
Es bräuchte halb so grosse Klassen, aber doppelt so viele ausgebildete Lehrkräfte. Das kostet. Das verschweigt die FDP. Und noch etwas.

Was?
Sonderklassen sind garantiert nicht günstiger. Steckt man die – in Anführungszeichen – schwächsten Schülerinnen und Schüler in eine Klasse, muss diese noch kleiner werden. Sie brauchen noch mehr individuelle Aufmerksamkeit. Da gibt es nicht mehr wie in der durchmischten Regelklasse ein Gschpänli, das den Stoff erklären kann. Was übrigens für das lernende und das lehrende Kind sehr effizient ist, um Schulstoff zu festigen. Diese ursprüngliche Idee von integrativen Systemen funktioniert nicht nur in der Theorie.

Haben Sie als Lehrerin diese Erfahrung auch selbst gemacht?
Ja. An der Privatschule mit Klassen von maximal zwölf Kindern war von Lernbehinderungen bis Gymi-Niveau alles dabei. Gemischte Klassen haben bestens funktioniert. Nur in gewissen Fächern unterteilte man in noch kleinere Niveau-Klassen. Bei gemeinsamen Projekten konnten die Kinder voneinander profitieren.

Diskussionen über Schulreformen verlaufen oft hitzig. Vermissen Sie die Stimme der Wissenschaft in den Debatten?
Die Stimme selbst wäre da. Ich vermisse das Anhören und Folgen dieser Stimme. Sei es Klima, sei es Schulklima, alle haben es selber erlebt und haben etwas zu sagen. Doch eigene Erfahrungen machen uns nicht zwingend zu Experten, sie können sogar den Blick fürs Ganze verstellen. Lehrkräfte sind eine Art Zwischenform, sie haben zwar Expertise im Unterrichten, aber das macht sie nicht unbedingt zu Bildungsexperten oder gar Wissenschaftlerinnen. Denn sie haben eine Position inne, eine Position braucht eine Haltung, und Haltung hat meistens auch eine Meinung zur Folge.

Was heisst das?
Angenommen man erlebt selber die Überforderung mit einer integrativen Klasse. Und beobachtet dasselbe im Kollegium. Klar wird schnell der Ruf laut, diese Schulform sei gescheitert. Anekdotisches Wissen aus der eigenen Biografie ist nicht falsch. Doch man selber ist nur ein ganz kleiner Teil, die befreundeten Menschen sind nur ein kleiner Teil. Meist befindet man sich ohnehin in einem gesellschaftlichen Milieu, in dem die Leute ähnliche Erfahrungen machen. Das muss aber nicht stimmen für die gesamte Gesellschaft.

Woran hätten Sie geforscht, wenn Sie in der Wissenschaft geblieben wären?
Am Konjunktiv II: Hätte, hätte, Fahrradkette. Ich hätte nicht weitergeforscht. Ich wäre nicht jahrelang im stillen Kämmerchen gesessen. Im Studium interessierte ich mich für das Jugendalter, wenn Weichen gestellt werden, für Randgruppen, für die Rolle der Bildung.

Kürzlich schrieben Sie einen Gastbeitrag für ein Schulblatt, danach titelten verschiedene Medien: «Patti Basler ist gegen Schulnoten». Sind Sie das?
Nein, nicht per se. In einem satirischen Beitrag machte ich Wortspiele mit Musiknoten und Schulnoten. Der Titel entstand aus einem Zitat ohne Kontext.

Was halten Sie von politischen Bestrebungen in verschiedenen Kantonen, eine Schulnotenpflicht für die Unterstufe ins Gesetz zu schreiben?
Ein seltsames Politikum. Warum solch eine teure Reform, wenn es gut funktioniert? Wer Ahnung hat von Unterricht, Lernverhalten und kindlicher Entwicklung, kann die Argumente für eine Wiedereinführung von Unterstufen-Noten in zwei Sätzen widerlegen.

Nämlich?
Unterstufenkinder haben einen extrem unterschiedlichen Entwicklungsstand, auch wegen der inzwischen sehr frühen Einschulung, sie sind nicht vergleichbar, Noten können ihr Potenzial nicht voraussagen. In diesem Alter führen Noten zudem erwiesenermassen nicht zu besseren Leistungen.

Mit dem stärkeren Fokus auf individuelles Lernen verändert sich das Profil der Lehrperson: Von der Performerin vor der Klasse wird sie zum Coach. Hätten Sie sich damit arrangiert?
Eine Lehrkraft ist dann am besten, wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen und hinter der Art des Unterrichts stehen kann. Wer wie ich gut im Performen ist, im Geschichtenerzählen, im Anführen des Rudels, muss dies weiterhin anbieten können, denn die Kinder profitieren davon. Coach sein heisst aber nicht, dass dies nicht mehr geht. Es braucht beides, das Vorzeigen und das Begleiten. Und manchmal sind diese Rollen vielleicht auf zwei verschiedene Personen aufgeteilt.

Wie wichtig ist Humor im Klassenzimmer?
Eine allgemeine heitere Gelassenheit, schwierige Situationen mit Humor aufzulösen, Fakten lustig zu präsentieren, ist unbezahlbar. Sarkasmus hingegen ist heikel.

Warum?
Er geht meist auf Kosten von jemandem. Gerade Pubertierende sind da sehr sensibel, sie fühlen sich gemobbt. Von der Lehrperson.

Ich erinnere mich bis heute an einen Witz, den mein Gymi-Bio-Lehrer auf meine Kosten gemacht hat, nachdem ich eine falsche Antwort gegeben hatte. Alle lachten.
Früher hat man Jugendliche oft bewusst an den Pranger gestellt, um ihnen eine bleibende Lektion zu erteilen. Denn die Erinnerung an die Scham, an den Schmerz der peinlichen Situation sitzt tief. Doch dieses Mittel ist unethisch, ungesund für die Seele der Kinder und schlecht für das Schulklima.

Apropos Gesundheit: Die Idee eines Handyverbots an Oberstufen gewinnt Unterstützung, weil die Jugendlichen in den Pausen nur am Handy hängen.
Wenn ein Erwachsener eine Pause hat, im Bus, im Zug, am Bahnhof und nicht aufs Handy schaut, informiert man sicherheitshalber die Polizei oder den psychiatrischen Notdienst. Das nicht mehr wegzudenkende Alltagsgerät ist leider schädlich für jugendliche Gehirne. Vielleicht könnte ein Kompromiss funktionieren: Handyverbot an Vormittagen, nicht aber an Nachmittagen.

Ihre Bühnenprogramme tragen Titel, die mit Schule zu tun haben: Frontalunterricht, Nachsitzen, Lücke. Meldet sich da die Lehrerin in Ihnen?
Eher die Wissenschaftlerin, die zwanghaft die eigenen Thesen auf die Probe stellt und hinterfragt. Wir machen das durch Satire – und kommen übrigens immer mehr weg von Schulthemen.

Sie sind – als einzige Frau – mit Ihrem Bühnenpartner Philippe Kuhn für den Swiss Comedy Award nominiert. Warum soll das Publikum für Sie stimmen?
Wer Frauen auf Comedy-Bühnen sehen will, wer lustig findet, was wir machen, soll für uns stimmen. Auf meiner Homepage findet man Auftrittstermine, Audios und Videos, falls man sich noch persönlich überzeugen möchte bis Anfang September. Oft wird mir unterstellt, ich arbeite beim Fernsehen. Was für eine Beleidigung. Ich arbeitete nie beim Fernsehen und lebe nicht von den Gebühren. Ich wäre so teuer, das Budget der restlichen Sendungen erlitte eine Halbierung. Ganz ohne Initiative.

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NZZ am Sonntag

Die Quadratur des Ringes

Der Mensch liebt herausragende Köpfe, kann ihnen folgen wie Leuchttürmen in stürmischen Zeiten oder fordern, dass sie rollen.

Der Mensch liebt herausragende Köpfe, kann ihnen folgen wie Leuchttürmen in stürmischen Zeiten oder fordern, dass sie rollen. Schuld und Verantwortung auf nur einen Sündenbock zu schieben, erscheint uns nicht eidgenössisch. Doch wer am lautesten nach Freiheit und Eigenverantwortung schreit, verehrt gerne autoritäre Einzelpersonen. Die meisten Demokratien dürfen die potenten Köpfe zumindest scheinbar selbstbestimmt wählen. Wenn sich die Idole ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern oder sich die Köpfe einschlagen, muss man den eigenen nicht riskieren. Solange sich nur zwei Leute duellieren, ist es klar, aus welcher Ecke sie kommen. Das politische Parkett wird zum Boxring. Der jeweilige Fanklub bekommt ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie bei Pyrotechnik und dem Singen der Hymne. Wer in der Südkurve sitzt, muss die Nordkurve beschimpfen, so will es das Gesetz.

Wenn da zwei ihre Köpfe für uns hinhalten, müssen wir selber nicht zu viel reflektieren. Der einzige Spiegel, den wir uns vorhalten, ist der vermeintlich zu hohe Testosteronspiegel einer Olympia-Boxerin. Ob nun ein Zweikampf Frau gegen Frau oder Frau gegen Mann: Hauptsache das Blut fliesst nicht nur alle vier Wochen!
Für ein breites Publikums-Interesse braucht Schlagabtausche, das bedeutet für die Schweiz: Think out of the Boxring! Lasst Wahlen, Wettbewerbe, Votings als Zweikämpfe austragen!

Es gibt zwei Kandidatinnen für das bisher reine Männergremium, den Aargauer Regierungsrat – Lasst sie Schlammcatchen! Für die Grüne Ruth Müri hiesse das naturnah: Back to the Ruth! Martina Birchers politische Farbe könnte auch passen. Ein linker Haken, ein rechter Haken, aufs Kreuz legen und durch den Dreck ziehen!
Die Vorsitzenden von Coop und Migros könnten sich eine Küchenschlacht liefern oder direkt in den Sägemehlring steigen. Denn ihr Wettbewerb gehört allen. Ihr Zweikampf ist für dich und mich. Als Schwinger geht’s ringer!
Selbst bei den Swiss Comedy Awards könnte eine Frau sich in Schlagfertigkeit mit dem bereits mehrfach Preis gekrönten Bünder Zuccolini messen. Vielleicht würde er lakonisch kalauern: «Dia will kempfa? Dia Ka-ma-lah atretta!»

Deshalb lieben wir den amerikainsche Wahlkampf. Wie viel einfacher ist es Position zu beziehen für Harris oder Trump als für Parmelin oder Baume-Schneider. Wie viel mehr können wir damit über uns selbst aussagen! Über Trumps intelligenzfreien Aussagen lachen oder das Lachen der Kamalaugh Hahaharris kritisieren, grenzt uns trennschärfer ab als differenziertes Diskutieren über die Biodiversitäts-Initiative und die BVG-Vorlage. Reine Zweikämpfe kann man auch in Karikaturen besser darstellen, weil ein breites Lesepublikum an wenigen gut gesetzten Strichen erkennt, um wen es sich handelt. Es ist die Quadratur des politischen Ringes.

Überhaupt scheint der amerikanische Wahlkampf wie die schwierige Besetzung der leeren Lehrerstellen. Man versuchte es jetzt vier Jahre mit einem Assistenz-Senioren, der hatte aber Schwellenängste und stolperte beim Stufen-Übertritt. Der Quereinsteiger aus der Wirtschaft, der es bereits zum zweiten Mal probiert, hatte nur ein offenes Ohr für die Anliegen der Waffenlobby (Credits für die Pointen im letzten Abschnitt gehen an meinen Bühnenpartner Philippe Kuhn, wenn ich das nicht erwähne, könnte unser nächtsten Bühnenauftritt auch als Duell enden).

Dafür half der Donald, endlich das metrische System an den US-Schulen einzuführen. Heute kann jedes Kind wie aus der Pistole geschossen erklären, was neun Milimeter. Das soll noch jemand behaupten, die amis hätten etwas gegen Abtreibung. Sie warten einfach damit, bis die Kinder schon etwas grösser sind und man sie lieb bekommen hat, statt sie bereits als kleinen pränatalen Zellhaufen loszuwerden.

Wie in der Schule muss es am Schluss wieder eine Frau richten. Im Grunde passt dies in den USA ohnehin besser. Zumindest zu den weiblichen Eizellen, welche bei Harris unbefruchtet blieben. Das Headquarter der Macht ist die Quadratur des Ovals. Eine Landesmutter braucht keine eigenen Kinder. Sie sollte ohnehin nicht zu viel privat telefonieren, das könnte der ersten Frau in der Exekutive den Kopp kosten.

PS. Die Illustration meiner Kolumnen war stets ein Ringen mit meiner zu späten Abgabe. Gabi Kopp hat die Quadratur des Ringes brillant beherrscht. Es brauchte bei ihr kein Telefonat an ihren Mann wie bei der Namensvetterin, wahrscheinlich liegt es einfach an den allgemeinen Kürzungen im Medienbereich: Doch diese Zeitung wird heute einen Kopp kürzer gemacht.

Illustration Gabi Kopp
Illustration Gabi Kopp
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Interview für die AZ Sommerserie

Patti Basler ist im Keller inspiriert!

AZ, Fiona Scotoni: Danke für die Einladung! Wo sind wir hier?
Patti Basler: Das ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort. Hier drin war mal eine Wursterei.

AZ, Fiona Scotoni: Danke für die Einladung! Wo sind wir hier?
Patti Basler: Das ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort. Hier drin war mal eine Wursterei. Tatsächlich hat das Untergeschoss von diesem Altstadthaus, das im Grunde fast ein Teil der Stadtmauer ist, in der Vergangenheit eine Metzgerei beherbergt. Oben war der Laden und unten wurden die Würste hergestellt. Ich habe eine bäuerliche Herkunft und spreche auf der Bühne viel vom Fleischesgenuss – sei es kulinarisch oder anders. Das passt sehr gut zur ehemaligen Wursterei. Als es dann neue Besitzer gab, wurde eine Schneiderei daraus. Oben wurden massgeschneiderte Hemden verkauft und hier unten wurden sie genäht. Erst wurde also totes Fleisch in eine Hülle gepresst, später wurde lebendes Fleisch in schöne Hüllen gekleidet und wir arbeiten nun mit Worthüllen. Das passt sehr gut – wir kommen immer mehr vom Ursprünglichen weg und klettern in der Maslowschen Pyramide der Bedürfnisse stets weiter nach oben. Von der untersten Stufe der physiologischen Bedürfnisse mit dem Essen zum Luxus schöner Bekleidung bis hin zur geistigen Arbeit. Die ideale Homebase für meine Kunst.

Was befindet sich jetzt im oberen Geschoss?
Eine Versicherung – ich fühle mich tatsächlich sehr sicher. Ich bin eine Prokrastinatörin vor dem Herrn und erledige alles auf den letzten Drücker. Vor Auftritten komme ich oft noch kurz hierher, um den Text für meine Nummer auszudrucken. Kürzlich war die Druckerpatrone leer. Zeitlich reichte es nicht mehr, um eine neue zu kaufen, da rannte ich zur Versicherung und sagte: «Ihr seid eine Versicherung – ihr müsst mir helfen! Ewige Liebe und Dankbarkeit ist euch sicher, wenn ich bei euch schnell etwas ausdrucken darf.» Diesem Angebot konnten sie nicht widerstehen. Ich kam rechtzeitig zu meinem Auftritt mit dem aktuellen Text.

Haben Sie eine bestimmte Routine, die Sie pflegen, bevor die Arbeit beginnt?
Zuerst einmal gemütlich das WC aufsuchen – das ist wichtig. Im Grunde ist es einfach das schönste Bahnhofs-Klo von Baden. Man kennt das ja: Je näher man dem Zuhause ist, desto dringender wird es. Der Studio-Eingang hat für mich bereits so eine Haustür-Qualität. Daher erledige ich meist hier noch dieses Bedürfnis, selbst auf dem Weg vom Auftritt nach Hause.
Nach langen Arbeitstagen oder nächtlichen Auftritten mag ich nicht mehr gross aufräumen. Daher werden am Morgen erst einmal die Kaffeetassen im Studio abgewaschen. Danach mache ich – wie man in der Küche sagen würde –ein «Mise en place» mit Computer, Blöcken und Stiften, manchmal samt Play List, die ich auf die Stereoanlage schalte. Diese Routine hat sich mit der Zeit etabliert. Wenn ich mit Philippe zusammenarbeite, haben wir eine weitere Routine: Wir setzen uns mit einem Kaffee hin und nehmen schon fast zwanghaft eine Prise Schnupftabak – ohne läuft nichts. Nicht mal die Nase.

Was tun Sie, wenn Sie eine kreative Blockade haben?
Ich laufe immer Gefahr, mich ablenken zu lassen und mir einen Dopaminschub zu suchen. Ich scrolle auf Social Media und lasse mich gerne auf einen verbalen Schlagabtausch bei X/Twitter ein. Im Netz bekomme ich Liebe. Und viel Hass. Kommentare auf meinen Profilen lese und beantworte ich meistens. Selbst bei Hassmails schreibe ich zurück. Ich gebe Leuten gerne die Chance, ihre Vorurteile zu revidieren. Auch eine zweite und eine dritte. Teilweise entwickelten sich gar Brieffreundschaften. Mit Leuten diskutieren, Konter bekommen, mein Argumentaium schärfen, das mag ich. Letzlich trainiere ich so meine Schlagfertigkeit.

Woran arbeiten Sie momentan?
Zurzeit schreibe und konzipiere ich viel. Kolumnen, neue Nummern für unser Stück L¨CKE und den Swiss Comedy Award. Das grösste Projekt ist ein Theaterstück, inspiriert von Molières «Der eingebildete Kranke». Für das Landschaftstheater Lenzburg schreibe ich eine Mundart Version, die im Heute spielt. Arbeitstitel «Die eingebildete Krankenkasse». Hauptperson ist die CEO einer Krankenkasse, Marianne Wille – nicht zu verwechseln mit Personen ähnlichen Namens.

Was ist Ihr kultureller Sommertipp?
Da ich hier in meinem Bunker hie und da dystopische Endzeitfantasien habe, empfehle ich die Lektüre von Marlene Haushofers «Die Wand». Das Schöne dabei: Man kann diese beklemmende Geschichte am Strand lesen, umgeben von Menschen und Wärme. Dystopien sind erträglicher, wenn rundherum Leben pulsiert. Vielleicht treibt es gar einen wohligen Schauer auf die Haut. Bei dieser Hitze ist auch diese Art der Abkühlung äusserst willkommen.

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NZZ am Sonntag

Überstorf Laufen Unterwasser Baden oder umgekehrt: Ein verschiffter Sommer! | Text erschienen am 21. Juli 2024 - 12 Stunden vor Joe Bidens Rückzug

Die Füsse im Wasser, den Kopf in der Sonne, da nützt auch kein Schirm.

Die Füsse im Wasser, den Kopf in der Sonne, da nützt auch kein Schirm. Er bewahrt uns höchstens vor dem Blick nach oben. Don’t look up. Wir fürchten den Blitzeinschlag aus der Gewitterwolke, den Cloud-Strike. Doch nicht die Wassermassen oder das erhitzte Meer sorgen dafür, dass weniger geflogen wird. Die wahre Bedrohung ist ein Software-Ausfall der Firma Crowd-Strike. Der Crowd-Streik hingegen bleibt aus, das Bestreiken der Flugreisen von klimabewegten Massen.

Überschwemmungen, Starkregen, selbst das Wallis, unser trockener, sonniger Südkanton, steht unter Wasser. Unerträgliche Hitze im Mittelmeerraum. Wo soll man noch hin? Sogar Sylt ist belastet. Bereits in den 1970er Jahren sang Rudi Carrell in seinem Sommerhit prophetisch: «Wir brauchten früher keine grosse Reise. Wir wurden braun auf Borkum und auf Sylt. Doch heute sind die Braunen nur noch Weisse, [. . .] denn schuld daran ist nur die SPD.» Heute wäre wohl eher Ursula von der Leyen schuld. An allem. Doch mit «Braune» war wohl nicht der politisch gefärbte Sumpf gemeint.

Das alles kümmert mich wenig, Ferien gibt’s nicht. Meine Tournee ist auf den deutschsprachigen Raum beschränkt und dicht. Es liesse sich kalauern: Egal, wie dicht mein Tourplan ist, Schiller war Dichter. Selbst er rezitierte möglicherweise beim Anblick des Bodensees bereits das Bonmot: «Wenn ich diesen See seh, brauche ich kein Meer mehr.»
Als Kleinkünstlerin halte ich mich daran, denn an die Küste komme ich selten. Dafür an die skurrilsten Orte, der Tourplan selbst liest sich wie Lyrik im Infinitiv: «Ueberstorf Laufen Unterwasser Baden». Scheint realistischer als «Unterm Dorf Baden und Übers Wasser Laufen». Letztgenannte Kunst wird einzig dem biblischen Jesus zugeschrieben. Heute wäre diese Art von Gottesbeweis ohnehin schwierig: Vor lauter Stand-up-Paddlern würde man Jesus gar nicht mehr übers Wasser laufen sehen.

Natürlich, korrigieren nun biologisch Bewanderte, gebe es auch andere Wasserläufer. Ja, aber die sind Insekten. In Sekten muss man nicht übers Wasser gehen, man fliegt über den Ozean und versammelt sich im Letzigrund zur Anbetung von Taylor Swift oder von Jehova. Bei ersterer kann die im Gleichtakt manifestierte, kollektive Begeisterung Erdbeben-Wellen auslösen. Die Zeugen Jehovas hingegen halten nichts von Partys. Die einzige Party, die gefeiert wird, ist ein Gottesdienst. Politisch mögen die patriarchal strukturierten Gläubigen der Republican Party eher zugewandt sein als den Demokraten, zumindest ennet dem grossen Teich.
Dort versammeln sich jetzt die Zeugen des Donalds und verbinden sich ihr Ohr wie einst van Gogh, «Vance go!» rufend, den designierten Trump-Vize mit La-Ola-Wellen anfeuernd, eine Masse von Angeschlagenen, ein kollektiver Streifschuss, ein Crowd-Strike, das Ohr rechts verschlossen gegen die gar nicht mehr so syltenen Heils-Rufe, das linke Ohr hingegen hört gar das woke Gras wachsen.

Statt Ferien mache ich mir deshalb einen Spass. Das Meeresrauschen hat mir geflüstert, dass Biden noch dieses Wochenende die Kandidatur zurückziehe, darauf wette ich. Falls ich verliere, werde ich mein Ohr mit einer Gaze verbinden, dann bin ich verbunden. Mit dem Meer, mit dem Volk, mit van Gogh und mit Schillers Wilhelm Tell, der sagt: «Der Starke ist am mächtigsten allein – verbunden sind auch die Schwachen mächtig!» So geht Pflästerli-Politik.

Über den grossen Teich oder ans Mittelmeer führt mich dies allerdings nicht. Ein Walliser fragte neulich, ob ich wenigstens einmal in seinem Kanton auftrete? Ich wollte verneinen, eher würde ich im Toggenburg spielen, da rief er triumphierend: «Doch! Du spielst ja im September in Zermatt!» Ich schaute auf den Flyer und verstand. Da stand: «September: Unterwasser».

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Kolumne für die Sommerausgabe von Land x Stadt | 2024

Dumm gelaufen

Mich bringt selten etwas zum Lachen, weshalb man mich nicht gerne in der ersten Reihe einer Comedy-Show sitzen sieht. Das einzige, was mich laut herauslachen lässt, ist unfreiwilliger Slapstick.

Mich bringt selten etwas zum Lachen, weshalb man mich nicht gerne in der ersten Reihe einer Comedy-Show sitzen sieht. Das einzige, was mich laut herauslachen lässt, ist unfreiwilliger Slapstick. Leute, welche in Pfosten laufen, ausrutschen, Pleiten, Pech und Pannen. Manchmal pfeife ich sogar einem rennenden Kind hinterher, damit es den Kopf dreht und weiter geradeaus in die nächste Wand rennt. Im Grunde ist es die archaische Schadenfreude, welche wohl bereits die ersten Menschen empfanden, wenn jemand über die Keule direkt in die Feuerstelle stolperte.

Stolperfallen gibt es ja zur Genüge und oft male ich mir aus, wie und wo der nächste Unfall passieren könnte. Dann durchfährt mich jeweils ein Schauer, genährt einerseits aus Furcht vor dem möglichen Unglück und andererseits aus wohliger Freude, dass es mir nicht passiert ist. Doch nun ist geschehen, was zu befürchten war: Es traf für einmal mich selber.

Dazu muss ich erst auf eine Besonderheit unserer Stadt hinweisen. Baden ist beschränkt. Fluss und Hügelzüge bedrängen den Stadtkern von allen Seiten. Wie eine grosse Barriere legt sich der Stein, der Schlossberg mit der Burgruine, über das Flusstal und trennt den Verkehrsknotenpunkt Schulhausplatz vom Bahnhof. Dieser Burghügel ist der Gotthard des Limmattals, die Alpentranversale des Mittellandes. Durchlöchert wie ein Emmetaler Käse von Eisenbahn, Hauptstrasse und einer Tiefgarage. Ein gewöhnliches Parkhaus, könnte man denken, nahe beim Bahnhof und bei den Einkaufsmöglichkeiten. Doch die Tunnel-Garage ist ein Phänomen: Wie die Eingeweide eines grossen Körpers durchzieht dieser Schlauch von Parkhaus die Stadtmitte. Da gibt es geheime Gänge, Kammern und halbverstecke Ein- und Austrittspforten. Das Parkhaus ist für Velofahrerinnen oder Fussgänger die schnellste Möglichkeit, um vom Bahnhof zum Schulhausplatz zu gelangen. Selbst E-Roller flitzen vorbei an Pollern, Barrieren und Mietparkplätzen, die nur mit spezieller Einfahrtskarte zu erreichen sind. Ich bin stolze Besitzerin seiner solchen, da sich mein Studio in der Nähe befindet.
Normalerweise fahre ich mit dem Velo zum Studio oder gehe zu Fuss. Es gibt keinen separaten Eingang für den Langsamverkehr. Fahrräder und Passantinnen drängen sich neben der Autospur an der Barriere vorbei, welche an Wochenenden ohnehin oben bleibt.
Ich musste also durch besagtes Parkhaus zu meinem Studio, war kurz die Parkkarte holen gegangen, um meinem Techniker die Einfahrt zu ermöglichen und marschierte nun direkt hinter dem Wagen, statt wie für zu Fuss gehende vorgesehen, ganz links an der Wand. Den Blick auf das vor mir fahrende Auto gerichtet, traf mich plötzlich der Schlag. Denn dass die Schranke hinter dem Auto wieder runter kommt, hatte ich vergessen.

Folgende Erkenntnisse ereilten mich im Nachgang und im Austausch mit der spöttisch kommentierenden Meute auf Social Media:
– Dumm gelaufen
– Ich hätte lieber ein Brett vor dem Kopf, als eins auf der Nase
– Manchmal wird man in die Schranken gewiesen
– Falls die Ärztin nachfragt: Ein klarer Fall von parkhäuslicher Gewalt!
– Nicht alles Gute kommt von oben
– Wenn die Latte zu tief liegt, ist es kein gutes Zeichen. Das Problem beginnt schon damit, dass die Latte liegt.
– Manchmal helfen auch Frauenparkplätze nicht dagegen, dass man im Parkhaus k.o. geschlagen wird.
– Endlich ergibt es Sinn, dass man solche Barrieren «Schlagbaum» nennt!
– „Latte in die Schnauze zum Frühstück“ hat nun mindestens drei Bedeutungen
– Parkhäuser barrierefrei! Jetzt!
– Keine Schadenfreude mehr. Das Karma schlägt zurück.

Lustig war es natürlich trotzdem. Zumindest nachdem ich wieder bei Sinnen war. Manche bedauern, dass das Malheur nicht als Film angeschaut werden kann. Natürlich habe ich mich nach dem Überwachungsvideo erkundigt. Man teilte mir mit, dass das Video nicht mehr existiere.
Die Speicher-Dauer der Videos bei der Stadt Baden sei auf 72 Stunden … beschränkt.

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Mieterschutzverband | Juni 2024

Steigende Mieten?

Hört doch auf zu jammern! Miete zu hoch, Miete zu teuer, Mimimi-Miete. Mietet halt kleinere Wohnungen und spart euch das Putzpersonal!

Hört doch auf zu jammern! Miete zu hoch, Miete zu teuer, Mimimi-Miete. Mietet halt kleinere Wohnungen und spart euch das Putzpersonal!

So löst man die Miet-Life-Crisis!

Ich wurde gebeten für das M+W (Mieten + Wohnen) einen satirischen Text zu schreiben. Selbst Bundesrat und Weinbauer Guy Parmelin (SVP) kann die Augen vor dem Problem der steigenden Mietzinse nicht mehr verschliessen und hat ein „Massnahmenpaket“ vorgestellt. Der Vermieter Hausi Zinsli freut sich über diesen Etikettenschwindel und schreibt seinem alten WG-Kumpel Parmelin einen Brief:

Lieber Guy Parmelin

You’re a good Guy! Du hast den Mietenden ein Massnahmenpaket verkauft. Danke! Als Vermieter verstehe ich gar nicht, warum die dauernd jammern! «Miete zu hoch!», «Miete schon Hälfte des Lohnes!», «Mietzins kriminell!», «Mimimi-Miete hier, Mimimi-Miete da!», eine einzige Miet-Life-Crisis!

Klar, meine Mietzinse sind leicht in den nicht mehr ganz legalen Bereich geklettert. Aber was soll ich machen, Guy? Weinen? Die Leute zahlen es! Das ist der Markt. Wer mietet mehr? Du musst deinen Wein auch zum bestmöglichen Preis verkaufen.

Mein Leitspruch ist:

«Kriegen wir die tiefsten Mieten,
sind wir Vermieter miese Nieten!»

Pro Wohnung bekomme ich bloss etwa 370 Franken zu viel monatlich. Das ist vertretbar. Mit diesen 370 Franken könnten die Familien im Januar natürlich die jährliche Serafe-Gebühr bezahlen für TV und Radio. Aber Guy, dann würden die vielleicht noch durch die Konsumenten-Sendungen erfahren, dass sie eigentlich gegen missbräuchliche Mietzinse klagen können.

Im Ganzen macht das nur 4440 Franken für mich pro Wohnung, die ich zu viel einnehme. Das ist doch kein Wahnsinns-Betrag. Damit kann ichnicht mal meine Putzfrau bezahlen. Sollen die Mietenden sich halt kleinere Wohnungen nehmen und selber putzen! Da soll der David Roth, der dir, dem grossen Guyliath, sogar das Departement wegnehmen will, der soll mal feucht durchwischen in der Küche. Vielleicht verschwinden dann die mit Roth durchzogenen Flecken und alles erstrahlt in liberalem Blau. Und die Jacqueline kann im Bad-ran!

Guy, du als Senior weisst, die zu hohen Mietzins-Renditen fliessen quasi fast direkt in die Pensionskassen, die sind die grössten Immobilien-Besitzerinnen. Das ist ein Perpetuum immobile: Sind die Pensionskassen nicht gut gefüllt, können sich die Alten das Wohnen ja gar nicht mehr leisten bei diesen hohen Mieten.

Der Zweck heiligt die Miete!

Lieber Guy, du hast das Beste aus der Situation gemacht! Ein Massnahmen-Paket, das so viel wert ist wie ein Altpapierbündel aus fehlerhaften Weinetiketten!

Einfach Verordnungen, die schon längst gelten, hübsch aufgeschrieben. Verordnungen, die wir nicht wirklich einhielten, es hat ja niemand hingeschaut. Du kennst das! Den Mietenden geht es mit diesem Verordnungs-Stapel wie dir mit deinem Wein: Sie haben ihn noch nie selber gelesen!

VMWG klingt ohnehin nicht nach Verordnung, sondern nach einer WG! Die VMWG, die Ver-Mieter-WG, in der wir uns gemütlich einrichten, solange niemand mit einem nervigen Ämtli-Plan winkt. Ämtli gäbe es einige:

  • Wir müssten schon lange das effektive Ausmass der Kostensteigerung ausweisen (Artikel 12 Abs. 1bis VMWG), blablabla, langweilig. Es ist doch für alle einfacher, wenn wir die Miete pauschal erhöhen.
  • Lieber Guy, nun noch etwas Kritik: Über Jahrzehnte konnten wir uns auf nicht ganz legale Art (Art. 16 VMWG) die Teuerung über steigende Mieten ausgleichen lassen, das war die bessere Geldanlage als jedes Bankkonto! Die Bank gibt ja leider nicht mehr Geld, nur weil alles teurer wird! Als Vermieter jedoch kann ich einfach die Teuerung von der Mieterin begleichen lassen. Die bezahlt mir die Rendite auf mein Eigenkapital! Ein bisschen wie bei einer guten Flasche Wein, Guy, die einen immer grösseren Wert bekommt, selbst wenn sie bescheiden schmeckt. Wie clever ist das denn? Gut, wir haben zwar über Jahrzehnte ein bisschen allzu viel Rendite gemacht, das lag an einem Rechnungsfehler, der nun leider korrigiert werden soll. Das ist bedauerlich, Guy, ich würde gar sagen, das ist für mich als Vermieter ein echter Wermuths-Tropfen.
  • Eine Rechtsbelehrung hast du ihnen als Massnahme verkauft! Ein Hinweis, der schon lange galt (Artikel 19 Abs. 1 Bst. a Ziff. 6 VMWG): Dass sie überrissene Mieten anfechten können, wenn sie diese mit Konkurrenz- Wohnungen im Quartier vergleichen! Konkurrenz ist ein unschönes Wort, nennen wir es spasseshalber «Miet-Bewerber»! Diese «Massnahme», Guy, ist ein wahrlicher Winzer-Schachzug. Alter Wein in neuen Schläuchen.
  • Und dann schreiben wir noch Teuerungs-Stand und Referenz-Zinssatz hin, den wir bei der Zins-Berechnung verwendeten (Art. 19 Abs. 3 VMWG). Und hoffen, dass die Mietenden nicht besser rechnen können als die Behörden, welche uns alles durchgehen liessen.

Solange niemand weiss, was die Vorgänger bezahlten, können wir denen alles erzählen! Die glauben sogar, dass Zuwanderung und Wohnungsknappheit schuld seien! Dabei bauten wir wie im Vollrausch bis 2021, als der Hypothekarzins tief war. Trotz mehr Wohnungsangebot verlangten wir stets mehr Mietzins.

Weisst du warum, Guy? Weil die Leute wohnen müssen! Ha! Weil sie nicht warten können mit Wohnen, bis es sich lohnt! Wir mit Bauen aber schon! Die Mietenden sind die Alkis, die den Fusel brauchen.

Drum kaufen sie jeder Flasche den Etikettenschwindel ab.

Prost! Dein alter WG-Miet-Bewohner
Hausi Zinsli

PS: Hast du bemerkt, wie korrekt ich «Mietende» gendere?
Wenn die mir nämlich nicht genug zahlen wollen, kommt es für Mietende schnell zum Miet-Ende.

Ende.

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NZZ am Sonntag | 23. Juni 2024

Schweiz – das Land der 1000 Gipfeli.

Dass im Alpenland Schweiz regelmässig Gipfelkonferenzen stattfinden, scheint folgerichtig.

Dass im Alpenland Schweiz regelmässig Gipfelkonferenzen stattfinden, scheint folgerichtig.

Höhepunkt des Friedensgipfels war das ikonische Foto mit den Machthabern der Welt und unserer Bundespräsidentin am Bürgenstock. Die anderen standen steif in Reih und Glied, als wollten sie die Hymne singen vor dem Anpfiff eines EM-Spiels. Nur Amherd tanzte aus der Reihe, zeigte sich vornübergebeugt, flexibel und biegsam wie die Schweiz. Als wolle sie sagen: «Wir möchten gern für Frieden bürgen. Stock haben die anderen im Hintern.»

Möglicherweise handelte es sich hinter verschlossenen Türen ohnehin nur um eine Grosskatzen-Börse zum Verscherbeln von Leos und Handeln von Tigern.Grossanlässe sind die Spezialität unseres kleinen Landes. Nächstes Jahr findet der ESC in der Schweiz statt. Ein Gipfel der Leichtigkeit, Freude und des Hedonismus. Noch ist nicht klar, wer ihn moderieren soll. Hazel Brugger wohl eher nicht, sie gilt inzwischen als Aushängeschild der deutschen Comedy. Trotzdem war sie die Schweizer Vertretung am Comedy-Gipfel im Vatikan, wahrscheinlich weil Viola Amherd grad keine Zeit für den Papst hatte, da sie bei den weltlichen Führern den Bückling machen musste. Auch sie kommt nicht in Frage für die ESC-Moderation, das geneigte Publikum sollte ja verstehen, was gesagt wird. Susanne Wille fällt auch weg, sie hat jetzt eine grosse Aufgabe. Aufgeben gibt es nicht für sie. Kampfwille ist ist ihr zweiter Name. Verständlich, dass die SRG jetzt eine Frau an der Spitze hat – die Palliativpflege von sterbenden Patienten war schon immer Frauensache.

Auf keinen Fall darf Sascha Ruefer den ESC moderieren, sonst zappt Geri Pfister zur ARD. Lieber deutsche Schreier als einheiimische Ruefer. So verliert das SRF auch noch die Mitte der Gesellschaft. Rösti könnte die Gebühren gleich abschaffen, statt uns lumpige drei Franken monatlich einzusparen.

Pfisters deutsche Moderatoren verniedlichen gerne alles Schweizerische. Der Gipfel zum Gipfeli. Eine Gipfeli-Konferenz ist aber kein Spitzen-Treffen, sondern das Teamzimmer einer Schule um 10 Uhr. Falls die Lehrkräfte vor lauter Integrieren überhaupt noch Pause machen könne. Wenn 21 Verhaltensauffällige in 5 Angepasste hineinintegriert werden sollen, ist das etwa wie Sibylle Bergs Ruf, dass die EU der Schweiz beitreten solle. Kein Wunder, möchte der Aargauer FDP-Ständerat Burkart wieder Sonderschulen einführen, er besucht ja selbst die betreute Lerngruppe, die Gipfelkonferenz der Kantone, die Kleinklasse des Parlaments. Dort sollte man ihm beibringen, dass die von ihm gewünschte Schulreform viel teurer wäre als eine einfache Klassenverkleinerung.

Die Männer-Fussball-EM, diesen Gipfel des archaischen Spieltriebs, hätte ebenfalls die Schweiz ausrichten können. Bei uns wäre es wirklich ein Sommermärchen. Wir feiern den Sommer, er kommt erst gerade richtig in Fahrt und die meisten finden ihn ziemlich heiss. Vor allem aber hoffen wir, dass er hält. Gerade dann, wenn der Sturm aus Deutschland daher fährt.

Aber eine Schwalbe bodigt noch keinen Sommer, eine Schwalbe macht noch keinen Summit, eine Schwalbe ist eine eingebildete Krankheit auf Fussballrasen. Fallsucht. So nannte man früher Epilepsie. Den wirklich Hypochondrischen allerdings sollten wir ein Gipfeltreffen gönnen. Die Konferenz der eingebildeten Kranken. Gesponsort von Pharma-Firmen, die ihre Produkte auf Kosten der Krankenkassen verscherbeln. Pharma-Geddon. Noch passender wäre Homöopathie. Eingebildete Wirkstoffe gegen eingebildete Krankheiten, Hauptsache der Kreislauf bleibt in Bewegung. Auch jener der Wirtschaft. Die einzigen Waffen, die es bräuchte, wären Zuckerkügelchen und Place-Bohnen, die Platzpatronen der Medizin.
Danach wäre es allerdings an der Zeit für einen echten Kriegs-Gipfel. Mafiosi von Japan und Italien, den USA treffen auf die neue asiatische Achse des Grössenwahns.

Spätens wenn Viola Amherd bei der Eröffnung auf Wallisserdeutsch erklärt, dass wir mit 300 Franken pro Haushalt ein dreisprachiges TV- und Radioprogramm finanzieren, die EU zur Übernahme von Schweizer Gesetzen bewegen und Kinder in 27er-Klassen individuell unterrichten wollen, derweil Ruefer moderiert, haben die Machthaber Russlands und Chinas mehr zu lachen als beim päpstlichen Comedytreffen. Bei Kafi und Gipfeli vergessen sie, wofür sie eigentlich kriegen.

Kriegen sie für ihre Ideen? Für Macht? Kriegen sie für ihr Land? Wir wissen es.
Wir kriegen das Geld.

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Wie Freitag, der 13. für mich zu einem Glückstag wurde

Es war Freitag, der 13. und der Tag machte seinem schlechten Ruf alle Ehre. Für mich lief alles schief. Zuerst sagten mir meine Musiker, die crazy Vögeli-Zwillinge ab, obwohl ich einen Vertrag hatte und eine Show spielen musste. Zum Glück sprang Philippe ein, ihn hatte ich einige Monate zuvor kennen gelernt, ein guter Musiker, einer mit Humor und viel mehr Bühnenerfahrung als ich. Da waren wir also, an diesem Freitag, dem 13. Juni vor genau 10 Jahren, standen in einem Musik-Zimmer der Schule Oberentfelden. Oberentfelden ein Kaff neben Aarau, gleich neben dem allerletzten Kuh-Dorf «Muhen», so heissen Dörfer in der Schweiz.

Die Aula der Schule hatten wir nicht bekommen, weil da grad noch das Schulschlussessen der Lehrpersonen stattfand. Dabei sind Lehrpersonen, wie es Renato Kaiser so schön sagt, das bedingungslose Grundeinkommen für Kabarettistinnen und Kleinkünstler. Unsere Haupt-Klientel konnte also nicht kommen. Der Raum war ungeeignet. Draussen war es heller Tag um 20 Uhr, wie das so ist im Juni, gefühlte 30°, wer konnte, war in der Badi oder zu Hause am Grillieren (für die Deutschen: Ja, wir nennen das «Grillieren», wir grillen nicht, Grillen sind Insekten und in Sekten gibt es auch kein Kabarett.). Es war aber nicht nur heiss, hell und Schulschlussfeier.

Es war auch WM. Brasilien spielte um den 3. Platz. Public Viewing, statt Kleinkunst-Publikum. Brazilian Vibes, statt brave Weiber. Auf mich unbekannte Newcomerin hatte niemand gewartet an diesem Abend.

Es waren drei Leute im Publikum. Und rund sieben Veranstaltende.

Ich stand neben Philippe, der als Musiker schon Tausende Gigs gespielt hatte, hinter dem improvisierten Vorhang, einen Backstage gab es nicht. Ich schaute ihn fragend und verunsichert an. Was tun wir? Er nahm meine Hand, hielt sie, als würde er sie nie wieder loslassen, und sagte: «Wenn es mehr Leute im Publikum hat als auf der Bühne, dann spielen wir. Wir spielen für die Menschen, die hier sind. Und für die spielen wir, als ginge es um unser Leben.»

Seither sind 10 Jahre, 3 Bühnenprogramme mit Tourneen, 2 eigene Fernsehshows und 1 Pandemie vergangen. Ich habe Philippes helfende Hand nie mehr losgelassen. Wir hatten nie wieder so wenig Publikum wie an jenem Freitag, dem 13. Wir haben gespielt an jenem Abend. Und heute weiss ich: Es ging tatsächlich um unser Leben.

Danke Philippe für 10 crazy Jahre!

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Ladies Drive | Sommer 2024

Ich bin nicht Superwoman, mais je ne regrette rien!

Eier legende Wollmilchsäue sind nicht per Zufall weibliche Wesen. Eier legend Nachwuchs produzieren, mit Wolle Kleider und Wärme zur Verfügung stellen und schliesslich fürs leibliche Wohl sorgen: Schon immer waren die Frauen multitaskend produktiv und reproduktiv.

Eier legende Wollmilchsäue sind nicht per Zufall weibliche Wesen. Eier legend Nachwuchs produzieren, mit Wolle Kleider und Wärme zur Verfügung stellen und schliesslich fürs leibliche Wohl sorgen: Schon immer waren die Frauen multitaskend produktiv und reproduktiv. Derweil die Männer auf gefährliche Spezial-Operationen fokussieren und im schlimmsten Fall getrost sterben konnten. Der frühe Tod der Männer ist zwar bedauerlich, steht aber oft mit risikoreichem Verhalten in Verbindung. Ne rien regretter, nichts zu bereuen blieb deshalb meist den Männeren vorbehalten. Frauen hingegen waren vorwiegend im Zusammenhang mit Fortpflanzung vom frühen Tod betroffen. Vergewaltigungen und Geschlechtskranheiten, Tod bei der Geburt, im Wochenbett oder durch Stillen – während Jahrtausenden war das Leben der Frauen ironischerweise ausgerechnet durch ihren Beitrag zur Arterhaltung gefährdet. Der, bei aller Liebe, doch eher bescheidene männliche Beitrag zur Fortpflanzung ist nicht annähernd so tödlich. Das nennt dann wohl «Beitrags-Lücke».

Inzwischen können sich auch Frauen risikoreiches Verhalten leisten. Edith Piaf, «der Spatz von Paris» singt in ihrem viralste Hit, dass sie nichts bereut. Seit die Medizin Fortschritte gemacht hat, begünstigt die Evolution nicht mehr in jedem Fall das angepasste Verhalten, welches lange für Frauen und Nachwuchs wichtig war. Nicht mehr die Fittesten pflanzen sich am erfolgreichsten fort, sondern jene, die nicht verhüten. Böse Zungen würden gar behaupten, das Rad der Evolution drehe rückwärts, seit Verhütung Kopfsache sei. Den Kopf bei der Sache zu behalten ist vor allem dann nicht einfach, wenn man mehrere Sachen gleichzeitig im Kopf hat: Den eigenen Job, die Agenda der Vorgesetzten, den Team-Ämptliplan, Einkaufslisten, Kindergeburtstage, Stillen, Wickeln, Wäsche während des Teams-Calls, Termine der Liebsten, Ferienplanung. Denn oft bleibt der so genannte Mental Load, sowohl der familiäre als auch der berufliche, an den Frauen hängen, auf Kosten ihres beruflichen Fokus, zu Lasten ihrer eigenen Brillanz in ihrem spezifischen Themenbereich. Frauen wird oft nachgesagt, sie übertreffen die Männer darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Das stimmt nicht. Die wenigsten Frauen sind multitaskende Superwomen.

Frauen können nicht besser Multitasking. Sie müssen Multitasking.
Dass sie all diese Aufgaben übernehmen, mag mit dem evolutionären Erbe zu tun haben. Wer nicht nicht umsichtig für ein angenehmes und sicheres Nest sorgte, wer Gefahren nicht frühzeitig erkannte, wer nicht für den Nachwuchs sorgte und gleichzeitig die anfallende Arbeit erledigte, riskierte Tod und Verderben der Familie. Frauen, die nicht jederzeit auf mehreren Ebenen funktionierten, bereuten dies hart, weshalb im Laufe der Evolution das durchschnittliche Gehirn der Frauen anders verdrahtet wurde, als jenes der Männer.
Dazu existieren Studien mit überraschenden Erkenntnissen. So wurde Frauen und Männern pornografisches Material vorgelegt, während sowohl körperliche Erregung als auch Hirnströme gemessen wurden. Danach wurden die Studien-Teilnehmdenen gefragt, wovon sie erregt worden seien. Die Männer liessen sich von Pornos erregen, die ihrem eigenen sexuellen (Wunsch-) Verhalten entsprachen. Ihre Antworten stimmten überein mit der an ihrem Körper gemessenen Erregung, sie wussten genau, wovon sie sich hatten heiss machen lassen. Die Frauen hingegen liessen sich so ziemlich von allem erregen, offenbar sogar von kopulierenden Tieren, das konnte man am Körper und im Gehirn nachweisen. Allerdings gaben sie danach an, nur durch jene Filme erregt worden zu sein, welche ihren eigenen (Moral-) Vorstellungen von Sexualität entsprachen. Man könnte daraus schliessen, dass die Frauen einfach logen.

So einfach ist es allerdings nicht. Denn bei den Männern waren während des Pornokonsum tatsächlich nur die für Sexualität zuständigen Hirnregionen aktiv (wen wundert’s), bei den Frauen jedoch das ganze Gehirn. Alle Areale, welche Kontrollfunktionen ausführen, hielten die Frauen in Schach. Wohl deshalb sprangen sie nicht auf alles drauf, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Ansonsten hätten sie im Vor-Verhütungszeitalter einiges zu bereuen gehabt.

Es sollte reichen, nur etwas zu können, den Spatz in der Hand zu haben, statt die Eier legende Wollmilchsau auf dem Dach. Es sollte reichen, nicht Superwoman oder Edith Piaf zu sein. Ich bereue nichts. Nur dies vielleicht, dass ich bei allem Fokus vergass, meinen viralsten Hit mit einem Copyright zu schützen. Seit ich das Gedicht im deutschen Fernsehen vortrug, wird es auf Grusskarten, T-Shirts und Kaffee-Tassen gedruckt oder als Meme verschickt, ohne dass jemand weiss, dass es eigentlich von mir stammt. Nun soll es auf meinem Grabstein stehen, die Ode an eine grossartige Legehenne, die nur eins konnte, aber das legendär gut:

Eine
Eier legende
Eier-Legende
kommt zu ihrem
Eier-Leg-Ende.
Ende

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Schulblatt Aargau/Solothurn | Juni 2024

BRAUCHT ES NOTEN FÜR DEN GUTEN TON? SCHULE NACH NOTEN?

Ein Ton, auf gut Schweizerdeutsch «E TON», rückwärts gewandt ergibt «NOTE». Manchmal überwiegen Misstöne, zu hoch, zu tief. Oft ist es ein Kreuz. Eine Dis-Harmonie. «A D H Dis» statt «A D H Es», eine enharmonische Verwechslung.

Ein Ton, auf gut Schweizerdeutsch «E TON», rückwärts gewandt ergibt «NOTE». Manchmal überwiegen Misstöne, zu hoch, zu tief. Oft ist es ein Kreuz. Eine Dis-Harmonie. «A D H Dis» statt «A D H Es», eine enharmonische Verwechslung.
Dasselbe mit den Schul-Noten. Oft zu hoch, zu tief, Grund für Disharmonie zwischen Kindern, Eltern, Lehrpersonen. Fünf Sprossen auf der Tonleiter, fünf Möglichkeiten für Konflikte. Für gewisse Kinder ist das Zeugnis keine Erfolgsbilanz, sondern ein Stapel Blätter, der das Versagen dokumentiert. Ein Scheiter-Haufen.

Lehrpersonen haben nebst Lehr- und Förderauftrag auch die diametral entgegenstehende Selektionsaufgabe. 6, 5, 4, – Bez, Sek, Real. Realität ist, dass Noten nur bedingt das Potenzial voraussagen können.
In Physik-Prüfungen erhielt ich jeweils einen Abzug, wenn ich zu viele Kommastellen ausrechnete. Der Lehrer bemerkte: «Pfui! Nur BEDEUTSAME Ziffern!», das Resultat dürfe nicht genauer sein als die gegebenen Bedingungen (ironischerweise berechnete er Noten bis auf drei Dezimalstellen).

Gegebene Bedingungen für die Leistungsmessung bei Kindern sind noch viel ungenauer und verworrener. Sozio-ökonomische Umstände, Sprachenvielfalt, Neurodiversitäten wie ADHS beeinträchtigen die Prüfungsresultate. Herrscht kein Selektionsdruck, machen Noten zur Beurteilung überhaupt keinen Sinn. Dass sie nicht leistungsfördernd sind, zeigen alle Studien dazu. Sie dienen einer Schein-Vergleichbarkeit, es sind weitgehend unbedeutsame Ziffern. Trotzdem wird genau diese Einordnung politisch verlangt. Eine Motion der SVP will gar die Notenpflicht in der Unterstufe zurück.

Den Lehrpersonen müssten einfache Instrumente gegeben werden, mit denen sie ohne Notenblatt das Potenzial der Lernenden verorten und den Eltern verständlich kommunizieren können. Noten-Frust und Misstöne könnten überwunden werden. Fördern, statt nur fordern:
«Es braucht nur etwas Noten-Druck, das Kind könnte schon, wenn es wollte» würde vielleicht endlich ersetzt mit: «Das Kind würde schon wollen, wenn es könnte.»

Die Noten dürften endlich auf dem Scheiterhaufen der Geschichte landen. Es sei denn, die SVP wolle mit der Motion absichtlich Schulkarrieren zum Scheitern bringen. Denn Studien zeigen auch: Je kürzer die Schulbildung*, desto eher wird rechtspopulistisch gewählt. Die rückwärts gewandte Sicht ergäbe so einen Sinn.

*(Mit Intelligenz hat das nicht direkt zu tun. In der Schweiz kennt man ohnehin auch das umgekehrte Phänomen. Je länger ausgebildet und je reicher, desto eher wird ebenfalls rechtspopulistisch gewählt. Da weiss man dann auch, warum.)

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5 Proves NEMO actually is Switzerland

NEMO is not female, not male, but neutral like Switzerland
NEMO is Latin for nobody
NEMO is a good OMEN, even from behind
There is NO ME in NEMO, humble like Switzerland
NEMO like Swiss flag is for some a red flag but winning the ESC, with a big plus

 

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NZZ | Mai 2024

Nemo und Martullo-Blocher sind ideale Botschaftspersonen für die Neutralität

Die Schweiz sollte ihre Synergien besser nutzen und vermehrt Ungewöhnliches zusammenlegen, Volksbegehren etwa oder ihre Aktivitäten zur Neutralität.

Die Schweiz sollte ihre Synergien besser nutzen und vermehrt Ungewöhnliches zusammenlegen, Volksbegehren etwa oder ihre Aktivitäten zur Neutralität.


Die Schweiz hat eine solide Basis-Demokratie, welche ironischerweise Berge an Bürokratie verursacht. Zum Glück sind wir eine Nation von Kletterbegeisterten. Sobald jedoch der Gipfel erklommen ist, gelten eigene Gesetze. Da braucht es keine Höflichkeitspronomen mehr, da nennt man sich beim Vornamen. Der Bürokratieberg liesse sich abbauen, wenn die verschiedenen Volksbegehren im Sinne der Ressourcenschonung zusammengelegt würden. Die Initiative gegen die Impfpflicht hätte man mit derjenigen gegen hohe Krankenkassenprämien koppeln können. Obligatorische Impfungen kosten die Krankenkassen viel zu viel. Freiheitsliebende könnten für die körperliche Unversehrtheit freiwillig auf alle invasiven Eingriffe verzichten. Die Biodiversität auf Mikrobenbasis dürfte wieder Einzug halten, Pocken- und Masernviren könnten sogar helfen, die 10-Millionen-Schweiz zu verhindern. Freier Wettbewerb der Natur.

Die Stromgesetzpropaganda hätte direkt vom Komitee für die Gesundheitskostenbremse übernommen werden können. Warum nicht alle Fitnessstudios des Landes verfassungsmässig zur Stromerzeugung zwingen für den Dreifachnutzen? Gesundheit und Strom durch Leibesertüchtigung! Energie sparen, Strom erzeugen, Gesundheitskosten senken. Bevor irgendeine Therapie verschrieben wird, sollen Versicherte erst einmal fünf Terawattstunden Bank drücken und Gewichte stemmen gehen. Genau dort bräuchte es Planungserleichterungen und Bürokratieabbau. Muskelbepackte gelten zwar nicht als die grössten Leuchten, aber sie könnten diese zum Strahlen bringen. An der Wand des Gyms stünde die Inschrift: «Reine Schweizer Muskelkraft! Keine fremden Lichter!» Direkt daneben die Mahnung an die bemuskelten Testosteronberge: «Bitte hier nicht anlehnen. Die Wand könnte umfallen. Der Klügere gibt nach.»

Für die Zukunft sollte jedes links-grüne Klimabegehren mit rechtsliberalen Steuererleichterungsinitiativen kombiniert werden. Am meisten CO2 verursachen ja die Reichen, egal, ob sie grün oder konservativ wählen. Werden Reiche bevorzugt und wird Wirtschaftsmigration von Armen verhindert, ist das die einzige effektive Klimamassnahme. Denn so wird dafür gesorgt, dass die Armen arm bleiben.

Am wichtigsten für unser Land aber bleibt eine unparteiische Position.

Menschen in der Schweiz sollen neutral sein dürfen, sich nicht auf die eine Seite schlagen müssen, den Profit und die Privilegien beider Seiten geniessen können. Das will die SVP-Neutralitätsinitiative. Und das Volksbegehren für eine Änderung im Schweizer Pass.

Ukraine-Russland, Israel-Gaza, Osten-Westen: Die Schweiz kann wahnsinnig gut neutral. Ausser beim Geschlechtseintrag.

Es braucht mehr als einige bunt schillernde Kulturschaffende, welche nicht mehr mit Pronomen wie «sie» und «er» adressiert werden möchten. Hier lauert Synergiepotenzial. Als Botschaftsperson könnte Sarah Regez von der JSVP auftreten, sie liebäugelt mit Rechtsextremen und hat Street-Credibility im alpinen Heidi-Land und das Zeug zum nonbinären Bad Boy: «Nicht hot, nicht cool, sondern lauwarm: heute Bad Regez in Bad Ragaz». Noch besser wäre Nemo, eine inzwischen international bekannte Figur, die mit Oper und Rap, mit Rock und Hose die Kulturen verschiedener Kontinente verbindet. Eine Person, die sich durch Mode, Look, durch Mimik, Gestik und Verhalten nicht in eine Schublade zwängen lässt. Ganz ähnlich wie Magdalena Martullo, auch sie ist eine wunderbare Botschafterin für die Neutralität. Zum einen steht sie für das Lokale und Patriotische, zum andern hilft sie, im fernen China Arbeitsplätze zu schaffen und wirtschaftliche Beziehungen mit dem Westen aufrechtzuerhalten. Dies ist nicht nur Kriegsprävention, sondern urschweizerische Neutralität: Wir nehmen das Geld von allen. Wohlstand kommt schliesslich von ungefähr. Zudem werden dieser weiblichen SVP-Führungsfigur Eigenschaften nachgesagt, welche traditionell eher männlich konnotiert sind. Sie zeige Durchsetzungsstärke, Führungswillen, Karrierefokus oder gar eine gewisse Rücksichtslosigkeit. Ich sehe bereits das Abstimmungsplakat: Nemo und Martullo spazieren Hand in Hand, generationenübergreifend, für eine friedliche, diverse und neutrale Schweiz über eine Brücke aus Regenbögen ans andere Ufer. Über den Rhein zu Beat Jans. Und der darf die Neutralität dann umsetzen.

Weisst du, Beat, am einfachsten wäre es, den Geschlechtseintrag zu streichen, der stand früher auch nicht im Pass. Mit dem Pass ist es doch wie mit jedem anderen Gipfel: Wenn man angekommen ist, braucht es keine Pronomen, da reicht ein Vorname.

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Migrosmagazin | Mai 2024

Liebe Mutter

Ich habe gelogen in jedem Muttertags-Gruss «Mit Liebe für dich gemacht von deiner Tochter». Denn ich häkelte, strickte, nähte nie mit Liebe. Ich konnte es einfach nicht.

Ich habe gelogen in jedem Muttertags-Gruss «Mit Liebe für dich gemacht von deiner Tochter». Denn ich häkelte, strickte, nähte nie mit Liebe. Ich konnte es einfach nicht. Deine Künste als gelernte Schneiderin waren ohnehin unerreichbar. Handarbeit war mir auch verhasst, da für Mädchen obligatorisch, für Jungs verboten. Genauso wie Hauswirtschaftsunterricht, welchen die Mädchen besuchen mussten, während die Jungs Mathe lernen konnten. Das schien mir so ungerecht wie das einmalige Feiern des Muttertages, denn Mütter haben jeden Tag Muttertag. Das Kissen, muss ich dir beichten, war nicht von mir. Ein Jahr lang machte ich Anitas Mathe-Aufgaben, damit sie mir das Kissen mit fremder Tochterliebe bestickte. Das Kissen ist längst weg, mein schlechtes Gewissen inzwischen auch.

Mit Liebe für dich erzählt von deiner Tochter.

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Kolumne NZZ am Sonntag | April 2024

Brennstäbe und brennende Bäche – der Bundesrat zu Besuch im feurigsten Kanton der Schweiz

Mit ihrem Ausflug in den Aargau beugte die Landesregierung einem Burnout vor. Und tatsächlich: Sie erfuhr im Energiekanton einen kollektiven Vitalisierungsschub!

Mit ihrem Ausflug in den Aargau beugte die Landesregierung einem Burnout vor. Und tatsächlich: Sie erfuhr im Energiekanton einen kollektiven Vitalisierungsschub!

«Fürio, de Bach brönnt, d Suhrer händ ne azündt, d Aarauer händ ne glösche, d Chüttiger rite-n-uf de Frösche!», so singen die Schulkinder am Aarauer Volksfest, dem Bachfischet. Im Spätmittelalter konnten die kleinen Kinder bei der feierlichen Bachreinigung direkt Fische und Krebse aus dem trockengelegten Bachbett holen.

Mit Trockenheit kennt sich Frau Amherd bestens aus. Im Wallis gibt es fast mehr Weihwasser als Regen, die Aprikosen werden in diesem Klima extra reif, und man fischt eher nach kleinen katholischen Kindern als nach Krebsen. Petri Heil! Oder Wolfgang Petri. Als Schweizerdeutscher Imperativ verstanden: «Wolf, gang!» (sonst kommt Rösti und erschiesst dich!). Weder Bachfischet noch Wölfe waren aber der Grund für den Besuch der Bundespräsidentin in Aarau. «Bundesrat extra Muros» lautete das Motto für die Mutter der Mitte. «Extra Muros» klingt, als wäre der Bundesrat «extra reif», ja überreif, um Mauern zu sprengen, auszulüften. Ein Bundesrat ohne Maurer, ausserhalb von Bern, out of Bern. Burnout-Prävention.

Dabei brennt in Bern nicht mehr viel. Die Brennstäbe zu Mühleberg haben ausgedient, ganz wie im Moulin rouge, wo das Flügelrad auf die Strasse gefallen ist. «Ds Mülirad isch broche und d Liebi hett es Änd.»

Der Aargau ist eine Pufferzone, um nicht zu sagen, eine Puffzone, ein langer Strich entlang der A1.

 

Die Präsidentin unseres Landes lobte den Aargau als Klammer im Mittelland. Damit hat sie natürlich unrecht. Der Aargau ist, grammatikalisch gesprochen, keine Klammer. Der Aargau ist ein Trennstrich. Alle sind froh, dass er Zürich von Basel trennt, vor allem die Fussballfans. Der Aargau, eine Pufferzone, um nicht zu sagen, eine Puffzone, ein langer Strich entlang der A1.

Der Aargau trennt auch das reiche Zug vom ärmeren Deutschland. Dass Deutschland und Zug im wörtlichen Sinne nicht zusammenpassen, beweist die Deutsche Bahn täglich. Grenzüberschreitende Kriminalität ist in Randkantonen besonders verbreitet, wie die neueste Kriminalstatistik zeigt. Menschen aus dem Ausland sind bedeutend krimineller als die Schweizer Bevölkerung. Vor allem Delikte wie illegaler Aufenthaltsstatus kommen bei Leuten mit Schweizer Pass selten vor. Heimatverbunden klauen wir lieber nicht hier, sondern anständigerweise im Ausland. Ausser die Linken, welche sich beim Staat bedienen, weil sie romantisch verklärt noch immer glauben, der Staat, das seien wir alle gemeinsam. Sogar der Aargau.

Und nun verwechselte unsere Bundespräsidentin bei ihrer Rede die Stadt Aarau mit dem Kanton Aargau, ein typischer Walliser-Üsserschweizer-Verständigungs-GAU. Würden wir in der Üsserschweiz die Hauptstadt des Südkantons vergessen, wäre er komplett Sitten-los. Deshalb hier eine kleine Übersetzungshilfe für Viola Amherd: «Isches Bundeshiischi isch z Aarau, wo iisch d Miisch d Müüre inere iischige Biise abiisse.» Das heisst: Aarau war nach Napoleon einst Hauptstadt, und der Aargau ist ein Energiekanton mit brüchigen Mauern. Bei Brugg, wo immer «ächli Wind-isch», werden keine Luftschlösser gebaut, sondern das Wasserschloss genutzt.

Das freut den Energieminister, dessen feuchter Traum ein hoher Staudamm ist, mithilfe dessen er 1.-Mai-Demos, Klimaklebereien und gleich den ganzen Röstigraben fluten kann. Dafür würde er sogar den Regierungssitz wieder nach Aarau verlegen und die Nationalfeier im regenreichen April stattfinden lassen.

Baume-Schneider hingegen besucht den Aargauer Regierungsrat, nur Männer, das nennt sich eine Sausage-Party, ausser in Aarau, da nennt es sich Rüebli-Märt. Und wie beim Berner Zibele-Märit ist das bei längerem Hinschauen zum Weinen. Immerhin vegan und zudem spart es Druckerschwärze, wenn es keine RegierungsrätInnen gib. Eine Innenministerin braucht es dann auch nicht. Diese kann sich getrost den Long-Covid-gekränkten Aargauern mit Glarner Migrationshintergrund zuwenden, ein Staat ist schliesslich für alle gemeinsam da.

Cassis, der in napoleonischer Weise immer leicht nach oben schielt, erspäht die hübsch bemalten Dach-Unter-Giebel und fühlt sich gleich an sein buntes Sofa erinnert. Als Aussenminister weiss er, dass vor allem die Fassade stimmen muss, auch wenn das Oberstübchen schlecht möbliert ist.

Mit ihrer Ausstrahlung eines reifen, aber gut erhaltenen Kühlturms schaut derweil KKS zum KKW. Sie weiss: Die Aargauer sind nicht Zürcher, die Aargauer sind nicht Berner, die Aargauer sind Burner! Hier werden die Brennstäbe noch angeheizt, Intra Muros, hier ist noch Feuer am Herd, im Dach und unter dem Hintern.

In Aarau brennt der Bach, in Zürich nicht einmal der Böögg.

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Kolumne NZZ am Sonntag | März 2023

Nah-Ost, Ostern, Sternen-Krieg - Auferstehung des Totgeglaubten

Das Osterfest folgt einer 40-tägigen Fastenzeit, die heute viele gar nicht mehr kennen. Den Jüngeren muss man das erklären, Fastenzeit ist wie Ramadan, einfach in katholisch.

Das Osterfest folgt einer 40-tägigen Fastenzeit, die heute viele gar nicht mehr kennen. Den Jüngeren muss man das erklären, Fastenzeit ist wie Ramadan, einfach in katholisch. Im Katholizismus wird allerdings weit offensichtlicher betrogen. Beim Ramadan wird nur nachts gegessen, das ist Intervall-Fasten mit Religions-Hintergrund. In der katholischen Fastenzeit jedoch wartet man nicht, bis es dunkel wird. Das verbotene Fleisch wird einfach in einen Mantel gesteckt und heimlich vernascht. Je nach Region nennt man dies Ravioli, Maultasche oder Ministrant.

Die Fastenzeit soll unter anderem auch symbolisch für die Leiden von Jesus am Kreuz stehen, bevor er am dritten Tage auferstanden ist. Aufgefahren in den Himmel. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, so heisst es im katholischen Gebet. Outsourcing der Sünden, Debugging der Welt. Die Jüngeren haben schon längst ein anderes Wording: Nach dem krassen Crossfit und drei Tagen Abhängen sei Gottes Sohn in die Cloud upgeloadet worden. Er habe den Modus gewechselt. Das passt zum Narrativ seiner Mutter Maria, sie habe ihn jungfräulich empfangen. Datenübertragung aufs Motherboard, ohne Penetration, per AirDrop.

Fastenzeit ist also die Fast-End-Zeit-Stimmung vor der Reinwaschung. Wie ein Zahnarzbesuch: Erst orales Leiden, dann strahlendes Lächeln, Katharsis statt Karies, eine Transzendentalhygiene, Auferstehung, Frühlingserwachen, Hatschi und Halleluja!

Ostern, Nah-Ost, Sternen-Krieg: Wir feiern die Auferstehung des Totgeglaubten. Ein nicht spielbarer Charakter, ein so genannter NPC, müsste man den Jüngeren erklären, erwacht plötzlich zum Leben.

Ursula von der Leyen und Elisabeth Baume-Schneider lassen das Rahmenabkommen auferstehen, Schwarznasen-Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Souveränität der Schweiz. Im Namen des Staates, des Thrones und des heligen EU-Geistes. Rahmen.

Es findet sich ein wieder auferstandener Antisemitismus, ausgerechnet im Nachgang zum grausamen Hamas-Terroranschlag. Liegt es daran, dass die letzten Stimmen der Holocaust-Überlebenden verstummen? Oder dass wir den Hass gegen das Judentum an islamistisch radikalisierte Jugendlichen outsourcen? Sind sie die Avatare des Bösen, genährt vom Algorithmus einer aus dem Takt gekommenen Welt, Böse-Überraschungs-Eier mit Kriegs-Spielzeug im hohlen Kern? Oder war der Antisemitismus gar nie wirklich tot? Ein stiller Krieg gegen den David-Stern, begonnen als Kreuz-Zug, weitergeführt als Halbmond-Landung, immer dem heiligen Zeitgeist entsprechend?

Die Leiden der Bevölkerung im Gaza-Streifen sind ebenfalls kein Geheimnis, ein andauernder unfreiwilliger Ramadan, bei dem es auch nachts gefastet wird. Und in der Schweizer Seele streiten sich zwei Wölfe, der eine heisst Antisemitismus und der andere Islamhass. Wir füttern beide mit Osterhasen-Schoggi.

Als weiteres Oster-Geschenk übernimmt Saudi-Arabien den UN-Vorsitz für Frauen-Förderung. Vielen Frauen ist dies Schleier-Haft. Angesichts der Frauenrechtslage in Saudi-Arabien könnte man fast von Realsatire sprechen. «Saudi-Arabien übernimmt Frauen-Förderung» klingt wie «Söder übernimmt das *Innen-Ministerium».

Die Bauern übernehmen indes mit Dettling erneut die SVP, endlich wieder Stallgeruch an der Parteispitze. Für die Jüngeren: Dettling hat Street-Credibility bei den SVP-Homies.

Ihr bundesrätlicher Stromgeneral kann sich mit Nachhaltigkeit nicht durchsetzen, die Idee von neuen Atomkraftwerken feiert Aufersteheung. Die Kernspaltung der Seele findet in userem Leib-stadt. Den neu entstandenen Rösti-Graben könnte man mit Dettlings Mist füllen und als Biogas-Anlage nutzen. Da spielt es auch keine Rolle, wenn der Mist dunkelbraun ist. Windräder werden jedoch nicht wie Pilze us dem Boden schiessen. Eher lässt man einen Atomwaffen-Pilz wieder auferstehen. Die Halbwertszeit der kollektiven Erinnerung ist offenbar kürzer als ein Menschenleben.

In den USA reicht bereits eine Amtszeit, dass die Menschen wieder auferstehen lassen, was gerne in Versenkung bleiben könnte. Die Demokraten leiden an erektiler Disfunktion und die Republikaner bieten eine Stand-up-Show.

Der Papst hingegen sitzt fest im Heiligen Stuhl und lässt ein letztes Mal die heilige Ehe zwischen Mann und Frau auferstehen. Man würde ihm applaudieren, würde er zumindest an Ostern aufstehen und seine Eier suchen. Für die Jüngeren: Das wäre dann eine Standing Ovulation.

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Ladies Drive - Frühlingsausgabe 2024

Be Kind

Die Sprachspielerin in mir übersetzt diese einfache Aufforderung mit: „Sei ein Kind!“ Dabei ist es ein Aufruf zu Freundlichkeit. Wir alle spielen verschiedene Rollen, wir alle tragen im Geschäftsleben unterschiedliche Masken.

Die Sprachspielerin in mir übersetzt diese einfache Aufforderung mit: „Sei ein Kind!“ Dabei ist es ein Aufruf zu Freundlichkeit. Wir alle spielen verschiedene Rollen, wir alle tragen im Geschäftsleben unterschiedliche Masken. Die frühmorgendliche Feuchtigkeits-Maske wird abgelöst durch die professionelle Freundlichkeits-Maske. Zumindest im besten Fall, so scheint es. Wir bemühen uns, etwas zu spielen, sind spielerisch bemüht oder bemüht spielerisch, was bereits die ganze Widersprüchlichkeit aufzeigt. Wenn wir also ohnehin eine Maske aufsetzen, weshalb denn nicht gleich eine freundliche? In dieser Frage steckt mehr Brisanz und Kulturphilosophie, als man denken könnte. Freundlichkeit, Kindness, ist nicht einfach eine Tugend. Freundlichkeit ist ein kulturelles Phänomen. This kind of kind, von dem wir im Business sprechen, hat seinen Ursprung vor allem im modernen Nordamerika.

Als junge Frau, europäisch, humorvoll, spöttisch und leicht arrogant, gesättigt mit gelöffelten Weisheiten, machte ich mich auf, die Freundlichkeit zu lernen. Unfreiwillig. Ich kannte und schätzte die kühle Höflichkeit der Briten, welche die reine Gefälligkeit gerne auch einmal dem schwarzhumorig morbiden Zynismus opfern. Auf dem Festland findet sich diese Art von Umgangsform höchstens in Österreich. Ich kannte die raue Verbindlichkeit der bäuerlichen Landbevölkerung in West- und Nordeuropa. Damit war ich aufgewachsen. Bei uns sagte niemand: „Du hast mir heute ein Lächeln ins Gesicht gezaubert“, bei uns sagte man: „Jetzt ist mir gopferdeckel wegen dir fast der Stumpen aus der Schnorre gefallen!“ Ich kannte die südeuropäisch temperamentvoll eruptierende Herzlichkeit, die im Norden nicht einmal in Umarmungen von Familienmitgliedern zu finden ist. Doch gelandet in den USA, dem Reich der unbegrenzten Möglichkeiten, der unbegrenzten Kindness, musste ich mich erst an die Umgangsformen gewöhnen. Es schien kein Problem zu sein, einer Fremden ein Kompliment zu ihrer Bluse zu machen oder einen Unbekannten für seinen Haarschnitt zu loben. Gleichzeitig schien es einem Verbrechen gleichzukommen, explizit nach einer Toilette zu fragen. Natürliche Bedürfnisse an- und auszusprechen war für mich völlig normal. Ungefragte Komplimente hingegen empfand ich als übergriffig.

Das beinahe zwanghaft anmutende Nettsein und gleichzeitige Ignorieren der biologischen Umstände wirkte auf mich eher kindisch als kind.

Als spöttische, aber im Grunde naive Europäerin verwechselte ich die amerikanische Freundlichkeit, diese Kindness, mit Verbindlichkeit. Komplimente wertete ich als Flirtversuche, was zu irritierenden Situationen führte. Ich verbrachte einen Abend mit einem gefälligen jungen Mann, er stellte mich seinen Bekannten als seine „new Swiss friend“ vor, als eine Freundin. Bis ich jemanden als „Freundin“ bezeichne, braucht es einige Jahre, mehrere Krisen, gemeinsame Nervenzusammenbrüche und mindestens zwei gescheiterte Projekte. Besagter amerikanischer Friend erkannte mich am nächsten Tag nicht mehr auf der Strasse. Ich fühlte mich betrogen. Hinter der Maske der verbindlichen Freundlichkeit steckte ein gleichgültig ignoranter Mensch.

Eine ähnliche Erfahrung machte ich an einer internationalen Wissenschaftstagung im Tessin während meines Zweitstudiums. Unter anderen verbrachte einer der bedeutendsten Gegenwartsphilosophen der Uni Stanford den Tag mit mir. Man hätte akademische Distanz erwarten können, intellektuellen Zynismus, wie es der Kalenderspruch-Generator Richard David Precht gerne zur Schau stellt. Doch da war nichts als verbindliche Freundlichkeit, eine Mischung aus Dumbledore und Father Christmas mit Expertise in Deweys Pragmatismuslehre. Wir traten in ein überfülltes, geschäftiges Lokal und reservierten freundlich einen Tisch für später. Zehn Personen. Con piacere.

Später hatten die Amerikaner dann aber plötzlich keinen Hunger mehr. Mit schweizerischem Pflichtbewusstsein wollte ich die Reservation stornieren gehen, damit der Tisch freigegeben werden könne. Die Amerikaner hielten mich sehr freundlich, aber bestimmt davon ab. Not our business. Hinter der freundlichen Maske steckte keinerlei Empathie für die hart arbeitenden Menschen in der Gastronomie. Ist es diese Kindness, die wir wollen? Was ist besser: eine österreichisch spröde Marlene Engelhorn, welche ihr Millionenerbe an den Staat und an sozial Benachteiligte rückverschenken will, oder eine überaus freundliche Geschäftsfrau, die einen knallhart über jenen Tisch zieht, den sie im Zweifelsfall nicht mal stornieren würde?

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NZZ

Nur Schall und Rauch oder Nomen est Omen?

Als Kind rannten wir jeweils um die Wette: „Wer als Letzter kommt, ist der Bimbo“. Und dieser hatte die anderen zu bedienen. Die Brisanz dieser Bezeichnung verstand ich erst, als mir meine Primarlehrerin erklärte, dass „Bimbo“ eine abwertende Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe sei.

Als Kind rannten wir jeweils um die Wette: „Wer als Letzter kommt, ist der Bimbo“. Und dieser hatte die anderen zu bedienen. Die Brisanz dieser Bezeichnung verstand ich erst, als mir meine Primarlehrerin erklärte, dass „Bimbo“ eine abwertende Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe sei. Jene seien ja früher Sklaven gewesen und hätten die Weissen bedienen müssen. „Bimbo“ allerdings sage man nicht mehr, man nenne das jetzt anders. „Wer als Letzter kommt, ist der …“. Dann sprach in aller Selbstverständlichkeit jenes Wort aus, von dem heute jedes Kinde weiss, dass es genauso rassistisch ist. Wobei erstaunlich viele Menschen darauf bestehen, dass es garantiert nicht rassistisch gemeint sei, und dass schliesslich die Schwarzen selber sich im HipHop „Nigga“ nennen, dann sei es doch wohl erlaubt, die deutsche Übersetzung zu brauchen, man müsse sich nicht von einer lauten Minderheit diktieren lassen, wie man zu reden habe. Ich rate allen, welche die neue Zeit negieren und stur auf den fünf Buchstaben beharren, das Feld von hinten aufzurollen: „Wer als Letzter kommt, steht im Regen“.

Das wirkt weder lustig, noch besonders böse, aber zeigt immerhin die Rückwärtsgewandtheit der Ewiggestrigen auf. Ein solcher Spruch funktioniert gar nicht ohne abwertende Bezeichnung. „Wer als Letzter kommt, ist der Schwarze“ hätte nicht jene Brisanz und würde als Beleidigung nicht funktionieren. Der Komiker Charles Nguela berichtet, dass ein Vorgesetzter im Militär bei Laufübungen ebenfalls den unseligen Spruch bemüht habe. Nguela gibt zu bedenken, dass es nicht nur rassistisch sei, sondern einfach keinen Sinn ergebe. Denn man solle ihm ein einziges Wettrennen zeigen, die dem der Schwarze der Letzte gewesen sei.

Nun wird gestritten, ob der Name „Bimbo“ einer mexikanischen Lebensmittelmarke in der Schweiz zugelassen werde. Dabei hätten wir schon lange darüber diskutieren können: Die beiden beliebtesten Marken für Muttermilch-Ersatz-Pulver in der Schweiz heissen ausgerechent: „Bimbo-San“ und „Ap-Tamil“. Natürlich geht es bei beiden nicht um rassistische Bezeichnungen, sondern um Abkürzungen, Bambino und Sanità, Adaption und Milch. Klar tun sich Muttermilch-Ersatz-Produzenten schwer mit Marketing. Denn eigentliche Werbung ist ihnen seit den 80ern verboten, nachdem Nestlé durch aggressiven Export in einigen afrikanischen Länder ein wahres Säuglingssterben verursacht hatte. Das teure Pulver wurde in zu kleinen Mengen mit zu viel verschmutztem Wasser vermischt, was heute zum Glück nicht mehr passieren könnte. Denn Nestlé hat dazu gelernt und in Afrika auch die Quellen aufgekauft, das Wasser sauber sterilisiert und gefasst. Danach mischte neimand mehr zu wenig Pulver mit zu viel Wasser, weil nun konnte man sich auch das Wasser nicht mehr leisten.

Vor diesem Hintergrund erscheint  der Name Bimbosan beinahe zynisch. Doch auch Bimbosan hat seine Hausaufgaben gemacht, enn man will ja niemanden vor den Kopf stossen. Es sollen sich alle potentiellen Kundinnen und Kunden angesprochen fühlen, egal welcher Herkunft und Hautfarbe sie sind. Man stellt sich vor, wie eine Task-Force-Gruppe sich din eine Alphütte zurückzieht, über strukturellen Rassismus, Post-Kolonialismus, Kulturelle Aneignung und Diversität diskutiert, um Lösungen zu finden. Ob sie eine grössere Zielgruppe erreicht haben mit ihrer Strategie, ist nicht gesichert, aber zumindest ist das Resultat bekannt: Auf der Büchse mit dem Pulver steht nun oben zwar immer noch Bimbosan, dafür ist unten auch ein schwarzes Baby abgebildet. Das ist Diversity made in Switzerland 2024.

Ohnehin mutet es seltsam an, dass Lebensmittel die Bezeichnung von Menschen oder Volksgruppen tragen. Wir sind ja keine Kannibalen. Kinder-Schokolade scheint mir verstörend genug, da brauche ich nicht zusätzlich pulverisierte Bambini. Wobei das andere italienische Wort für Kleinkind auch nicht taugt: Wer möchte seinem Säugling bereits im Fläschen einen Infantino verabreichen? Selbst die Frage nach reformiert oder katholisch kann kulinarisch gestellt werden: Lässt du es mit Läderach-Schoggi krachen oder vernaschst du lieber Spitzbuben?

Bei der Spitzbuben-Fraktion ist jetzt erst mal Fastenzeit. Da kann man auch mal vegan ernähren und gepflegt über die Benennung von Esswaren nachdenken. Denn Namen sind nicht bloss Schall und Rauch, nein, sie haben Sprengkraft. Jeder Bimbo eine Bombe. Jedes Meitlibei eine Kanone. Jeder Glarner Schabziger eine Stink-Granate.

Der Rauch kommt erst danach.

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Kolumne NZZ am Sonntag | Februar 2023

Raus aus den Trachten! Rauf auf die Traktoren!

Die Schweiz ist kein Anker-Bild. Eher eine Insel der Glücksseligen, umgeben von einem tosenden Ozean aus Traktoren. Nach Berlin, nach Brüssel, nach Paris rollen die Kolonnen von John Deere, Deutz und Fendt. Eine Allrad angetriebene Armada, aufgerüstet und angsteinflössend, ganz ähnlich wie die Elterntaxis am Morgen vor der Schule.

Die Schweiz ist kein Anker-Bild. Eher eine Insel der Glücksseligen, umgeben von einem tosenden Ozean aus Traktoren. Nach Berlin, nach Brüssel, nach Paris rollen die Kolonnen von John Deere, Deutz und Fendt. Eine Allrad angetriebene Armada, aufgerüstet und angsteinflössend, ganz ähnlich wie die Elterntaxis am Morgen vor der Schule.
Die Landwirtschaft in Deutschland protestiert, sekundiert von AfD und von Staatsgegnern, ausgerechnet, obwohl sogar in unserem nördlichem Nachbarland der Staat die Landwirtschaft subventionieren muss. Selbst grossflächiges Kulturland und gewaltige Tierfabriken generieren offenbar kein Einkommen, das ein Auskommen garantiert. Nationalistische Blut-und-Boden-Parolen lassen sich eben auch mit brasilianischem Beefburger zwischen den Zähnen skandieren.

Bäuerinnen und Bauern hierzulande, so sagen Bürgerliche, verstünden sich als selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer. Sie erfüllen fast alle Kriterien: 14h-Arbeitstage, keine Ferien, keine freien Wochenenden, Verantwortung. Nur der Sundenlohn ist tiefer als das intellektuelle Niveau eines Schmink-Videos. Für die knapp 17 Franken bäuerlichen Durchschnittslohn würde nicht einmal eine halbwüchsige Influencerin den Puderpinsel behändigen. Statt unternehmen, übernehmen sich immer mehr Bauernfamilien. Mit Arbeit oder mit der Hof-Übernahme, bei der das bäuerliche Erbrecht vorsieht, dass Eltern mit lebenslangem Wohnrecht der jungen Generation das Leben schwer machen. Die Unternehmerin Martullo ist wohl nicht traurig darüber, dass ihr Vater sein bescheidenes Stöckli im fernen Herrliberg hat. Alle sind froh um einen sicheren Hafen im Alter, doch nicht alle haben einen echten Anker im Keller.

Bäuerinnen sind von Altersarmut mit am stärksten betroffen. Meist gehört der Hof dem Mann, welcher die Frau für die Hofarbeit nicht entlöhnt. Für diese Frauen müsste nun ein starker Verband einstehen. Doch da ist kein Ritter, der eine Lanze brechen würde für die holden Hofdamen und sich wie ein Winkelried in die silbergeschmidteten Speere stürzt.
Im Gegenteil: Bauernverbandspräsident Markus Ritter verhält sich wie ein scharwänzelder Knappe, der alle Stiefel leckt, ausser diejenigen mit Stallgeruch und Kuhmist. Die 13. AHV, diese unheilige Unglückszahl, will er auf jeden Fall vermeiden, er appelliert an die Bäuerinnen, dass sie helfen sollen, die Staatsschulden klein zu halten. Diejenigen Menschen ins Gebet zu nehmen, die ohnehin wenig verdienen, erscheint nur folgerichtig. Die wissen wenigstens, was sparen heisst. Und Abends sind sie so müde von der Arbeit, dass sie nicht mehr lange hinterfragen, ob ihr Präsident nur wirtschaftsgefällige Pflästerli-Politik betriebt oder wirklich einen starken Verband anlegt. Nur wenige sind im Alter so gut abgesichert sind wie der langjährige Nationalrat. In der Schweiz gibt es nämlich keinen armen Ritter. Dieses Gericht heisst hierzulande Fotzel-Schnitte.

Mittelalterliche Ritter haben ausgedient. Ein moderner Staat wird nicht hoch zu Ross beackert, sondern von der Scholle her gedacht. Bäuerinnen müssen selbst etwas unternehmen: Raus aus den Trachten! Rauf auf die Traktoren!
Ein Traktorenzug nach Bern, eine Alpabfahrt, als Leitkuh Helene Fischer, die derzeit als Zugpferd gegen die staatsfeindliche AfD vorangaloppiert.
Traktorfahrerinnen können sich auch weiteren Interessierten andienen. Was ein Ritter kann, können die Königinnen der Höfe schon lange!
Traktorfahrerinnen für Viola Amherd! Sie sind günstig, ziehen Flugabwehr-Geschütze, sind nicht langsamer als die Entscheidungen der Schweizer Armee und man müsste für sie nicht einmal die A1 sperren. Das Milliarden-Loch wäre schnell gestopft.
Traktorfahrerinnen für Albert Rösti! Nach dem morgendlichen Stallgang wird direkt die A-Post ausgeliefert, ist ja meist auch nur Mist.
Traktorfahrerinnen als Elterntaxis!
Traktorfahrerinnen für die Deutsche Bahn!
Traktorfahrerinnen für Strom in Zürcher Haushalten! Warum nicht einen Dieselgenerator in Form eines Traktors mieten? Die Energiegewinneung wäre aufs Land ausgelagert, aber mobiler, Wetter- und Politik-unabhängiger als bei Bündner Solarpanels.
Traktorfahrerinnen für die Migros: Agrares Wohnmobil, statt unflexibler Hotelplan!
Traktorfahrerinnen für die 13.AHV!
Wir hauen dem Armen Ritter die Fotzelschnitten um die Ohren!

Die Anker-Bilder hingegen sollten vor Lebensmittel-Attacken verschont bleiben. Sonst zieht ihr Besitzer aus Angst noch zu seiner Tochter. Das wollen die Bäuerinnen selbst einer Milliardärin nicht zumuten.

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Kirchenbote- Online | März 2023

KOLUMNE: SPENDEN UND STEUERN Ein moderner Ablasshandel?

Kabarettistin und Slam-Poetin Patti Basler über Spenden, Steuern und den letzten Urnengang. Absolution gebe es nicht, sagt die Schweizer Sprachkünstlerin, weder von der Kirche noch von Mutter Erde.

Kabarettistin und Slam-Poetin Patti Basler über Spenden, Steuern und den letzten Urnengang. Absolution gebe es nicht, sagt die Schweizer Sprachkünstlerin, weder von der Kirche noch von Mutter Erde.

Während ich blute,
sammelst du Zaster
und klebst auf die Wunde
ein Bébépflaster mit Tiermotiven,
so mit WW-Äffchen,
gegen die Wehwehchen
der Welt.

Und immer wieder
spendest du Geld.
Dann wäschst du deine
umweltverschmutzten Hände
im unschuldigen Geldtopf
deiner nutzlosen Spende.

 

So lautet ein Auszug aus einem Brief, den mir Mutter Erde geschrieben hat. Ich bin nur die Überbringerin, nur das Sprachrohr, quasi die Uriella für Arme. Und statt in ein jungfräulich weisses Brautkleid bin ich in schwarzen Stoff gehüllt. Anlass zur Trauer gibt es genug. Mit jedem Urnengang beerdigen wir ein bisschen des christlich-solidarischen Gedankens in der Schweiz.

Spenden mögen die wohlhabenden Eidgenossen und die reichen Schweizerinnen gerne. Sie suchen Gelder für die Umwelt, sie sammeln für Einsame, sie tummeln sich an Galas für Tümmler und Wale. Nur bei den Wahlen sind sie nicht mehr ganz so grosszügig. Da wird gewählt, wer den Erhalt des Reichtums verspricht. Da wird so abgestimmt, dass das Geld in der eigenen Kasse sich vermehrt.

Dabei wäre es doch der allerletzte Urnengang, der eigene Tod, welcher die grösste Spende ermöglichen würde. Das Erbe könnte direkt als Steuer für das Allgemeinwohl eingesetzt werden. Gegen hohe Erbschaftssteuern stimmen allerdings zuverlässig jene, welche sich gerne als grosse Spender und Stifterinnen inszenieren. Ginge es nur ums erkaufte Seelenheil, würde es reichen, viele Steuern zu zahlen. Wäre nur der Ablass der Sünden nach dem Ableben erwünscht, könnte man sich für ein progressives Steuersystem einsetzen: Reiche finanzieren einen starken Sozialstaat.

Doch Spenden sind so viel lohnender als Steuern. Steuern bezahlt man selbst, bei Spenden sind Sammeaktionen gang und gäbe. Sogenannte Graswurzel-Bewegungen, die nicht von oben vorgegeben sind, sondern vermeintlich von unten nach oben wachsen wie Gras. Deshalb heisst es wohl Kraut-Fönding. Mit Steuern kann man keinen Wahlkampf betreiben. Mit Spenden schon. Wegen der Steuern veranstaltet man keine Galaabende. Mit Steuern kann man sich kein Denkmal setzen. Bei Steuern hat man keinen direkten Einfluss auf die Verwendung. Steuern lassen sich nicht von der Steuer abziehen. Steuern sind sozialdemokratisch. Die Spende ist buchstäblich das SP-Ende.

Spenden sind also nicht der moderne Ablass, sondern sehr viel mehr. Denn der Ablass zielte auf das Leben nach dem Tod. Wer ihn zahlte, wollte in den Himmel kommen. Wer ihn zahlte, hatte auch nicht den Anspruch, die diesseitige Welt besser zu machen. Das Jenseits genügte. Zumal man mit den Ablasszahlungen Kirchen finanzierte statt Krankenhäuser, den Papst statt das Proletariat.

Heute will man alles, und man will es jetzt. Eine Win-win-Situation. Die Beruhigung des Gewissens ist schon beinahe ein Nebeneffekt der Imagepflege und Steueroptimierung. Doch etwas hat sich seit dem Spätmittelalter nicht geändert: Wenn man es sich genug einredet, glaubt man tatsächlich selbst, etwas Gutes zu tun. Hauptsache, die Erbschaftssteuer kann verhindert werden. Wer auch gegen höhere Steuern für Reiche kämpft, ist herzlich eingeladen, für den Wahlkampf zu spenden. Steuerfrei. Absoltion hingegen gibt es nicht, weder von der Kirche noch von Mutter Erde.

Denn egal, ob du Wale und Tümmler rettest,
dich an strahlende Kühltürme kettest,
an Spendengalas dein Geld verwettest,
mehr zahlend, «CO 2-neutral» um die Welt jettest,
ob du Hybrid fährst, Tesla oder Volvo:
Ego numquam te absolvo.

 

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Ein Jahresrückblick für die Republik.ch | 31. Dezember 2023

2023: Jungfrau Maria macht ein Austauschjahr in der Schweiz. Dafür holt sich Gott Tina Turner. Frauentausch.

Klimakatastrophe, Kriege und Krankheiten hatten die letzten Jahre geprägt, und so befand man im Paradies, es sei an der Zeit, dass jemand auf der Erde zum Rechten schaue.

Klimakatastrophe, Kriege und Krankheiten hatten die letzten Jahre geprägt, und so befand man im Paradies, es sei an der Zeit, dass jemand auf der Erde zum Rechten schaue. Inkarnation war out in der Epoche des zunehmenden Veganismus. Jesus tauge ohnehin nicht mehr, denn in Zeiten von Corona könne man nicht mehr mit Spucke heilen, war man sich einig. Und vor lauter Stand-up-Paddlern würde man ihn auch gar nicht übers Wasser gehen sehen. Omnipotenz und Allwissenheit seien zudem seit Viagra und künstlicher Intelligenz ohnehin keine USPs mehr.

Nur schon der Quote wegen war also bald klar: 2023, da musste eine Frau abgesandt werden. Maria.

Diese wollte jedoch nicht in ihre Heimat zurück­kehren. Ein echtes Austausch­jahr müsse in der Fremde stattfinden, fand sie, an einem Ort mit gemässigtem Klima, mit Wohlstand und ohne Bürger­kriege. Ihre Heimat Israel oder Palästina sei da zu heikel, wie sich bei den Hamas-Massakern später im Jahr leider bewahrheiten sollte. Lieber sei ihr ein neutrales Land, mit anderen Worten: die Schweiz.

Gott fand, so ganz ohne Frau an seiner Seite sei ihm das Paradies dann doch zu trist. Zudem mache man 2023 nicht einfach ein Austausch­jahr, sondern einen Frauen­tausch, das kenne er aus dem Fernsehen. Eine einzige könne Maria jedoch nicht ersetzen, Gott gefiel es offenbar, gleich vier Schweizer Frauen zu sich zu rufen.

Das wiederum war nicht im Sinne Marias, denn viel zu früh musste deswegen die talentierte Musikerin Eliana Burki (✝︎ 24.4.2023) die Erde verlassen. Alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp (✝︎ 7.4.2023) war zwar schon in die Jahre gekommen, aber so richtig rehabilitiert hatte man sie nie. Tina Turner (✝︎ 24.5.2023), auch ohne Ike eine Ikone, hätte trotz früheren Misshandlungen noch weiter gerockt. Auch Ruth Schweikerts (✝︎ 4.6.2023) Stimme wurde vorzeitig zum Schweigen gebracht, dabei hätte die gefeierte Autorin Marias Erfahrungen aufschreiben können als «Bibel, 3. Band. Das Neuste Testament».

Nicht der Teufel, sondern der Klimawandel

Doch so geschah es, dass sich Maria am 1. Januar 2023 in der Schweiz einfand und erst meinte, sie sei wohl doch in den Golan­höhen gelandet, denn braunes Gras lag zu ihren Füssen und die Temperatur war angenehm mild. Da musste doch der Teufel im Spiel sein, der die Tore zur Hölle geöffnet habe, mutmasste Maria. Nein, das sei der Klimawandel, verursacht vom reichsten Prozent der Welt­bevölkerung, da gehöre die Schweiz dazu, flüsterte ihr der Heilige Geist ein. Sie hatte ihn als Wanze ins Ohr gesetzt bekommen, die Göttliche Intelligenz (GI), konsultierbar bei allen FAQ.

Immerhin erschloss sich der Reiz des Winter­sports auch den urbanen Züri-Kids, jetzt, da nur noch eine feine, gerade weisse Linie Schnee unter dem Lift lag. Da war nichts mit Lawinen, oder «Lauenen», wie sie hier auch genannt wurden. Uplifting, Abheben, Aufdrehen war schliesslich die Devise der letzten Jahrzehnte gewesen, selbst die Kinder seien so erzogen worden. Die Generation Z, beheimatet in den Clouds des WWW. Wohl deshalb mussten sie sich jetzt auf die Strasse kleben, es war die einzige Möglichkeit für sie, Boden­haftung zu bekommen.

Mit Erstaunen nahm Maria das Internet zur Kenntnis: Alles Wissen der Menschheit war gespeichert, die Informationen frei zugänglich. Offenbar war der ehemalige US-Präsident Donald Trump von verschiedenen Plattformen gesperrt worden, jetzt aber, im Jahr 2023, taucht er dort wieder auf. Das ist wohl die göttliche Ordnung, seufzte Maria, bei so viel künstlicher Intelligenz muss ausgeglichen werden – mit natürlicher Dummheit.

Alles war friedlich in der Schweiz. Dieses kleine Land schien die Graben­kämpfe auf kulinarischer Ebene auszutragen. Da gab es Rösti und Cassis und militärische Strategien wurden am Herd geplant.

Maria schaute genauer hin. Der Blick fiel auf Alain Berset. Nicht nur ihr Blick. Vor lauter Langeweile war offenbar eine Lauene losgetreten worden, der Bundes­präsident wurde beschuldigt, sein Medien­sprecher ebenfalls, indiskret sollen sie gewesen sein, Informationen geleakt haben an die Presse. Allzu brisant kam das Maria nicht vor. Aber als sie erfuhr, dass in diesem Jahr noch gewählt würde, war ihr klar, weshalb der sozial­demokratische Bundesrat so angegriffen wurde. Mit einem Blick auf die Geschichte befand Maria: Wäre Berset eine Frau, es hätte sie längst den Kopp gekostet. Doch Bersets Kopf war meist wohl­behütet und er zog ihn selber aus der Schlinge. Wer von allen Seiten getreten wird, tritt irgendwann zurück, dachte Maria.

Mit der CS ins Fegefeuer

Es braucht Vertrauen in solchen Demokratien, das lernte Maria rasch. Street Credibility ist die Währung, die zählt. Credits schenkt man nur, wem man glaubt. Das ist ja dann doch ziemlich ähnlich wie bei uns, dachte sich Maria. Nun war der Glauben an die Credit Suisse verflogen, ohne Glauben bleibt von Credit Suisse nur noch die Suisse. Im Namen des Staates, des Lohnes und der Heiligen Karin Keller-Sutter wurden Gelder gesprochen, damit die Grossbank CS nicht ins Fegefeuer komme und die halbe Schweizer Wirtschaft mit ihr.

Maria überlegte sich, ob sie auch ein solches Geschäfts­modell anstreben sollte. Ein Start-up im Bereich Sandalen­verkauf zum Beispiel, denn mit Sandalen kannte sie sich aus und Birkenstock war schliesslich auch an die Börse gegangen. Sie müsste nur dafür sorgen, dass sie zu hoch geratet würde. Dann müsste sie viele Investoren an Land ziehen, so wie es die Influencerinnen und Komiker in der Schweiz mit der Jobshot-App machten. Ihr Sohn hatte ja eindrücklich gezeigt, dass man mit nur 12 Followern der wichtigste Influencer der Geschichte werden konnte. Und seine Follower waren erst noch alle Jünger. Von solch einer Row Zero konnten manche nur träumen. Wer ohne Sünde ist, dachte Maria, werfe den ersten Rammstein. Das Sandalen­business würde so gross und wichtig werden, dass die Schweiz nicht mehr darauf verzichten könnte.

Leider würden der verregnete Juli und ein Tweet vom Köppelnischen Weltwochen­bild reichen, um den Menschen den Glauben an den Klimawandel zu nehmen. Der Sandalen­verkauf würde grandios an die Wand gefahren. «Skandal­sandalen» würde getitelt, «Sandalen in den Sand gesetzt!», «Konkurs auf leisen Sohlen!». Dann käme Karin Keller-Sutter, würde mit ernster Miene beteuern, dass sie dankbar sei für die Sandalen, und der Staat und die Steuer­zahlenden sollten das gefälligst auch sein und eine Staats­garantie geben. Zum Schluss würde Zalando das Sandalen-Start-up zu einem Spottpreis kaufen. Genau so war es geschehen mit der CS. Ein UBS-Stick saugte die Vermögens­werte direkt in die Power-Bank.

Für Maria war indes klar, weshalb nicht direkt die Nationalbank die marode Bank übernommen hatte: Dann hätte man die CS definitiv über den Jordan geschickt.

Das weiss doch jeder Esel

Im Juni nahm Maria am Frauenstreik teil. Sie staunte nicht schlecht, dass hier Frauen jeden Alters und jeder Hautfarbe zusammen marschierten. Nicht nur Frauen, nein, auch Menschen, die sich keinem oder einem anderen Geschlecht zuordneten. Das kannte sie nur zu gut, bei den Lämmern und Kälbchen hatte es schon immer jene gegeben, die nicht eindeutig weiblich oder männlich waren. Maria hörte sich die Forderungen an und war dann doch einigermassen entsetzt. Viel weiter schien die Menschheit ja in den letzten 2000 Jahren nicht gekommen zu sein. Was hier gefordert wurde, mutete geradezu antiquiert an:

Bessere Kinderbetreuungs­angebote! Jesus hatte ja damals bereits am ersten Tag nach der Geburt einen Krippen­platz bekommen.

Nur J-A heisst J-A! Das hatte schon der Esel im Stall zu Bethlehem begriffen.

Flexible Arbeits­modelle mit Digitalisierung und Remote Work! Maria hatte damals ihr grösstes Werk, die Geburt von Jesus, als Digital Nomad abgeliefert. Die genetischen Daten vom Boss hatte sie jungfräulich empfangen, ohne Penetration, quasi per Air Drop, und dann per uteralem 3D-Drucker verarbeitet und geliefert unter WWW.

Keine sexuellen Übergriffe! Das kannte Maria natürlich, Befruchtung per Air Drop war auch nur ein Euphemismus für K.-o.-Tropfen. #MariaToo. Aber damals hatte bei göttlichen Übergriffen noch das Achselschweiss­gesetz gegolten: in dubio pro Deo.

Gleichzeitig kam es noch immer im Namen des Vaters, ihres Sohnes und des Heiligen Geistes zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Im Jahr 2023 wurde dies publik. Maria fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie endgültig aus der katholischen Kirche austreten sollte. Die Läderach-Schoggi-Fraktion war allerdings keine wirklich süsse Alternative. Ein freiwilliges Konvertieren zum Islam erschien ihr als Frau schleierhaft. Zum Glück durften wenigstens die verfolgten Afghaninnen in der Schweiz bleiben. Von einem Land mit einem Frauenbild aus dem Mittelalter direkt in ein Land im Mitte-Zeitalter. (So dachte zumindest Geri Pfister zwei Tage lang nach den Wahlen, als im Bundesamt für Statistik alle Zeichen auf Orange standen und die Mitte-Partei stärker schien als die Liberalen.)

Maria wähnte sich dann doch plötzlich im Mittelalter, als sie vernahm: «Bitsch is burning!» Zum Glück handelte es sich nur um einen Waldbrand im Wallis, dort wusste man mit Natur­katastrophen umzugehen. Als 2023 mithilfe des Umwelt­ministers Rösti 34 Wölfe zum Abschuss freigegeben wurden, meldeten sich allein im Wallis 800 Jäger freiwillig. Wer wollte denn da von Fachkräfte­mangel reden?

Obwohl es im Juli erst viele kühle Tage gab, hielt und hielt und hielt der Sommer. Das galt auch für den gleichnamigen Natigoalie. Das Sommerloch hatte in der Schweiz die Form eines Fussball­goals. Bälle versenken mussten nun allerdings die Parteien und Köpfe, die gewählt werden wollten.

Es gab wenig Überraschungen. Mit Meret Schneider war eine der lustigsten Parlamentarierinnen abgewählt worden. Anna Rosenwasser, eine der bunten Frauen vom Streik, konnte diese Lücke zum Glück wieder schliessen. Eine weitere unterhaltsame Zürcherin, Jacqueline Badran, welche schon Lauenen und Lauener überlebt hatte, Flugzeug­abstürze und Banken­crashs, die Jacky Norris des Schweizer Parlaments, wurde nicht nur zur Nationalrätin, sondern auch zur Kolumnistin des Jahres gewählt. Das gab Hoffnung. Und in den Bundesrat schaffte es ein Mann von ennet dem Rhein. Jansseits.

Fachkräftemangel im Paradies

Nach diesem Jahr machte Maria sich wieder auf ins Jenseits. Gott fragte, wie es so stehe um die Welt. Viel sei nicht passiert, meinte Maria. Gott müsse nun aber dafür sorgen, dass der Papst Homo­sexualität endlich gleichstelle, damit der Beicht­stuhl nicht dauernd als Darkroom missbraucht werde. Sodom und Gonorrhö! Der Heilige Geist (GI) hingegen sei ein Auslauf­modell wie die lecke Nordstream, sein Algorithmus sei noch nicht mal über den Zuckerberg. Im Übrigen sei er transparent, ein Trans-Parent, ein Elternteil im Körper eines Geistes. Sie aber kämpfe nun für mehr Sichtbarkeit in jenem Bereich.

Und man müsse die Menschen an den Klima­wandel erinnern, vielleicht könne ja der Teufel mal wieder seine Türen öffnen, einen Vulkan auf Island eruptieren lassen oder zumindest einen kleinen Tornado im Jura abfeuern. Vielleicht könne man so zwischen­menschliche Wärme erzeugen und dafür das Klima etwas abkühlen lassen. Das gefalle ihr besser als umgekehrt.

Die zu sich gerufenen Schweizerinnen aber wollte Maria bei sich behalten. Die Frauenquote sei schlecht genug und es herrsche schliesslich auch im Paradies Fachkräfte­mangel. Und so sollte es geschehen.

Im Namen der Mutter, des Sohnes und der heiligen Transparenz.

Amen.

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Warum richtig gendern wichtig ist:

DER Leiter: Vorgesetzter
DIE Leiter: Angestellte

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«Merci Berset».

Die meisten von uns ahnen schon jetzt, was sie nach der Pensionierung machen werden: Weiterarbeiten. Zumindest wenn Parlament und Bundesrat weiterhin die Lösung für die Altersvorsorge vor sich herschieben wie das Pistenfahrzeug die Schneemassen. Prokrastinieren statt Pensionieren. Darin scheint die Menschheit im Gesamten und die Schweiz im Besonderen gut zu sein. Probleme vor sich herschieben. Was du heute kannst entsorgen, lagerst du bis übermorgen.

Die meisten von uns ahnen schon jetzt, was sie nach der Pensionierung machen werden: Weiterarbeiten. Zumindest wenn Parlament und Bundesrat weiterhin die Lösung für die Altersvorsorge vor sich herschieben wie das Pistenfahrzeug die Schneemassen. Prokrastinieren statt Pensionieren. Darin scheint die Menschheit im Gesamten und die Schweiz im Besonderen gut zu sein. Probleme vor sich herschieben. Was du heute kannst entsorgen, lagerst du bis übermorgen.

Selbst der Rücktritt aus der Regierung wird häufig so lange vor sich hergeschoben, dass die Präsidialräume zu politischen Palliativstationen verkommen. Kein Wunder lobbiert die Alt-Bundesrätin Widmer-Schlumpf heute hauptamtlich für das Alter. Sie kann die Klassentreffen mit ehemaligen Bundesräten auf die Spesenrechnung setzen. Mitglieder der Exekutive sind oft schon über das Pensionsalter hinaus, wenn sie zurücktreten, abgewählt oder passiv-aggressiv aus der Regierung gemobbt werden. Dies war bereits im letzten Jahrtausend nicht anders. Ein bekanntes Beispiel ist Maggie Thatcher. Die auch als Iron Lady bekannte ehemalige britische Premier ist bereits vor 10 Jahren verstorben. Zynische Zungen bedauren ihren Tod, da sie heute im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden könnte. Als Kühlelement.

Ein jüngeres Beispiel ist Angela Merkel. Die Physikerin und Chemikerin könnte jetzt an der Weltformel für das Klima arbeiten. Doch sie schreibt nun erst mal an ihrer Biografie. Wie wird wohl der Titel sein? «Wenn die Chemie stimmt: Die Physik der Politik»? «Angela: Angelassen und nie mehr abgestellt», «Wie ich eigenhändig die Mauer zu Fall brachte.» oder schlicht «Danke Merkel.»?

Eine weitere ehemalige Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Thersa May, hatte bei ihrem Rücktritt das Pensionsalter knapp noch nicht erreicht. Sie blieb sitzen. Nicht in der Regierung, aber im Parlamentsgebäude. Sie ist zurückgekehrt und beeinflusst weiterhin als Hinterbänklerin das politische Geschehen. Als studierte Geografin weiss sie offenbar, wo es langgeht.

Dass nach der Tätigkeit in der Exekutive weiter aktiv Politik gemacht wird, scheint in der Schweiz undenkbar. Man stelle sich vor, Sommaruga hätte als Sprengkandidatin für den Berner Ständeratssitz kandidiert. Ein anständiges Ex-Bundesrats-Mitglied hat Verwaltungsrats-Mandate abzugreifen und die Lobby zum Hobby zu machen wie Ex-Bundesrätin Ruth Metzler. Oder Ehrendoktortitel zu sammeln wie Ruth Dreifuss. Im Minimum soll es sich aber den familiären Pflichten zuwenden wie Sommaruga. Erstaunlich ist in dem Zusammenhang, dass fast alle genannten Ex-Staatsoberhäupter keine Kinder haben.

Den möglicherweise unfreiwillig Kinderlosen sei hier zum Trost gesagt: Die einen sehen überall Eltern mit Kinderwagen, die anderen sehen Leute, die ihre Probleme vor sich herschieben.

Die grosse Frage ist, was denn nun mit Alain Berset passiert, wenn er ersetzt wird. Hinterlässt er eine grosse Lücke? Ist sie so gross wie die Wissenslücke in der Evolutionsgeschichte, der berüchtigte Schritt vom Affen zum Menschen? Und ist nicht beides im Grunde dasselbe? Ein Missing Link?

Vielleicht setzt ihn Rösti an die Spitze der SBB, so dass er bei einem staatsnahen Betrieb bleibt. Post-Exekutiv widerführe ihm ein ähnliches Schicksal wie seinem Sozi-Kollegen Levrat, der nun bei der Post munter Stellen streicht. Rösti würde insgeheim, hoffen dass Berset die SBB noch ganz an die Wand fahren könnte. Gegenüber dem abtretenden Magistraten wäre eine solche Stelle allerdings ein flotter Zug. Im Gegesatz zum Fliegen kann man sich auf bereits gelegten Schienen nicht so schnell verirren. Und man darf ganz legitim zweigleisig fahren.

Velleicht wird ihm jedoch ein Beratungs-Mandat bei Skyguide angeboten. Dort könnte er die Geografin Theresa May als Nachhilfelehrerin dazu holen. Wenn der Wille da ist, blüht selbst den Navigationskünsten Bersets ein zweiter Frühling. Where there is a will, there is a way, where there is an April, There-es-a-May, pflegte ich einst zu kalauern. Es stimmt noch immer.

Möglicherweise besinnt sich Alain auf seine auf seine Wurzeln und lernt von seinen Vorgängerinnen. Wir würden ihn doch alle gerne in einer genossenschaftlich-liberalen, streetparadesken, bunten Regenbogen-WG mit Metzler und Dreifuss sehen. Back to the Ruths.

Es steht allerdings zu fürchten, dass sich der wortmächtige Ex-Magistrat in merkelscher Manier seinem eigenen Narrativ widmet. Da ist ein guter Titel gefragt. «Aha V», «Alain Mask statt Elon Musk», «Wie ich eigenhändig den Maurer zu Fall brachte» oder schlicht:

«Merci Berset».

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Switzerland leaks

«Es gibt Parallelen zwischen Kindern und den SBB. Nicht nur, dass die Pünktlichkeit zu wünschen übrig lässt und die Tür manchmal offen bleibt: Beide sind staatstragend und bei ihrem Unterhalt herrscht Fachkräftemangel.»

«Es gibt Parallelen zwischen Kindern und den SBB. Nicht nur, dass die Pünktlichkeit zu wünschen übrig lässt und die Tür manchmal offen bleibt: Beide sind staatstragend und bei ihrem Unterhalt herrscht Fachkräftemangel.»

Kinder weisen erstaunlich viele Parallelen auf mit den SBB. Beide haben nicht selten eine grosse Röhre, sind laut und lassen viel zu oft die Türe offen stehen. Die grösste Gemeinsamkeit ist allerdings eine, die erst in den letzten Jahren in Erscheinung getreten ist: Sowohl bei Kindern als auch bei den SBB klappt die Sache mit dem WC in vielen Fällen weder in der ersten noch in der zweiten Klasse.

Tatsächlich scheinen die WC-Anlagen in beiden Beförderungklassen der Bahn je länger desto häufiger defekt. Und erwiesenermassen sind immer mehr Kinder in der ersten und zweiten Klasse noch nicht trocken. Ersteres hat wohl mit der Sparpolitik im öffentlichen Verkehr zu tun. Es ist nicht ganz klar, wer hier Abhilfe leisten könnte. Eventuell böten abgewählte Parlamentarierinnen oder zurücktretende Bundesräte Hand zur Verbesserung. Sie wissen jedenfalls, wie man hinter verschlossenen Türen unliebsame Hinterlassenschaften diskret hinunterspült. Und wie in der Politik lässt sich bei der Bahn feststellen: Immerhin läuft’s besser als in Deutschland.

Die zweite Problematik, jene der einnässenden Schulkinder teilt die Schweiz mit dem europäischen Umland. Europa wird vom Kontinent zunehmend zum Inkontinent. Da hilft auch nicht, dass einer der beliebtesten Kinderfilme «Pippi ausser Rand und Band» heisst.

Die grösste Schwierigkeit dabei sei allerdings, dass Lehrpersonen weder dazu angestellt noch darin ausgebildet seien, Schulkinder zu wickeln. Es herrscht Fachkräftemangel beim Windeln Wechseln. Mit anderen Worten: Es bräuchte Change Manager.

Hier könnte man die Entlassenen der CS rekrutieren: Sie kennen sich bestens aus mit platzenden Blasen, nun könnten sie sogar ein Auffangbecken bereitstellen, eine Windel anstelle eines goldenen Fallschirms. Für die eine oder den anderen wäre es überhaupt die erste Chance, endlich mal richtig grosse Geschäfte abzuwickeln. Es böte sich eine ganze neue Art, mit Datenlecks akkurat umzugehen. Man hört ja auch immer wieder, eine der Kernkompetenzen im Bankgeschäft sei das Handling von weissem Pulver. Die Verwendung von Babypuder dürfte demnach keine Herausforderung darstellen.

Selbst das Wording über die tägliche Belastung würde ähnlich klingen wie im alten Job: Früher waren die Angestellten immer voll busy. Jetzt wären sie halt voll Bisi.

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Blattkritik

Es ist wieder Zeit für Entblätterungen. Das Hohelied der Laubbläser erklingt in den heimischen Gärten und an Strassenrändern. Die fest verwurzelten Bäume üben sich im Loslassen.

Es ist wieder Zeit für Entblätterungen. Das Hohelied der Laubbläser erklingt in den heimischen Gärten und an Strassenrändern. Die fest verwurzelten Bäume üben sich im Loslassen. Kurz vor der endgültigen Trennung erblüht die Laubpracht in fast allen Farben des Regenbogens, kurz vor dem Tod strahlen die Extremitäten an den Ästen, als gäbe es einen Diversitäts-Wettbewerb zu gewinnen. Ein Spaziergang der Limmat entlang fühlt sich an, als hätte man sich in ein Gemälde von Bob Ross verirrt. Nur dreidimensional und mit viel Bewegung. Dabei werden die Blätter nur bunt, weil die Bäume ihnen den Saft abdrehen und sie abwerfen wie lästige Angewohnheiten. Ob die schreienden Farben in den Medien auch ein Zeichen für deren baldiges Ende sind?

Das Rauschen durch den medialen Blätterwald folgt so sicher wie der Herbst auf den Sommer. Das Sommerloch, oder wie ich es auch nenne, das Goal der Schweizer Nati, ist damit definitiv vorbei. Wahlen, Kriege, kleine Skandale werden positioniert, geordnet, aufgezeigt. Je nach Perspektive, je nach Art des Blattes sind die Farben der nachgezeichneten Realität geradezu komplementär. Diese Vielfalt ist eine besondere Stärke sowohl in den Medien als auch in der Natur.

Es ist statistisch nachweisbar, je grösser die Biodiversität bei den Pflanzen, desto mehr verschiedene Tierarten können existieren. Je mehr unerschiedliche Lebensräume es gibt, desto reicher ist die Artenvielfalt. Je grösser das Wa(h)lvorkommen im Stände-Meer, desto flächendeckender ist die Aufforstung im Plakat-Wald.

Nun sind sie sie wieder weg, die Plakate mit den Köpfen. Kandelaber sind enthauptet, nackt wie die Astgerippe der Bäume. Als hätte sich die politische Schweiz dem natürlichen Lauf der Jahreszeit angepasst. Manche sind froh über das Verschwinden der Wahlplakate. Ich aber bedaure es. Nichts symbolisiert so sehr Heimat wie die öffentliche Aufhängung der Kandidierenden für das Parlament. Zuhause ist, wo man die Köpfe auf den Plakaten persönlich kennt. Die wechselnden Häupter zeigen uns die Kantonsgrenzen besser auf als jede Navigations-App. Und sie lassen uns die Grenzen unserer Expertise in Sachen Politikerinnen und Politiker erkennen. Denn Heimat ist dort, wo wir Wurzeln schlagen und Kronen tragen. Dort, wo wir unsere Spuren in Form von bunten Blättern hinterlassen. Verwurzelung gilt allerdings in unserer schnelllebigen Zeit nicht mehr als Qualität. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass eine Krone nicht grösser werden kann als das Wurzelwerk. Wer sich also den Hut der Regierenden aufsetzen will, braucht eine stark verwurzelte Basis, Föderalismus ist ein Mischwald, mit dem wir vorsichtig umgehen müssen. Nicht alle alten Bäume sind zu schlagen. Selbst morsches Holz bietet Lebensraum. Manchmal wird es harzig, besonders nach Verletzungen, manchmal muss etwas zurückgebunden oder beschnitten werden und immer wieder zeigt sich der Kreislauf von Werden und Vergehen.

Hier sind sich Politik und Natur besonders ähnlich. Wer eben noch in allen Farben gestrahlt hat, droht in Bälde sich kahl und langweilig einzureihen neben den anderen grau erscheinenden Stämmen. Kaum sind die Gewählten im Amt, platzt oft der Lack und man sieht die Farbschicht abblättern wie bei einem alten Gemälde von Bob Ross. Und vielleicht ist das gar nicht schlecht. Das Abblättern ist nötig, um Neues entstehen zu lassen. Nur so kann die schwache Wintersonne bis auf den Boden dringen.

Neue Blätter werden kommen. Neue Plakate werden aufgehängt. Die Palette wird neu gemischt und es werden Bilder in den schreiendsten Farben entstehen. Da wäre es wünschenswert, wenn wenigstens der Laubbläser in Zukunft schweigt.

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Juli 2023

Aus dem Sommerloch gepfiffen

Eigentlich häte ich wissen müssen, was mich erwartet. Es wurde hinterher über mich geschrieben, ich sei empört. Ich sei beleidigt.

Eigentlich häte ich wissen müssen, was mich erwartet. Es wurde hinterher über mich geschrieben, ich sei empört. Ich sei beleidigt. Ich würde jammern. Ich sei entrüstet. Enttäuscht. Neidisch. Wütend. Ich hätte das Gefühl, diskriminiert zu werden. Dabei habe ich keine Gefühle. Ich bin eine typische Aargauerin: Ein Kühlturm. Um mich zum Strahlen zu bringen, braucht es den richtigen Brennstab. Und wenn ich wirklich mal in die Luft gehe sollte, dann gande Gott …

Ich war weder empört noch bleidigt. Wenn man mir etwas vorwerfen kann, dann nur, dass ich etwas naiv war. Etwas unüberlegt. Etwas allzu cool. Ich rechnete nicht damit, dass man mich medial kreuzigen würde. Wahrscheinlich dachte ich, ich sei too big to nail.

Doch Gefühle in der Headline geben mehr Klicks als Gedanken, Empörung verkauft sich besser als Analyse. Auch passt der Opferstatus offenbar besser zu den Frauen, als derjenige einer kritischen Expertin. Oder derjenige eines Sprachohrs. Denn als eine andere Komikerin anfragte, ob wir eine Stellungnahme schreiben sollten im Namen von rund 40 Frauen aus unserer Branche, war ich sofort dabei. Einmal die gefeierte Heldin sein, welche die Eier hat mit ihrem Namen hinzustehen! Einmal Sprachrohr sein! Eine Art Uriella auf Wish bestellt.

Dass die Stellungnahme eine Antwort war auf die vielen Medienanfragen «Weshalb wir Frauen denn da nicht dabei seien», wurde nicht gross thematisiert. Empörung, Jammern, Entrüstung, Beleidigt sein wurde hingegen gern unterstellt. Wenn ich allerdings etwas gelernt habe bei meinen Fernseheinsätzen vor dem Bundeshaus und in der Arena, dann das: Für Parlamentsmitglieder ist Aufmerksamkeit die einzig harte Währung. Wer in der Politik wirklich Profi ist, weiss: Es ist egal, ob man lobend oder kritisch erwähnt wird in der Presse, ob ich mich über sie satirisch lustige mache oder ob ein Talk-Host vor Ehrfurcht schmilz wie ein Atomkerne bei einer Brennstabüberhitzung, spielt keine Rolle. Hauptsache es wird über sie geredet. Das ist für Komikerinnen nicht anders als für Politiker.

Deshalb schulde ich der Presse grossen Dank für die unverdiente Aufmerksamkeit. Obwohl ich mich nur ein einziges Mal zur Thematik «Comedy-Frauen im TV» geäussert habe und danach nie mehr, beschenkte man mich mit Dutzenden Erwähnungen in diversen Zeitungen und Magazinen.

Dass mich deren Leserschft nun vor allem als jammerndes, beleidigtes, empörtes Opfer zu kennen glaubt, statt als national und international erfolgreiche und mehrfach preisgekrönte Künstlerin, könnte man als bedauerlich empfinden. Aber das würde ja Gefühle voraussetzen. Und so weit will ich dann doch nicht gehen.

Lieber suche ich mir eine neue unterrepräsentierte Gruppe, der ich als Sprachrohr dienen kann. Vielleicht die Aargauer. Dann würde wieder über mich geredet, ohne dass ich micht künstlerisch anstrengen muss. Und wenn ich wirklich mal möchte, dass jemand über mein Werk schreibt, es verteidigt, kritisch würdigt, dann muss ich vielleicht tatsächlich noch etwas übergriffiger werden, als ich es ohnehin schon bin. Damit die Kunst von der Künstlerin getrennt wird. Wer ohne Sünde ist, werde den ersten Rammstein. Amen.

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Juni 2023

KLIMAKLEBER einzige Möglichkeit für die Jugend BODENHAFTUNG zu bekommen

Unsere und die zwei vorherigen Generationen haben den materiellen Wohlstand mit einer kapitalistischen Spirale in schwindelerregende Höhen getrieben.

Unsere und die zwei vorherigen Generationen haben den materiellen Wohlstand mit einer kapitalistischen Spirale in schwindelerregende Höhen getrieben. Bodenhaftung ist weder Zweck noch Ziel einer Erziehung, die als Lebensziel Wohlstand, Reichtum und Börsengewinne verspricht. Spätestens nach dem Kalten Krieg gab es nur noch eine Richtung: Nach oben. Red Bull verlieh Flügel, Easy Jet machte das Fliegen quasi gratis, Nike Air Jordan liess die Kids abheben, das Internet und Smartphones liessen uns in Lichtgeschwindigkeit in den Äther aufsteigen, Elon Musk jagt Satelliten ins All. Und Kleider, Gadgets und sogar das Essen landet wie im Flug bei uns zu Hause, auf Bestellung per Klick.  All das trägt täglich zum Klimawandel bei und wir möchten es lieber gar nicht wahrhaben.

Ältere Generationen, die noch Bodenhaftung und Bodenständigkeit frei Haus geliefert bekamen in ihrer Kindheit, schüttelten diese ab, wurden urban, wurden Weltenbummler und Überflieger, der Stallgeruch galt als unsexy. Und so wurde auch die Generation der heutigen Jugend erzogen.

Die Verbundenheit mit der Erde, mit unserem Heimatplaneten, mit dem Boden, in dem unsere Lebensgrundlage wächst, diese Verbundenheit müssen sich die Kids von heute selber holen. Und wenn es halt mit Kleber ist.

Das gilt zumindest in unseren Breitengraden, wo Kleber nicht geschnüffelt wird um abzuheben, sondern auf die Hände geschmiert, um am Boden zu bleiben.

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Juni 2023

Lieber Alain

Für dich ist immer
Ein Platz
In meiner Row Zero
Bersetzt

Für dich ist immer
Ein Platz
In meiner Row Zero
Bersetzt

Milliardärs-Boote vs. Schlepper-Boote, Row-Zero-Witze, Berset-Rücktritt und Comedy-Männer im TV – und schon laufen die Drähte heiss und die fragenden Stimmen melden sich: «Was darf Satire?».

Zum wiederholten Mal bleibt zu festzustellen, wer so fragt, hat in der Kiste mit den Modalverben daneben gegriffen. Die Frage ist vielmehr: Was soll Satire? Was kann sie? Bewirkt sie noch etwas, in Zeiten, da Comedians Staatschefs werden und Kriege auszufechten haben? In Zeiten, da Politclowns erneut für das mächtigste Amt der Welt kandidieren? Natürlich ist es nicht lustig, das Schicksal der Milliardäre mit jenem der Geflüchteten im Mittelmeer zu vergleichen. Wenn abtretende Bundesräte als Sexgespielen für die Row Zero vorgeschlagen werden, bleibt einem selbstverständlich das Lachen mehr im Hals stecken als ein gewaltvoll aufgedrängtes Körperteil eines rammelwütigen Rockstars. Das ist das Wesen der Satire. Sie geht dorthin, wo es wehtut. Je ernster das Thema, desto nötiger ist sie. Ein Stilmittel ist die Umkehrung der Machtverhältnisse: Ein Geflüchteter sinniert über Luxus-Boot-Expeditionen, eine Schwarze lacht über Rassismus, eine Frau wünscht sich einen Politiker in ihre Row Zero. Das ist ein Ablehnen der Opferrolle. Eine Selbstermächtigung. Statt eigene Erlebnisse mit sexuell übergriffigen Lehrern, Pfarrern, Skilagerleitern, Politikern oder Rockstars zu erzählen, wird dann das Mittel der satirischen Umkehrung verwendet. Man kann als Satirikerin von einer Groupie-Reihe fabulieren, für die man weder genügend Erfolg noch Macht oder Geld hat.

Das kann man gut finden, man darf sogar darüber lachen. Aber man muss nicht.

Und ja, nach unten treten ist nicht ok, da muss ich mich entschuldigen. Sorry Alain. Aber du wirst schon wieder hochkommen.

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HorizontPfarrblatt Aargau | Juni 2023

Covergirl des katholischen Pfarrblatts. Das muss man auch erst mal hinkriegen.

Horizonte: Worüber machen Sie lieber Witze über Religion oder über Politik?

Horizonte: Worüber machen Sie lieber Witze über Religion oder über Politik?

Patti Basler: Als Satirikerin bin ich auf einen Mainstream angewiesen, ich muss am Allgemeinwissen meines Publikums anknüpfen. Das wird immer schwieriger, weil die Menschen weniger Allgemein-, dafür viel mehr Individualwissen haben. Theologische und biblische Kenntnisse werden immer seltener. Insofern ist Politik ergiebiger.

H: In Ihrer Satire gibt es viele religiöse Bezüge. Was würde Ihren Texten fehlen, wenn Sie darin auf Religion verzichten müssten?

PB: Das ist eine seltsame Frage. Der Gedanke, dass es ein «Religionsverbot» geben könnte, ist mir noch nie gekommen. Oft geht es ja um literarische Leitmotive, die einer Geschichte einen Rahmen und eine Einbettung geben. Diese Kontextualisierung ist aber nicht nur theoretischer Natur. Da schwingen 2000 Jahre christlicher Prägung unserer Gesellschaft mit. Deshalb inspiriert Religion zur Kreativität. Die einigermassen abstruse Schöpfungsgeschichte mit moderner Wissenschaft zu vereinbaren, braucht einiges an kreativer Kraft. Und natürlich musste ich als Katholikin bereits im Beichtstuhl Lügen erfinden. Gebote und Bibeltexte sind sowohl Gelehrten als auch dem glaubenden Volk ein herausfordernde Quelle, die ausgelegt und interpretiert werden will. Bibelexegese ist auch nicht viel anders als die Analyse eines Gedichts.

H: Sie sagen: «Hoffnung und Humor sind artverwandt.» Wie meinen Sie das?

PB: Beide helfen uns, nicht zu verzagen am Wahnsinn unserer Welt. Ohne Humor und ohne Hoffnung würden wir verzweifeln an unserem irdischen Dasein und am Wissen um unsere Endlichkeit. Am befreiendsten und befreitesten wird ja immer an Beerdigungen gelacht, wenn eine lustige Anekdote über die Verstorbenen erzählt wird. Die Monty-Phyton-Szene, bei der die Gekreuzigten im Angesicht ihres Hinschieds ein munteres Lied pfeifen, ist etwas vom Grossartigsten, das der britische Humor je hervorgebracht hat. Ein fröhliches Verspotten des Todes, dem so der Schrecken genommen wird. Und nichts anderes ist die Hoffnung auf ein Jenseits.

Religion und Kultur, zu der auch der Humor zählt, schaffen etwas Bleibendes, das über das materielle, irdische und körperliche Dasein des Individuums hinausgeht und Bestand hat.

H: Vor zwei Jahren publizierte dieses Pfarrblatt verschiedene Karikaturen zu Ostern. Das provoziertes erboste Rückmeldungen. Der Vorstand liess daraufhin eine Karikatur entfernen. Darauf zu sehen war ein knuffiger Jesus, der freudestrahlend und quicklebendig vor der Grabkammer steht und den muffligen Tod tröstet mit den Worten: «Ach komm, nimms sportlich, jeder hat mal einen schlechten Tag.» Haben Sie auch schon einen Rückzieher gemacht, nach Reaktionen aus dem Publikum?

PB: Dabei zeigt genau diese Karikatur, worum es im christlichen Glauben und im Humor geht: Den Sieg über den Tod als Endgegner. Und das liebevolle Trösten des Feindes. Unverständlich, dass so etwas provozieren kann, obwohl es gleich zwei christliche Kernbotschaften enthält.

Ich überlege mir vorher, ob und wie ich etwas auf die Bühne oder aufs Blatt bringe und ändere es danach meist nicht mehr. Dabei hilft, dass ich möglichst nicht über andere Religionen lustig mache. Witze übers Christentum hingegen sind mit Kirchensteuern verdiente Selbstkritik.

Heilig ist mir jedoch nichts. Ich habe Respekt vor allen Menschen. Vor einem Papst, einer Pfarrerin, einem religiösen Würdenträger oder einer Politikerin allerdings kein Quäntchen mehr als vor den einfachsten Menschen. Da halte ich es mit Jesus.

H: «Fressen, saufen, herumhuren, danach beichten – und alles ist wieder gut: Das passt mir natürlich. Das Fasten leider weniger.» Dieses katholische Klischee, das Sie bemühen, hält sich wacker. Wieso ist das lustig, obwohl es mit der Realität nichts mehr zu tun hat?

PB: Es hat mit der Realität sehr viel mehr zu tun, als uns lieb ist. Die Welt ist so hedonistisch wie nie. Wir wollen uns selbst verwirklichen, Fun haben, das Leben geniessen. Und dies kulinarisch, mit berauschenden Substanzen und sexuell. «Fressen, saufen, herumhuren», damit sind gleich drei der sieben Todsünden benannt. Verzichten, also «fasten», wollen wir nicht, es sei denn wir versprechen uns davon Schönheit und Gesundheit. Lieber erkaufen wir uns Absolution in Form von CO2-Ablass-Briefen oder mit Spenden. Heute nennt man das «Karma-Punkte». Und so betrügen wir uns selbst, weil wir wissen, dass all der Ablass gar nicht so viel bringt.

H: Das gemeinsam gesungene «Stille Nacht» und das Vaterunser berühren Sie, sagten Sie in einem Interview. Meinen Sie das ernst? Und was genau berührt Sie?

PB: Da werden Kindheitserinnerungen evoziert, natürlich berühren die mich. Gemeinsames Singen schüttet zudem Glückshormone aus. Religionsgemeinschaften haben früh erkannt, wie verbindend dies sein kann.

H: Sexismus, Diskriminierung von queeren Menschen, Missbrauch: Diesen Themen muss sich die katholische Kirche stellen. Taugen diese Themen für Satire? Gibt es sowas wie Opferschutz in ihrem Metier?

PB: Opferschutz kann ich mir selber auferlegen. Täterschutz hingegen gibt es nicht. Im Gegenteil.

H: Als Kind wollten sie Pfarrerin sein, «mehr wissend als der Pöbel und Bibeltexte erklären». Heute machten sie das auf der Bühne, sagen Sie. Woher kommt Ihr Sendungsbewusstsein?

PB: Sendungsbewusstsein ist ein grosses Wort. Es ist so eine Sache mit der Kunst: Sie ist keine Frage des Wollens, sondern des Müssens. Es muss raus. Am besten zu einem geneigten Publikum.

Wenn man das Schweizer Fernsehen fragt, steht Frauen ja gar kein Sendungsbewusstsein zu. Da ist der Sender nicht viel weiter als der Vatikan.

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Ladies Drive | Sommer 2023

Ein ganzheitlicher Placebo-Effekt

Beati pauperes spiritu, selig seien die Armen im Geiste, heisst es in der Bibel. Das mag ein Trost sein für kognitiv Herausgeforderte und alternativ Begabte.

Beati pauperes spiritu, selig seien die Armen im Geiste, heisst es in der Bibel. Das mag ein Trost sein für kognitiv Herausgeforderte und alternativ Begabte.Ihnen gehöre das Himmelreich. Heute erwartet man jedoch auch von Menschen mit tieferem IQ oder schlechterer Bildung, dass sie zumindest an der Youtube-Uni und der Google-Hochschule promovieren.

„Die Armen im Geiste“ gilt heute als politisch inkorrekt und würde so nicht einmal mehr auf dem billigsten Kalenderspruch-Profil formuliert. Und schon gar nicht im wichtigsten Buch der Welt. Denn auch wenn Jesus zu Lebzeiten nur zwölf Follower hatte, wurde er doch der prägendste Influencer der Geschichte. Vielleicht war er gar einer der Ersten, welcher ganzheitliche Gesundheitsmodelle propagierte. Er heilte mit Spucke oder Berührungen und den wunderbar Genesenen erklärte er, der Glaube habe ihnen geholfen. Seele und Geist heilen den Körper.

In weltweiten Studien konnte belegt werden, dass ein starker Glaube direkt mit gesünderer Lebensführung, höherer Lebenserwartung und -zufriedenheit zusammenhängt. Religion ist also nichts weiter als ein gigantischer, ganzheitlicher Placebo-Effekt. Es spricht nichts dagegen, die Gesundheit ganzheitlich zu betrachten.

Körper, Geist und Seele. Holistic Health: Body, Mind and Soul. Wobei das Wort „Body“ ursprünglich „Hohlkörper“ bedeutete und mit „Bottich“ verwandt ist. Tatsächlich werden wir nur allzu oft in Körperregionen, Symptome und Organe aufgegliedert. Gerade dieser Umstand treibt der Homöopathie eine geneigte Kundschaft in die Arme. Leute, welche nicht nur als Nummer oder Symptomträgerin wahrgenommen werden wollen, sondern in ihrer Ganzheit. Global. In der Homöopathie werden Zuckerkugeln potenziert, indem ihnen durch Verdünnung jegliche Potenz genommen wird. Das mag sich widersprüchlich anhören, ist aber offenbar ein funktionierender holistischer Ansatz. Der Placebo-Effekt spiele hier mit, das Prinzip Glaube und Hoffnung, welches homöopathische Ansätze beflügle. Es wird moniert, dass der Schritt von der Homöopathie zur Esoterik und von dort zumAberglauben nicht allzu gross sei. Da gebe es Menschen, die glauben, im Erdinnern befinde sich ein Hohlraum. Andere sähen uns nur als Abbild der Seele, schattenhafte Hologramme an der platonischen Höhlenwand.

Weitere behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Und sind dann erstaunlicherweise diejenigen, welche die Globulisierung der Welt vorantreiben.

Das Bedürfnis nach ganzheitlicher Betrachtung ist verständlich, wir wollen nicht auf Rheuma reduziert oder auf Neurodermitis determiniert werden. Selbst wenn das kleinteilige Erkennen von Krankheiten einst ein Fortschritt war. Im Holozän war die Steinzeitmedizin noch nicht so weit, dass alle einzelnen Beschwerden gezielt gelindert werden konnten. Heute hingegen haben wir für jede Krankheit eine Kategorie, für jede Blessur eine Benennung, für jedes Symptom eine Systematik. Die einen möchten sich ob so vieler Diagnosen die Kugel geben. Die anderen geben sich ein Kügelchen. Beides sind relativ ganzheitliche Ansätze. Ersterer aber etwas radikaler.

Wer sonst nichts hat, kann sich eine Krankheit ergoogeln oder den Chatbot fragen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die künstliche Intelligenz nur natürliche Dummheit diagnostiziert. Vielleicht bedeutet der holistische Ansatz auch dies: von Zeit zu Zeit ganz ignorant zu bleiben. Statt Krankheit kurieren die Gesundheit pflegen. In der Badewanne, der Luxusversion eines einfachen Bottichs……….

Der wache Geist und die bekümmerte Seele können dabei wunderbar besänftigt werden mit Sekt oder Holundersirup. Oder mit beidem gleichzeitig.

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NZZ am Sonntag | 26. Mai 2023

L¨ckt mich!

Turner ist tot. Glarner lebt. Und Amherd sucht Orientierung. Irgendein Lücken-Büsser wird sich finden. Ein Lückentext.

Turner ist tot. Glarner lebt. Und Amherd sucht Orientierung. Irgendein Lücken-Büsser wird sich finden. Ein Lückentext.

Turner ist tot. Da braucht es keine weibliche Endung, da muss nichts gegendert werden. Wer das heute liest, weiss, dass «Turner» nicht einen Mann bezeichnet, der seinen Körper akrobatisch zu verdrehen weiss. Es geht auch nicht um Ike, sondern um die Ikone. Die Queen des Rock’n’Roll oder etwas antiroyalistischer, etwas schweizerischer ausgedrückt, die Rockröhre wird nicht nur an den Gestaden des Zürichsees fehlen. Sie hinterlässt weltweit in den musikalischen Herzen eine Taktlücke, die grösser ist als jene im Fricktaler Postautofahrplan.

Deville stirbt. Zumindest das gleichnamige Satire-Format auf dem einzigen Comedy-Sendeplatz des öffentlich rechtlichen Fernsehens. Das Ende wird gebührend gefeiert, doch bald klafft auch dort eine Lücke, wo der Luzerner Lustiges und Lächerliches darbot. Doch irgendeinen Lücken-Büsser wird man auch dafür finden.

Glarner lebt. Auch hier braucht es keine weibliche Endung, denn Frauen sind bei ihm immer mitgemeint. Turner-Ehre, Soldaten-Stiefel, Lehrer-Zimmer, für Andreas Glarner reicht die männliche Form. Erst als ich ihn damit konfrontierte, er habe doch auch schon mit einem Lehrer geschlafen, bestand er auf der weiblichen Form «Lehrerin!». Er ist also gar kein wandelndes generisches Maskulinum, eher ein maskulines Generikum seiner Politik. Gender-Tage am Zürichsee sind ihm ein Graus. Obwohl diese in erster Linie dazu dienen, die Lücken beim Berufspersonal zu schliessen. Den Kindern soll aufgezeigt werden, dass nicht jeder Mann seine Erfüllung an der Waffe findet und nicht jede Frau die ihre am Herd.

Amherd lebt es vor: Der Orientierungstag soll für Frauen obligatorisch werden. Viele ärgern sich, dass es nun also auch noch Gender-Gaga-Tage beim Militär geben soll, nur um dort ebenfalls dem Fachkräftemangel vorzubeugen. Als ob die Waffen der Frau nicht mehr reichten. Und man fragt sich, wo Glarner bleibe, wenn man ihn mal brauchen würde. An solch einem Orientierungstag müsste er vielleicht einmal über seinen eigenen Orientierungssinn nachdenken. Der Aargauer im Körper eines Glarners scheint nicht immer zu wissen, von welchem Ufer er stammt. Liegt das Zürichsee-Ufer wirklich im Bildungs-Hoheits-Gebiet seines Kantons? Gehen den Verfechter des Föderalismus die Beschlüsse von Zürcher Schulen etwas an?

Ist sogar eine geschlechtslose Angelegenheit, eine hidden A-gender Agenda? Der Aargauer, dessen Initialen AG sogar in seine Autonummer gestanzt sind, was musste er nicht alles erdulden! Ich weiss, wovon ich spreche. Für unsere Aargauer Autos ist jede Parklücke im Stadtzürcher Verkehrsdickicht zu klein. Eine Schikane der urbanen, links-grünen Politik wie die Witze über weisse Socken, obwohl wir längst schwarze Socken tragen, vor allem jetzt, da weisse wieder im Trend sind.

Mit der tiefen Gymnasialquote im Aargau bleiben wir stets Untertanengebiet. Wir sind nur Umland, nur Umfeld, und Zürich bleibt der Nabel der Welt. Wir hingegen haben Bildungslücken und Angst, von Zürcherinnen überrannt zu werden, vereinnahmt, erobert. Glarner fühlt sich im Aargau ein bisschen wie die Ukraine der Schweiz. Er hätte gern Waffenlieferungen direkt von Amherd.

Die Verletzung sitzt wohl tief. Selbst im Albisgüetli gab er zum Besten, dass über Oberwil-Lieli im Aargau die Sonne lache, über Zürich lache jedoch die ganze Schweiz. Dieser Witz qualifiziert ihn nicht zur Deville-Nachfolge, aber zeigt seine Absichten auf. Es ging nie um Gender, nie um Rücksichtnahme auf muslimische Kinder. Es ging ihm immer nur darum, das Zürcher Schulsystem in den Grundfesten zu erschüttern, die Schulhäuser zum Beben zu bringen. Deren Besitzer sind schliesslich keine HEV-Mitglieder. Nur so kann der Aargau das Bildungsdefizit aufholen gegenüber der arroganten Zürcher Intelligenzija. Natürlich muss man bereit sein, Opfer zu bringen, eine Lehrerin da, eine Schulleiterin dort dem Mob auszusetzen oder ins Burnout zu treiben, alles für die gute Sache. Die Sprache als Waffe benützen kann er schon lange. Dazu brauchts keine Gender-Sterne, eher die Mittelalter-Version einer klassischen Schweizer Waffe im Diminutiv: den Mörgeli-Stern.

Soll es ruhig ein bisschen stinken in der Stadt, am Nabel der Welt, beim Loch ein Stockwerk tiefer duftets ja auch nicht nach Rosen. Ich bin Aargauerin, ich weiss, wovon ich spreche.

Ich trete übrigens ab. Zumindest meine Kolumne. Ich hinterlasse während meiner Sommerpause eine Lücke, die ich einer Zürcherin zur Verfügung stelle. Sie beherrscht alle Waffengattungen, vom Zweihänder bis zur feinen Klinge: Rebekka Lindauer.

I’ll be back.

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Ladies Drive | Frühling 2023

Ein Prosit auf weibliche Resilienz!

Lustige Zeit- und Eidgenossinnen erzählen dann und wann in bester helvetischer Mundart-Manier:„Zerscht min Traum-Ma, denn mis Trauma.“

Lustige Zeit- und Eidgenossinnen erzählen dann und wann in bester helvetischer Mundart-Manier:„Zerscht min Traum-Ma, denn mis Trauma.“

Tatsächlich können Beziehungen in einem Alptraum enden, oder schlimmer noch, als traumatisierendes Erlebnis fortdauern. Vor allem dann, wenn sie missbräuchlich sind und die Abwertung einer Person ein konstituierendes Element ist. Toxisch, giftig, so nennt man dies heute.

Inzwischen gibt es toxische Beziehungen im Internet, auf welche die Adressierten gerne verzichten würden. Gerade Frauen, die sich in politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen kompetent und meinungsstark äussern, werden immer wieder angegriffen und abgewertet. So fand sich vor nicht allzu langer Zeit in einem finanzwirtschaftlichen Forum ein Beitrag, der nur zum Ziel hatte, die betreffende Expertin abzuwerten. Ein Mann, nennen wir ihn Karl-Heinz, schrieb sinngemäss etwa Folgendes: „Der Mann ist wie eine Flasche Wein, der mit dem Alter immer besser wird. Frauen hingegen sind wie Blumen, die mit dem Alter verwelken. Sie sollten ihre Schönheit geniessen, solange sie noch können. Spätestens mit 35 geht es steil abwärts und auch mit viel Schminke wird aus dem hässlichen Entlein kein schöner Schwan mehr. Eine alte Schachtel bleibt eine alte Schachtel.“

Der Entrüstungssturm war gross. Feministinnen und andere halbwegs intelligente Menschen empörten sich über diese oberflächliche, misogyne Aussage. Ich finde allerdings, dass Karl-Heinz völlig recht hat. Tatsächlich ist ein solcher Mann wie ein Wein. Er kommt oft als Flasche. Daher ist seine Männlichkeit zerbrechlich und fragil. Er betreibt des Öfteren Etikettenschwindel. Wein ist Alkohol. Zuviel davon ist toxisch. Ist der Zapfen mal ab, wird er schnell sauer.

Und die Frau ist wie eine Blume, eine Pflanze. Sie hat starke Wurzeln und einen flexiblen Stiel, das macht sie stabil und dennoch beweglich. Resilient. Um nicht übergangen zu werden, wirft sie sich in ein hübsches Kleid oder bewehrt sich mit Stacheln, scharfen, schneidenden Kanten. In einem regelmässigen Zyklus verblüht und blutet sie, aber sie stirbt nicht, sondern blüht immer wieder auf und liefert Früchte, die dann allerdings erst reifen müssen und vergären, um zu einem richtigen Mann zu werden.

Frauen sind keine alten Schachteln. Sie sind Schachtelhalme. Eine der resilientesten Pflanzen überhaupt. Schon zu Zeiten der Saurier lebten diese gelenkigen Pflanzen. Ihren Namen haben sie, weil man die Sprossachse herausziehen kann aus der Scheide, die von den Blättern gebildet wird. Und auch wieder zurückstecken. Die Sprossachse gleicht der menschlichen Wirbelsäule. Sie ist mehrgliedrig und biegsam, kann sich anpassen und stellt sich wieder auf nach Unwettern, und wenn sie niedergetreten wird. Nach Twitter-Gewittern, Shitstorms und traumatischen Erlebnissen. Mit anderen Worten: Schachtelhalme haben Rückgrat. Wie die Frauen. Solange der Boden gut und die Wurzeln stark sind, können sie immer wieder aufstehen. Selbst wenn ein gölesker Schwan ihnen ans Kraut möchte.

Im Verbund bilden Schachtelhalme einen fast undurchdringlichen Wald. Und wie die Frauen sind sie total rezent. Wobei rezent im biologischen Kontext nicht einfach nur scharf heisst. Rezent bedeutet: Noch leben wir! Noch sind wir hier, egal wie traumatisch unsere Erfahrungen waren! Wir überleben nicht nur 35 Jahre, nein, wir leben seit 350 Millionen Jahren. Im Gegensatz zu den Sauriern und anderem Fossilen. Von denen gibt es nur noch wenige. Zum Beispiel Karl-Heinz. Aber auch den werden wir überleben, wenn bei ihm der Zapfen erst mal ab ist.

Ein Prosit auf die weibliche Resilienz!

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NZZ am Sonntag | 1. Mai 2023

Berset will nicht, dass den Frauen die Pille bezahlt wird.

Recht hat er! Verhütung ist schliesslich Männersache. Von meinem Orgasmus kann ja niemand schwanger werden. Will der Mann denn auch unbedingt zum Höhepunkt kommen, soll er wenigstens das Kaulquappengeschwader sauber abfangen.

Recht hat er! Verhütung ist schliesslich Männersache. Von meinem Orgasmus kann ja niemand schwanger werden. Will der Mann denn auch unbedingt zum Höhepunkt kommen, soll er wenigstens das Kaulquappengeschwader sauber abfangen. Arztbesuche sind mir ein Gräuel. Ich komme vom Bauernhof, da konsultierte man medizinisches Fachpersonal erst nach einem Liter Blutverlust oder wenn der Knochen aus dem noch lebenden Fleisch ragte. Und auch dann wurde erstmal die Veterinärpraxis angerufen.

Diese frühkindliche Prägung wirkt bis heute nach, ich meide Arztpraxen wie der Teufel das Weihwasser, wie Funiciello das Albisgüetli.

Selbst den für viele junge Frauen scheinbar obligaten Gynäkologie-Besuch zur Verschreibung der Pille liess ich grosszügig weg. Empfängnisverhütung, davon war ich schon früh überzeugt, ist Männersache. Vom weiblichen Orgasmus kann niemand schwanger werden. Da kann die Frau noch so in den höchsten Tönen jubilieren, sie kann mit den Vögeln pfeifen oder umgekehrt. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, ein Sommer macht noch nichts Neuer, und eine Klimax schafft noch kein neues Leben. Empfängnisverhütung gibt es nur, damit auch Männer beim heterosexuellen Liebesspiel einen Treffer ins Lattenkreuz pfeffern dürfen. Und da braucht es weder einen jungen Sommer noch einen alten Neuer, um das Kaulquappengeschwader sauber abzufangen. Es braucht kein kompliziertes Wahlverfahren wie bei den Listen für den Nationalrat, auf denen die Nationalrats-Kandidierenden haufenweise ins Allerheiligste von Mutter Helvetia eindringen wollen wie männliche Stammzellen ins Ei. Um Schlimmeres als fruchtlose Kopfgeburten zu verhüten, reicht ein einfaches Regenmäntelchen. Ein Präservativ, Kondom, Gummi, Pariser, Verhüterli, Überzieher, Einfingergummihandschuh, Lümmeltüte, Latexoverall, Schlauchballon, Kunststoffbananenschale, Güllehülle, jedes der Synonyme verhütet auch vor Krankheiten. Seit HIV nicht mehr ganz so tödlich ist, geriet dies etwas in Vergessenheit. Am wichtigsten scheint mir aber, dass so auch das Laken einigermassen sauber bleibt. Denn Betten frisch beziehen, haben jüngst Studien ergeben, sei nicht so das Ding der Männer. Gut so. Prävention ist besser als Wäschewaschen oder Arztbesuche.

Die bleiben ein Gräuel. Spätestens seit dem Aufstieg von Corona und dem Fall der CS wissen wir aber: wir alle müssen denn und wann einen Abstrich machen. Das gilt besonders für Frauen, oder genauer für Menschen mit einer Gebärmutter. Wie in jede Alma Mater können sich da Parasiten einschleichen und die hat sie dann am Hals. Am Gebärmutterhals. Da will Frau gut vorbereitet sein, um der geneigten Ärzteschaft nicht zuviel Wildwuchs zuzumuten. Letzthin las ich einen Live-Hack im Netz: «Frauenarzttermin und Date am selben Tag: einmal rasieren, zweimal kassieren!». Das fand ich einigermassen verstörend, der Unterleib ist kein Kassenschrank, nicht jeder Schlitz ist ein Kreditkartenlesegerät. Ich fragte meinen Gynäkologen, ob es Abstriche gäbe, Gewebeentnahmen und ähnlich schmerzhafte Prozeduren. Er versicherte mir, es stehe nur ein Ultraschall-Untersuch an, so ähnlich wie bei Schwangerschaften im ersten Trimester. Das kannte ich aus dem Film, alle stehen ums Bett, über den Bauch der Mutter gleitet eine Art Bügeleisen und auf dem Monitor erscheint ein Würmchen. Ich rupfte mir zur Vorbereitung zwei Härchen am Bauchnabel aus.

Doch im Film wird nicht alles gezeigt. Es gibt zwei Arten von Ultraschallgerät. «Machen sie sich frei», forderte der Arzt, als ich da war, und ich rollte mein T-Shirt hoch. Doch er deutete mit einem maximal kühlen und maximal mitfühlenden Lächeln auf den spreizbeinigen Folterstuhl und zückte ein langes Ding, das einem Zweihänder glich, einem strahlenden Brennstab, einem Laserschwert, welches er prüfend in den Händen wiegte und zweimal durch den Raum schwang, «und dies ist mein Ultraschall-Gerät».

«Aber ich bin nicht vorbereitet», stammelte ich. Vor meinem inneren Auge sah ich Menschen mit Macheten durch den Busch marodieren, Tunnelbohrmaschinen, einen Riss in der Grand-Dixence-Mauer. Ich muss in Ohnmacht gefallen sein, denn plötzlich flüsterte Mutter Helvetia: «Keine Angst, lass dich einfach gehen. Alles gleitet wie Göschenen-Airolo. Bring dich in Stimmung.» – «Wie soll ich das tun? Lässt du denn alles mit dir geschehen? Invasive Eingriffe, obwohl du nur auf eine Nabelschau gefasst warst? Lässt du dann jeden rein? Völlig unvorbereitet»?» fragte ich unsicher. «Nun, stell dir etwas Erregendes vor, dann läuft alles wie geschmiert. Ich persönlich stehe drauf, wenn mir die unsichtbare Hand des Marktes ungefragt an den Hintern greift und das Patriarchat mir ins Ohr flüstert: Nimm mich, du Sau!».

«Keine Angst» beruhigte mich der Arzt, als ich zu mir kam, «ist mit Hygiene-Kondom. Kostet nicht mal extra.»

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NZZ am Sonntag | 2. April 2023

Wer verleiht den geflügelten Worten ihre Flügel?

Ich hatte einst, was sich alle wünschen: einen viralen Hit. Leider liess er mich nicht zur Legende werden.

Ich hatte einst, was sich alle wünschen: einen viralen Hit. Leider liess er mich nicht zur Legende werden. Denn es passierte, was heute oft passiert: Der Spruch, die Pointe, ich würde es gar ein Gedicht nennen, verdichtete Sprache, auf den Punkt gebracht, dieses verbale Kleinkunstwerk wurde geklaut. «Geklaut und gestohlen und gezogen und geraubt» (Credits: Die Prinzen). Das muntere Ostergedicht wurde in der Folge ins Netz gestellt, millionenfach kopiert, ohne Angabe der Quelle, es wurde in Freundschaftsbücher geschrieben, auf Kaffeetassen und Bettbezüge gedruckt. Es wurde zum geflügelten Wort. Wie ein Kuckucksei ins Spatzennest wurde es verschiedensten Menschen in den Mund gelegt. Mehrheitlich Männern, ihnen traut man eher eine pointierte Sprache zu. «Wenn du etwas gesagt haben willst, frage einen Mann; wenn du etwas erledigt haben willst, frage eine Frau» (Credits: Margaret Thatcher).

Die verbale Virulenz nahm ihren Anfang, nachdem ich beim deutschen Fernsehgastgeber Sebastian Pufpaff aufgetreten war. Pufpaff, was für ein Name, der schlängelt sich in den Gehörgang wie ein Ohrwurm. Und die Credits dafür liegen nicht beim Künstler selber, er wäre wohl erfinderischer gewesen, hätte er sich einen Künstlernamen zulegen wollen. Für Schweizer Ohren mag sein Name klingen wie der Crash einer Grossbank: Erst gibt’s ein Puff und dann fällt alles zusammen. In Deutschland hingegen ist die Brisanz eine andere. Dort erntet verständnislose Blicke, wer beispielsweise als Lehrerin davon spricht, dass es ein Puff habe auf dem Pausenplatz. Und dass die Kinder ihr Sackgeld aufbessern können. Es gibt es gar Kinder, über die geschrieben wird, sie «fötzelen aus Leidenschaft» (Credits: Tages Anzeiger).

Selbst ein einfacher Twitterer aus Australien kann mit seinem «Schweizer Bank ist pleite»-Tweet einen viralen Hit landen. The Eagle has landed. Oder eher der Pleitegeier. Für manche war dies einschneidender als Corona. Plötzlich ist die Schweiz kein sicherer Hafen mehr, no more safe Harbour for Ships, ob Leadership in Banking oder Entrepreneurship, solch fusionierte Titanic-Unternehmen sind «too big to sail» (Credits: Ruedi Widmer). Wie wäre es in diesem Zusammenhang, wenn Yoko Ono mit Magdalena Martullo fusionierte und den Mega-Hit «Imagine the seven sinking steps, you Dreamer, du» neu vertonte? Wer bekäme die Credits dafür? Oder man stelle sich vor, Corona und die Vogelgrippe würden fusionieren, gäbe das dann ein geflügeltes Mega-Virus, das in schlanken Dosen direkt zu den Empfängern transportiert wird? Von der Künstlerin Corinne Sutter gibt es ein Speed-Painting-Video im Netz, das bereits milliardenfach angeschaut wurde. Genützt hat es ihr nicht viel, da selten ihr Name erwähnt oder ihr Profil verlinkt wird. Deshalb ist sie zwar «weltweit bekannt, aber nur in homöopathischen Dosen» (Credits: Corinne Sutter).

Jedes vermeintliche Sprichwort, jeder virale Hit hat einen Ursprung, kommt wie ein Kind aus der Mutter, im «Ursprung aus dem Eisprung» (Credits: Rebekka Lindauer). Wer behauptet, ein Bild, ein Lied, ein Text sei «Netzfund», hat sich einfach keine Mühe gegeben. In Zeiten von Chat GPT und künstlicher Intelligenz fragt sich selten jemand, von wem die Worte ursprünglich stammen. Die grosse Frage scheint heute eher:

Wer verleiht geflügelten Worten ihre Flügel?

Ich appelliere an aller Netzaktiven: Lasst den Etikettenschwindel und gebt die Herkunft an. Appellation d’ origine controlée. Kontrolliert, woher etwas kommt. Es ist komplett kostenneutral, den Kreative Credits zu geben für ihre Arbeit. Schiebt das nicht auf die lange Bank. Die Frage ist immer:  Wer hat’s erfunden? Die Schweiz? Credit: Suisse? Oder war es doch Ricola?

Ob ich für erhoffte virale Hits wieder nach Deutschland reise, hängt vom öffentlichen Verkehr ab. Die deutsche Bahn ist nicht so schlecht wie ihr Ruf. Sie ist wesentlich schlechter. «Too big to rail».  Das legendäre Gedicht mit dem Titel «Requiem für eine tote Legehenne in einem Kompositum», welches damals viral ging, hat übrigens einen eingängigen Text: «EineEierlegende Eier-Legende kommt zu ihrem Eier-Leg-Ende.» Oder radikaler: «Eierlegende Eierlegende am Eierlegende».

Ich brauche weder Kaffeetassen noch Bettbezüge. Aber ich möchte, dass der Spruch auf meinen Grabstein graviert wird. Mit Credits. Beerdigt mich bitte an einem Ort, wo alle mein Grabmal sehen können. Eine Pilgerstätte für totgelaufene Pointen. Ich schlage den Paradeplatz vor. Da hat es zumindest schon ein Loch, das gross genug ist.

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NZZ | 12. März 2023

Unser Rasenmäher heisst «gut schweizerischer Kompromiss».

Es lenzt und mit den längeren Tagen beginnt auch der Pflanzenwuchs. Was wächst und wuchert, muss gebändigt und in Schranken gewiesen werden. Das gilt für die Gartengestaltung und den gleichnamigen Tatbestand im Strassenverkehr: Rasen.

Es lenzt und mit den längeren Tagen beginnt auch der Pflanzenwuchs. Was wächst und wuchert, muss gebändigt und in Schranken gewiesen werden. Das gilt für die Gartengestaltung und den gleichnamigen Tatbestand im Strassenverkehr: Rasen.

Der gepflegte Rasen ist die grasgewordene Visitenkarte der Einfamilienhausquartiere. Die einen lassen die Halme so lange stehen, bis sich Gänseblümchen einschleichen. Das sei ökologisch wertvoll behaupten sie, obwohl höchstens eine müde Biene angelockt wird. «Pro-Grastinieren» könnte man es nennen, das Greenwashing der Faulen.

Andere setzen zum Zweck der Arbeitsvermeidung gleich auf Steingärten. Kies in allen Farben, gewundene Feng-Shui-Flussläufe in hartem Mineral, ein Trainingscampus für das Überleben in einer post-glazialen Welt. Dahinter Häuser mit Glasfassaden. Die Kabarettistin Jane Mumford findet die Verschwörungserzählung, wir seien Reptiloiden, nicht weit her geholt: Der moderne Mensch wohne in Terrarien.

Das Gros des Doppel-Einfamilienhaus-Hälften-Mittelstandes stutzt die Halme in gutschweizerischer Regelmässigkeit. Wo nichts wächst, gibt es Kunstrasen, das Toupet der Vorgärten. Da wird gemäht, als erwartete man die Corgys der verblichenen Queen zum Fünfuhrtee oder als könnte jederzeit Belinda Bencic zu einem spontanen Match auftauchen.

Der Frühling lässt das orange Band des Fadenmähers tanzen und die Luft ist geschwängert mit dem süssen Duft frisch geschnittenen Grases. Dies sei ein Verwesungsgeruch, eine Warnung an die umliegenden Gartenpflanzen, konnte man letzthin lesen, der verheissungsvolle Geruch signalisiere nicht Werden, sondern Verderben. Da passt es, dass Gras in der Spiegelung Sarg heisst.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Wie Zinnsoldaten mit erhobenen Bajonetten stehen die gekröpften Gräser in Reih und Glied, da stört eine herausragende Lanze. Sie muss gebrochen werden, mit der Rasenschere beschnitten, vasektomiert gleich nach der Vertikutierung. Beim Gras und bei der Leistung gilt: Herausragend darf nur sein, was ins Allgemeine diffundiert. Blühen sollte es auch nicht, das könnte fremde Bienen anziehen, die sich am Honigtopf bedienen, oder Taubenschwänzchen, diese Kreuzung aus Schmetterling und übergewichtigem Kolibri.

Dies gemahnt an das inzwischen überholte, aber noch nachwirkende Schweizer Schulsystem: Gleichmacherei, statt Exzellenz, bescheidenes Wachstum für alle, statt Untergang für einzelne.

Das Gras wachse nicht schneller, wenn man daran ziehe, besagt ein afrikanisches Sprichwort. Viele sind jedoch überzeugt, dass regelmässiges Schneiden helfe. Die Philosophie spiegelt sich oft in den Frisuren der Gartenbesitzer. So militärisch akkurat geschnitten, dass man mit ihr nicht ins Ausland reisen dürfte, da dies als Waffenexport gelten könnte.

Man müsse das Haar mit einem Wisch reinigen können, meinte einst der Inhaber unseres kleinstädtischen Waffenladens zwischen seinen stramm aufgereihten Winchester und StGW91. Jeder Mann, der mehr brauche als einen Lappen für die Haarwäsche, sei ein militärverweigernder Linksterrorist. Oder eine Frau. Ein Lappen müsse reichen. Und ich hätte mir gewünscht, er hätte auch den Frontal-Lappen ausgiebiger benützt als zur Ausformulierung seiner verknappten Vorurteile.

Die Haar-Gras-Metaphorik erstreckt sich indes über den ganzen Körper. Besonders lustige Zeitgenossen betonen gerne, dass im gemähten Rasen auch ein Gartenzwerg wie ein Riese wirke. Und dass ein Hole-in-one bei sauber geschnittenem Gras auch wahrscheinlicher sei. Der gestutzt Rasen als Visitenkarte für alle Lebensbereiche.

Doch steht er auch symbolisch für die Schweiz? Ertragen wir geballtes Wachstum nur, wenn wir es regelmässig einen Kopf kürzer machen? Klammern wir uns lieber an den Duft des Sterbens als an einen einzelnen, aufstrebenden Halm?

Das scheint sehr antiliberal, schon beinahe totalitär. Tatsächlich heisst unser Rasenmäher «gut schweizerischer Kompromiss». Doch im Grunde ist der Rasen die Krönung der kleinen Frau und die Selbstermächtigung des kleinen Mannes. Hier dürfen wir mit Füssen treten, was wir gesät haben. Hier sind wir royal, hier dürfen wir es sein. Selbst King Roger bevorzugte das Grün und blieb vermeintlich auf dem Rasenteppich. Zumindest trägt er diese schweizerische Bescheidenheit bis heute zur Schau. Nur nicht zu stark herausragen. Wenn alle gleich gross erscheinen, verleiht das den Einzelnen Halt und Zugehörigkeit. Das ist die Schweiz,

Die Schwachen werden gestützt, die Starken werden gestutzt.

Und irgendwo unter dem Rasen hat es noch ein Munitionsdepot.

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Im Dark-Room des Katholizismus

Nichts entschuldigt sexuellen Missbrauch an Menschen. Die schlimmste Form ist Kindsmissbrauch. Den Opfern ist Gehör und Genugtuung zu schenken, die Täter sind zu bestrafen.

Nichts entschuldigt sexuellen Missbrauch an Menschen. Die schlimmste Form ist Kindsmissbrauch. Den Opfern ist Gehör und Genugtuung zu schenken, die Täter sind zu bestrafen.

Der Beichtstuhl ist eine Dunkelkammer des sexuellen Missbrauchs. Viele Übergriffe haben genau dort begonnen. Der Komplex von Schuld und Scham, von Moral und Macht wurde von Priestern für die Befriedigung der eignen Gelüste auf grausame Weise ausgenutzt. Die Dunkelziffer ist enorm. Solange aber die Soutane des Schweigens alles verhüllt, bleibt alles im Dunkeln. Man weiss nicht, ob ein Missbrauch stattfindet oder nicht. Es handelt sich um eine Art Schrödingers Verrichtungsbox, oder satirisch zugespitzt, den kleinsten Darkroom der Welt. Denn tatsächlich finden in der Kirche auch einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern statt, die im Katholizismus aber verboten sind. Hier muss man aber historische ausholen, um nicht schwulenfeindliche Verschwurbelungen zu bedienen, die einen direkten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie herbeifantasieren.

Der Zölibat, sexuelle Abstinenz, wurde ursprünglich eingeführt, um Machtmissbrauch einzelner Akteure zu verhindern. Die katholische Kirche, immer noch grösste Immobilienbesitzerin der Welt, wollte nicht, dass Pfarrer, Bischöfe, Päpste nur ihre eigenen Familien und Kinder begünstigten. Der Zölibat liess sich auch spirituell begründen: Man sei mit der Kirche verheiratet. Sexueller Missbrauch war zu jener Zeit kein Thema, da er allgegenwärtig war. Mägde, Knechte, Untertanen, Kinder, Tiere: Es wurde alles missbraucht, was keine Stimme hatte.

Heute haben wir glücklicherweise Menschenrechte und Gesetze, die das verhindern sollten. Allerdings hält sich die katholische Kirche nicht daran und deckt Täter. Das ist der eine Grund, weshalb sexuelle Übergriffe in der katholischen Kirche systematisch sind.

Der Zölibat an sich ist das zweite Problem. Aber auf eine noch viel tragischere Art allerding, als die offensichtliche. In Zeiten der Verhütung hat er ohnehin keine Berechtigung, obwohl er auch vorher die Kinderlosigkeit nicht wirklich verhindert hat. Aber stellen wir uns vor: Ein gläubiger katholischer Mann, der sich allen kirchlichen Ge- und Verboten verpflichtet fühlt, merkt, dass er schwul ist. Da er seine Sexualität nun ohnehin nicht ausleben kann, ohne ein kirchliches Verbot zu brechen, wird er lieber gleich Priester und unterdrückt seine Gefühle. Das ist ein Grund, weshalb es verschiedenen Studien zufolge überdurchschnittlich viele Homosexuelle (auch Frauen) in zölibatär lebenden Kirchenämtern gibt. Nicht Cis-Hetero zu sein ist also für sehr gläubige Katholiken ein Grund, überhaupt ins Amt einzutreten.

Wir wissen aber alle, wie es ist mit der Liebe und/oder der Sexualität. Es ist schwierig, sich dagegen zu wehren, weshalb (glücklicherweise) viele Priester trotzdem eine Liebesbeziehung beginnen. Heimlich. In der Sakristei. Oder in der Dunkelkammer der Sünden: im Beichtstuhl, der damit zum kleinsten Darkroom der Welt wird.

Viel tragischer und grausamer ist, dass gläubige Männer, die pädophil veranlagt sind, denselben Grund haben, Priester zu werden. Sie können ihre Sexualität ohnehin nicht ausleben, dann eben gleich Zölibat. Und die skrupellosen unter ihnen leben die Sexualität dann eben doch aus. Auf die grausamste Weise, die man sich vorstellen kann: an ihren kleinen Schützlingen. Auch bei den Pädophilen findet sich eine höhere Anzahl im Pfarrer-Beruf als in der Gesamtbevölkerung.

Eine dritte Gruppe sind die üblichen machtmissbrauchenden Menschen, welche sich an denen vergehen, die gerade verfügbar sind. Diese Art Täter gibt es auch oft in Familien (Väter, Brüder, Onkel, Mütter usw.) oder anderen Berufen mit Kindern. Sie sind in der Kirche nicht unbedingt häufiger zu finden.

Systematisch ist das Schweigen nicht nur, weil ein verbrechen gedeckt werden soll. Häufig haben auch die religiös indoktrinierten Eltern, Lehrpersonen, Behörden aus Scham, Schande, Überforderung, kruden Moralvorstellungen, mangelnder Aufklärung alles vertuscht und unter den Teppich gekehrt.

Zudem «vergibt» die katholische Kirche Sünden, wenn man bereit ist zu beten zu beichten und zu büssen. Es wird eine Ablass bezahlt für den Vatikan, den Petersdom, den Heiligen Stuhl. Oder wie man es nennen könnte: Holy Shit.

Das System ist somit mehrfach ausgelegt für sexuellen Missbrauch.

Wer jetzt überrascht ist ob der viele Fälle, hat vorher offenbar nicht genügend gut hingeschaut. Denn im Grunde ist die Geschichte des Missbrauchs eine system-inhärente: Schon die biblische Maria war ja im Grunde durch einen Übergriff schwanger geworden. Für priesterliche und göttliche Übergriffe gilt offenbar leider bis heute das Achselschweiss-Gesetz: In Dubio pro Deo.

*Weshalb ich behaupte, das alles zu wissen: Ich habe mich im Studium an der Uni Zürich (Kriminologie, Soziologie, Entwicklungspsychologie) mit Katholizismus, mit Missbrauch von Minderjährigen und den Zusammenhängen von Tätern und Opfern intensiv auseinandergesetzt. Satire kann das Problem nicht lösen. Sie ist nur eine Art, dem Wahnsinn der Welt zu begegnen.

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Fasnacht

Fasnacht. Fasching. Karneval. Die 5. Jahreszeit. Einmal im Jahr politisch unkorrekt auf die Pauke hauen, indem man sich in der Klischeekiste der letzten 500 Jahre bedient.

Fasnacht. Fasching. Karneval. Die 5. Jahreszeit. Einmal im Jahr politisch unkorrekt auf die Pauke hauen, indem man sich in der Klischeekiste der letzten 500 Jahre bedient. Einmal in eine andere Haut schlüpfen, indem man in der Fasnachtsbar möglichst viel Haut präsentiert. Einmal anzüglich sein, in dem man sich gekonnt auszieht und dies als Verkleidung kostümiert. Einmal im Jahr Volks-Anarchie, gegen die Mächtigen austeilen, geschützt durch Masse und Maske.

Für mich als katholische Bauerntochter war die Fasnacht lange meine einzige Bühne für Satire. Hier konnte ich als Hofnärrin in alle Richtungen austeilen, karikieren, überzeichnen und natürlich saufen und Schnupftabak in die Nase hauen, so dass es für die nächsten Tage locker für Rohrschachtests im Taschentuch reichte. Eine Masse, brauner als die rassistischen Schnupfsprüche, quoll aus meinem Kopf, vermischt mit Konfetti. Vermischt mit Räppli (nein, liebe Deutsche, unser Geld würden wir nie im Diminutiv bezeichnen, es heisst Franken und Rappen, und damit sind weder Germanen noch Pferde gemeint). Gemischt mit Fötzeli (nein, liebe Deutsche, dabei handelt es sich nicht um ein Körperteil, obwohl bei richtigen Fasnächtlerinnen auch dort nach dem Feiern die Fötzeli rausgeklaubt werden müssen). Papierschnipsel. Ein Kessel Buntes. Schmutziger Donnerstag. Aschermittwoch. Bedenke Mensch, dass du Staub bist.

Heute weiss ich, dass die gefühlte Anarchie ein kostümierter Schein ist und dieselben Kreise 10 Tage lang die Fasnachtsstrippen ziehen, welche die restlichen 355 Tage an der Macht sind. Aber ich erfreue mich ob der Kreativität, der lebendigen Tradition, der aufwändigen Gewänder, der kreativen Kostüme und wagemutigen Wagen, der Laternen und der Schnitzelbänke und Büttenreden und der trotzigen Lebensfreude, die einer krisenbehafteten Welt entgegengeschleudert wird.

Mein Gesicht bemale ich noch immer, einfach etwas dezenter. Und wer genau hinschaut, sieht einen kleinen Schnodderfaden mit braunem Schnupftabak.

Allen Fasnacht-, Fasching- und Karneval-Besessenen: Feiert schön! Und vergesst nicht:

Au d‘ Fasnacht het ihre

Priiis

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NZZ am Sonntag | 4. Februar 2023

Krieg den Sternen – das Imperium schlägt zurück

Früher attackierten Linke Mercedes-Sterne an den Autos, heute bekämpfen Rechte die Gendersterne in der Sprache.

Früher attackierten Linke Mercedes-Sterne an den Autos, heute bekämpfen Rechte die Gendersterne in der Sprache.

Kosmos heisst Ordnung. Das Universum tendiert immer zum Ausgleich der Kräfte. Alles hält sich die Waage. Das gleichnamige Sternbild steht als austarierendes Element zwischen der unschuldigen Jungfrau und dem angriffigen Schützen. Als würde sich Baume-Schneider, die personifizierte jurassische Justitia, mit der Waage in der Hand zwischen den Wolf und ihre weiss bewesteten Schwarznasenschafe stellen.

Wobei ihr Name eher eine Kettensäge vermuten lässt. Und den Wolf muss man sich im Jura meist noch selbst mühsam erwandern, an Stellen, wo die Sonne niemals hinscheint. Im Jura ist das Raubtier noch nicht so präsent wie in anderen Kantonen, wo man es reisserisch ins Zentrum stellt und längst gerne zum Abschuss freigeben würde. Ein Shootingstar. Solange er keine Überhand nimmt, ist alles in Ordnung.

Es soll schliesslich alles in stabilen Bahnen bleiben. Ändert nur etwas, entsteht ein Chaos. Stars und Sternchen fallen in Ungnade, müssen sich der Gravitation ergeben und drohen in den Niederungen der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Immerhin lässt sich von dort unten gegen Gestirne aller Art und Weise wunderbar noch oben treten. Gegen Fixsterne und sogar gegen fixierte Klimakleber. Persona non Greta.

Nach vermeintlich oben wird noch immer gerne getreten, um ausgleichende Gerechtigkeit zu erreichen. Früher entfernten die Linken die Mercedes-Sterne von Luxuslimousinen, heute entfernen die Rechten die Sterne aus der Sprache. Das Imperium schlägt zurück.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die rechtskonservative Partei unseres Landes sich als sprachsensibel und woke herausstellt und das Geschriebene buchstäblich ins Zentrum rückt? Gut so! Es wurde Zeit, dass endlich mal jemand sagt, wie stark Sprache unser Denken, Handeln und Fühlen prägt.

Es wurde Zeit, dass jemand anerkennt, dass Sprache Trägerin von Ideologien sein kann. Denn heute wird nicht mehr gerne gesagt: «Jeder muss für sich selber kämpfen.» Heute inkludiert man mindestens zwei Geschlechter: «jede und jeder». Auf Schweizerdeutsch hiesse das dann «Jedi und Jede».

Für die erneute Sprachsensibilität können wir jenen danken, die mit aufgerichtetem Laserschwert interstellare Phall-Fehler bekriegen. Esther Friedli. Es scheint, dass ihr persönlicher Bedarf an Sternen definitiv gedeckt ist. Esther heisst Stern. Wer den Genderstern schon namentlich in die Identitätskarte gestempelt kriegt, braucht wohl keine gegenderte Sprache. Zumal sich die Partei ihren Fixstern in Form einer lächelnden Sonne auf die Fahne geschrieben hat. Ein Sünneli. Generisches Neutrum. Wie das Schweizerische per se. Neutral. «Es Fraueli. Es Herrli. Bärgli. Sünneli. Stärnli», wie man in der Schweiz sagen würde, «Hauptsach: Friedli.»

Ganz so friedlich werden die Sprachprogramme allerdings nicht angegangen. Die konservative Partei will dem Volk vorschreiben, welche Sprache benützt werden darf und welche nicht. Selbst ein Übervater muss sich fragen: «Darf Vader? Oder darf er nicht nach Gutdünken Gendersternchen setzen?» Schreibverbote. Denkbarrieren. Ein Sprachdiktat.

Obwohl viele Menschen, die heute Politik betreiben, schon in der Schule die Diktate nicht mochten. Vielleicht wollen sie deshalb zum Ausgleich dem als links wahrgenommenen Lehrpersonal eins auswischen. Endlich. Ein Äquilibrium der Macht. Die universale Kraft der Diffusion stellt immer wieder ein Gleichgewicht her.

Wenn kein Ausgleich zustande kommt, entsteht ein osmotischer Druck. Das ist bei der Hirnrinde einiger Menschen zu beobachten. Diese ist halbdurchlässig wie die semi-permeable Membran von Zellwänden. Die kleinen Stupiditätsmoleküle passieren die engen Öffnungen, die sperrigeren Intelligenzteilchen kommen nicht ganz so einfach durch.

Weil aber das Universum eine ausgeglichene Verteilung von Dummheit und Intelligenz anstrebt, wird der Druck übergross. Der geplagte Geist schwillt an, ähnlich einem rot geränderten, gelblich gipfelnden Pickel auf der Haut eines Teenagers. Und schliesslich entlädt sich die aufgestaute Wut in einer Eruption. Der Eiter des Hasses und der Hetze ergiesst sich explosiv in die Timelines und Kommentarspalten des Internet-Universums.

Auch hier walten die ausgleichenden Kräfte des Alls, bei denen der Starlink-Express etwas nachhilft: Trump ist wieder zugelassen auf Twitter und Instagram. Nachdem das Internet in den letzten Wochen regelrecht geflutet wurde mit künstlicher Intelligenz, wird nun wieder ausgeglichen. Mit natürlicher Dummheit.

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«Wenn Sie die Wahl hätten …»

«Wenn Sie die Wahl hätten . . .» Der Konjunktiv, dieses «hätte, hätte, Fahrradkette», gaukelt vor, keine Wahl zu haben.

«Wenn Sie die Wahl hätten . . .» Der Konjunktiv, dieses «hätte, hätte, Fahrradkette», gaukelt vor, keine Wahl zu haben. Dabei habe ich sie. Jeden Tag. Jede Bestellung ist ein Bekenntnis, jeder Kauf ein Credo, jede Konsumation eine Konfession.

Ich entscheide mit dem Kauf von einheimischen Biohärdöpfeln, den Klimaaktivistinnen nicht nur den Grund, sondern auch die Grundlage des Kartoffelbreiwerfens zu nehmen. Ob ich nun Wanderferien im Valle Maggia mit Zuganreise oder einen Flug auf die Malediven buche, frische Früchte aus dem Fricktal oder Agrumen aus Asien anschaffe, ob ich auf Kerosin aus Katar oder Solarstrom aus Solothurn setze: Die freie Wahl ist der ständige Elefant nicht nur im Porzellanladen, sondern auch im Online-Shop und im Biohoflädeli. Die graue Eminenz, das grosse Tier, nicht zu übersehen und doch zu Tode geschwiegen

Elefant im Raum. Oder doch eher Wa(h)l im Karpfenteich? Denn die Möchtegernpolitikerinnen, die Nationalratskandidaten, die Ständeratsaspirantinnen gehen allesamt auf Wahlfang, als gälte es, Moby Dick niederzuringen.

Dabei seien es vor allem Polparteien, welche ihre Basis noch zum Wählen bewegen können. Die Qual der Wahl sei das Wählen selber, weniger das Auswählen, erklären uns Politologinnen wie Cloé Jans. Wir seien stets auf Parteien fixiert, obwohl es Apps wie Smartvote gibt, ein Polit-Tinder quasi, von welchem uns die passende Volksvertretung auf dem Silbertablett serviert wird wie das Koks im Hinterzimmer. Selbst wenn die politische Linie noch weniger klar ersichtlich sei als momentan die schmalen Schneestreifen in den Skigebieten, zähle primär die Partei.

Parteien seien eine politische Heimat. Gerade in Kriegs-, Krankheits- und Krisenzeiten ziehe es uns zu den politischen Polen wie die grossen Wale ins Polarmeer. Vor allem, wenn es in der Mitte brodelt wie in einem Haifischbecken. Wichtig, sagt die Politologin, seien nicht die tatsächlichen politischen Positionen und die Inhalte, sondern das Aufrütteln, das Wecken, das Mobilisieren. Den Kandidierenden muss es gelingen, ihre Wählerschaft an die Urne zu locken, wobei ein solcher Urnengang ziemlich unspektakulär ist.

Viel mehr Aufmerksamkeit verspricht eine Aufbahrung wie jüngst im Vatikan. So müssten die Wahlwilligen doch in infantesker Selbstinszenierung für ein Selfie posieren. Ich stelle mir die marienhafte Möchtegernständerätin Gabriela Suter vor, eine wandelnde Pietà, wie sie einen Schnappschuss mit dem toten Papst im Hintergrund postet. Dazu der Text: «Die Königin ist tot! Der Fussballgott ist tot! Die Modezarin ist tot! Der Papst ist tot! Mir geht’s auch schon ganz schlecht. Wählt mich, oder beerdigt mich!»

Die Grünliberale Ameti kann das Schöntrinken vergessen und stattdessen auf Härteres umsteigen, die Nase direkt an die dünnen, beschneiten Pistenstreifen in den Bergen halten: «Eine schmale Linie Schnee! Endlich Wintersport, den auch urbane Züri-Kids verstehen! Alles fahrt ii.» Das wäre zutiefst liberal. Und das Grün wird vom Rest des schneefreien Skihangs geliefert.

Für den Metzgermeister unter den Mitbewerbern, Mike Egger, ist jede Küchenschlacht eine Nacht der langen Messer. Statt an die Wurstmaschine könnte er sich Publicity-wirksam live an einer Walschlacht beteiligen und einem Ozeankoloss das blutende Herz aus dem Leib schneiden und es triumphierend in die Höhe halten. Hier würde das Bild des grossen, herzlosen Körpers bereits reichen. Worte brauchte es nicht. Höchstens Walgesänge.

Doch wer uns in Bern vertritt, ist weniger wichtig als unsere Entscheidungen, die wir täglich treffen. Willentlich, frei und freiwillig. In der Politik oder im Meer gilt: Noch sind die Pole nicht verloren. Aber ihre Kappen schmelzen. Freie Wale und freie Wahl sind gleichermassen bedroht, wenn wir nicht Sorge tragen zu ihnen. Wenn wir sie nicht bis zum letzten Tropfen auspressen wie eine Milchkuh.

Denn auch Wale sind Säugetiere. Die Jungtiere nennt man Kälber. Und man weiss es ja längst: Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber. Aber auch die gescheitesten werden früher oder später geschlachtet.

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Die «reformierten Sauhunde». Oder warum Bözer besser küssen.

Ein Wort zum Sonntag.

Letzthin wurde ich gefragt, ob ich Neujahrswünsche schreiben würde für das Fricktal.

Ich tat es mit Freuden.

Das Fricktal ist meine Heimat, dort habe ich leben, laufen und lieben gelernt. Ein Tal, bestehend aus kleinen Bauerndörfern, wo man sich und die Nachbarn meist noch kennt. Seit Generationen. Und wie in jedem anständigen Tal gibt es Fehden zwischen den Nachbardörfern. Wer einmal einen Turnerabend in meinem Heimatort Zeihen besucht, erlebt diese freundeidgenössische Neckerei am eigenen Leibe. Da wird gefrotzelt, geschimpft und mit Fluchwörtern nicht gespart. Obwohl die Bözer Gäste am lautesten klatschen und einen guten Teil des Abends finanzieren mit ihren Konsumationen. Am Bözer Turnerabend ist es nicht anders und es kommt alles zurück. Diese neckische Hassliebe, gespickt mit etwas Lokalpatriotismus, macht das Fricktal, macht den Aargau und die ganze Schweiz aus. Ob es nun um Zeihen und Bözen, Zürich und Basel oder Zollikerberg und Binzenhofquartier geht. Deshalb wählte ich für meine Neujahrswünsche als Rahmengeschichte die Anekdote, dass früher unsere Nachbarn in Bözen als «reformierte Sauhunde» bezeichnet worden seien. Man sagte ihnen nach, dass sie nicht schwimmen können, weil sie raffgierige Bewegungen zum Körper hin machen, statt vom Körper weg. Diese feindlichen Anwürfe haben historische Gründe. Bözen gehörte zu den reformierten Bernern, Zeihen zu den katholischen Habsburgern, eine geschichtliche und konfessionelle Grenze direkt auf dem Feld hinter unserem Bauernhof. Heute weiss ich, dass die Raffgier gleichmässig verteilt ist bei den Konfessionen, und dass die Vorurteile und Klischees nur noch als lustige Anekdoten am Turnerabend kursieren. Selbst politisch ist man inzwischen so offen, dass man zu gemischt konfessionellen Gemeinden fusioniert. Bözen heisst jetzt Böztal und hat sich eine katholische Gemeinde einverleibt. So viel Offenheit gab es vor
dreissig Jahren noch nicht im Fricktal. Auch dies erwähnte ich in meinem Neujahrswunsch. Und dass meine Eltern erstaunlich offen seien, obwohl ich ja vom Bauernhof komme. Ich könnte alles nach Hause bringen, hätten sie mir versichert, einen Moslem, einen Schwarzen, eine Frau … nur keinen reformierten Sauhund von Bözen!

Selbstverständlich haben meine Eltern nie ernsthaft etwas Derartiges gesagt. Sie erzählten dies im Scherz, obwohl es einen traurigen Hintergrund hatte. Denn nur eine Generation früher galten gemischt-konfessionelle Freundschaften als verbotene Liebe.

Meine Familie verkehrt zum Glück freundschaftlich mit den Nachbarn, man ist ja aufeinander angewiesen. Man tauscht Maschinen, Vieh und Land, der Tierarzt war aus Bözen, einige Handwerker ebenfalls und der Hofladen bei der Bözer Nachbarin bietet bestes Gemüse und die schönsten Blumensträusse, welche die 360 Sonnentage in Schönheit bündeln.

Und natürlich habe ich trotz oder wegen der alten Geschichten dann und wann einen Bözer geküsst. Das erschien mir so viel besser als mit den Zeiher Katholiken. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil verbotene Früchte viel süsser schmecken. Und weil die Bözer diese Armbewegung zum Körper hin so elegant und bestimmt machen, dass selbst eine Zeiherin nicht widerstehen konnte.

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Erschienen bei www.ellexx.com

Die Geburt von Jessy – die Weihnachtsgeschichte für Feminist:innen erzählt

Wie würde unsere Welt aussehen, wenn Jesus ein Mädchen gewesen wäre? Unsere Kolumnistin hätte da ein paar Ideen.

Wie würde unsere Welt aussehen, wenn Jesus ein Mädchen gewesen wäre? Unsere Kolumnistin hätte da ein paar Ideen.

Es begab sich zu jener Zeit, dass Kaiser Augustus anordnete, dass die gesamte Bevölkerung seines Reichs an den Geburtsort zurückkehren solle, um sich zu registrieren. Eine Volkszählung sollte stattfinden, ein Einwohnerregister sollte erstellt werden. Und siehe, 2022 Jahre später ist die Technik kein bisschen weiter fortgeschritten, und noch immer müssen die Menschen zum Amt pilgern, um sich standesgemäss anzumelden. Nur die Faxgeräte seien zu Augustus‘ Zeiten etwas moderner gewesen.

Maria hatte zu jenem Zeitpunkt längst errechnet, dass unter ihrem Herzen wohl ein Kind wachsen müsse. Oder dass sie extrem früh in die Wechseljahre gekommen war. Heute nennt man das nicht mehr Wechseljahre oder Abänderung, heute heisst es Change-Management. Die Veränderung würde nicht lange unbemerkt bleiben, das wusste Maria. Natürlich ahnte sie, wer der Vater des Kindes war. Oder besser: der Erzeuger. Nur Jehova war Zeuge gewesen bei dem, was später «Orgie mit minderjährigen Mädchen», «wildes Fest mit Unzucht» oder «Begattung einer Unwilligen» genannt wurde. Keiner der Männer würde je zur Rechenschaft gezogen werden. Schuld war die Frau. Sie hatte nicht Nein gesagt. Ein Bein hatte geblitzt. Die Haare hatten gelockt. Das Kopftuch zu locker gesessen. Es gab immer einen Grund. Meist war er schleierhaft.

Es wäre wohl das Beste, dachte sie, aus der Stadt zu verschwinden. Die grosse Migrationsbewegung lieferte ihr dazu die einmalige Gelegenheit. Joseph, der alte abgerissene Zimmermann, wäre wohl froh um eine Begleitung in seine Heimatstadt. Dieser eingefleischte Junggeselle stand ziemlich sicher nicht auf Frauen, er würde sie wohl in Ruhe lassen.

Auf dem langen Weg ersann Maria eine Geschichte, wie denn eine Jungfrau zum Kind käme. Ein Engel sei ihr erschienen und habe erklärt, das Kind stamme direkt von Gott, der den Samen in sie gepflanzt habe. Durch den Heiligen Geist. Eine Übertragung der genetischen Daten ohne Berührung. Quasi per AirDrop.
Nach der beschwerlichen Reise wurde unter schwierigsten Umständen das Kind geboren und bekam ein rares Geschenk: einen Krippenplatz direkt ab Geburt. Das Kind wurde Susi getauft, Kurzform für Jesusa (erst rund 2000 Jahre später würde man sie Jessy nennen). Sie bekam Geschenke von drei Sterndeutern, doch Susi wusste nicht, was sie mit Weihrauch, Myrrhe und Gold anfangen sollte. Sie ahnte, ihren Nachfahrinnen wären Bitcoins lieber als Gold und statt einer Weihrauchsäule könnten sie eine dritte Säule gebrauchen.

In ihrem zwölften Lebensjahr wurde sie mitgenommen zum Tempel. Hinein durfte sie allerdings nicht, das war den Männern vorbehalten. Susi liess sich das natürlich nicht gefallen. Sie sei die Tochter Gottes, mehr als nur ein Sprachrohr, nicht einfach eine Uriella für Arme, nein, sie sei quasi Gott selber, die Inkarnation Gottes, welcher selber nur Geist sei oder im Himmel, wo er nicht selber eingreifen könne. Sie gehöre in diesen Tempel, sagte sie. Die Zeiten, in denen Frauen nicht in den Tempel durften, waren damit vorbei. Wäre sie ein Junge gewesen, hätte sie wohl ein Zeichen gegen Kapitalismus gesetzt und die Händler aus dem Tempel getrieben. Susi jedoch holte die Frauen der Händler in den Tempel und gab ihnen Mikrokredite, damit sie ein nachhaltig lohnendes Geschäft aufziehen konnten. In kürzester Zeit florierte ein friedlicher Handel mit einem Netzwerk von Frauen, die risikoarm mit ihren Ressourcen umgingen und so für ihre Nachkommen vorsorgen konnten. Change Management.

Susi war gern gesehen. Was sie sagte, sprühte vor Intelligenz. Sie war sogar wundertätig. Einst wurde sie zu einem Hochzeitsfest eingeladen. Die Leute hatten Durst, aber da stand nur noch saurer Wein herum. Sie gab vor, den Wein in Wasser zu verwandeln. Alle hatten zu trinken, ohne dass sie berauscht wurden und ohne dass sie die Frauen gefügig zu machen versuchten. Wasser war völlig ok, Wein hingegen machte gerne k.o., das konnte gefährlich werden.

2000 Jahre später betrieb man einen Susi-, beziehungsweise Jessy-Kult. Menschen gingen übers Wasser mit Stand-up-Paddeln. Junge Frauen nannten sich Jessy und scharten Anhängerinnen um sich. Aber obwohl sie nur 12 Follower gehabt hatte, blieb Susi die wichtigste Influencerin der Geschichte.

Doch nun begannen sich die Männer zu wehren. Das sei unwürdig, monierten sie, dass ihre Berufe schlecht bezahlt seien, dass ihre Geschlechtsgenossen im Embryonalstadium abgetrieben würden, dass sie eine schlechte Altersvorsorge hätten und per Gesetz keinen Alkohol trinken dürfen. Es sei an der Zeit, dass frau auch Krankheiten wie Prostata- oder Hodenkrebs behandle und nicht totschweige. Und eine Kirche nur mit weiblichen Priesterinnen, eine Kirche, in welcher der männliche Körper nur als Samenspender betrachtet werde, sei einfach nicht mehr zeitgemäss. Vor allem aber sollten sie endlich in der Sprache abgebildet werden. Sie fühlten sich nicht mitgemeint, wenn sie sich auf dem Einwohnerinnen-Amt registrieren müssen.

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NZZ am Sonntag | 11.12.22

Neue Zauberformeln braucht die Schweiz

Oft wünschte ich mir einen Zauberspruch oder wenigstens die magische Feder der Reporterin aus dem Harry-Potter-Roman.

Oft wünschte ich mir einen Zauberspruch oder wenigstens die magische Feder der Reporterin aus dem Harry-Potter-Roman. Mit wenigen Begriffen gefüttert, ergiesst sich die Feder auf das jungfräuliche Papier wie kleine Jungs, die ihren Namen in den ersten Schnee urinieren. Jene Feder ist J.K. Rowlings prophetische Vorwegnahme Künstlicher Intelligenz. KI schreibt heute mutmasslich bereits die Beiträge auf Gratis-Portalen. Damit die Leserschaft nicht ob der Korrektheit der Texte irritiert ist, wird die KI nicht nur mit Wikipedia- und LinkedIn-Artikeln gefüttert, sondern lernt direkt in den Kommentarspalten der Boulevardpresse und an den Wänden der Bahnhofsklos. Für die Wokeness wird sie mit dem Parteiprogramm der Jungen Grünen gefüttert. An den Flyern der jüngst tätigen Rechtsextremen übt sie, das deutsche sz mit dem schweizerischen ss zu ersetzen. Für Hass und Hetze reichen indes auch Twitter, das Alte Testament und Grimms Märchen. Falsch gesetzte Apostrophs’ lernt sie beim Stöbern im Handelsregister von Startups. Das Zauberwort heisst Street Credibility.

Mir würde schon die natürliche Intelligenz reichen, welche genuine Elaborate aufs Blatt zaubert, statt sich an Vorbilder zu halten. Denn am Wochenende nach der Bundesratswahl sind längst alle kulinarischen Wortspiele verbraten und es wurde gefragt, ob Baume-Schneider wohl am Ast sägt, auf dem sie unerwarteterweise sitzt.
Welchen Sesamöffnedich soll ich hier noch bemühen, um zum satirischen Wortschatz vorzudringen?

Die Hexe Bibi Blocksberg hat es einfacher. Will sie abheben, ruft sie einen Zauberspruch, der heute eher wie ein Imperativ von Klimaaktivistinnen im Kunsthaus klingt: «Eene meene Hexerei, flieg schnell los, Kartoffelbrei. Hex-hex!». Hier offenbart sich die anarchistisch-klimaterroristische Subversivität eines scheinbar harmlosen Kinderbuchs. Eltern, nehmt euch in Acht!

Um fremde Mächte von sich fernzuhalten, benützt Harry Potter den Schutzzauber «Expecto Patronum!». Klingt ein bisschen nach: «Ich warte noch auf den Boss». Wahrscheinlich auf den in Herrliberg.

Was wurde bereits über eine neue Zauberformel für den Bundesrat fabuliert! Es ist wie bei jedem Rezept. Das Zauberwort heisst Proportionalität. Die Zutaten müssen in der richtigen Relation stehen, damit der Teig aufgeht beim Backen. Vielleicht hat es deshalb Eva Herzog nicht in den Bundesrat geschafft. Alle wollen ein Stück vom Kuchen, aber die Bundesversammlung befürchtete wohl, dass der Kuchen nicht ganz gebacken wird mit einer Frau aus Basel. Daigg bleibt Daigg. Obwohl Herzog ja eher die Rosine ist als der Teig.

Mit welchem Zauberspruch soll aus einer ländlichen Jurassierin eine urbane, weltgewandte Exekutivpolitikerin werden? Aschenputtel schaffte es mit der einfachen Bitte: «Bäumchen rüttle dich und schüttle dich, wirf Gold und Silber über mich!» Und wenn das Bäumchen mehr nach einem Baume klingt, sei ihr das verziehen. Immerhin der Vorname Elisabeth lässt Royalität erahnen.

Doch die längst fällige Repräsentation der Geschlechter wird noch immer als fauler Zauber abgetan. Dabei geht es nicht um Faulheit, im Gegenteil, nicht die Faulen werden durch Quoten befördert, sondern die Fleissigeren, die es bisher trotzdem nicht schafften. Eine repräsentative Formel für unsere Exekutive ist wahrlich keine Zauberei. Noch einfacher geht es nicht: Drei Frauen, drei Männer und eine Person aus der magischen Welt der phantastischen Queer-Wesen. Fast hätte man das dieses Jahr geschafft. Als Joker könnte man notfalls Infantino wählen, seit er an der katarischen Wunderlampe gerieben hat, fühlt er sich je nach Notwendigkeit als etwas anderes.

Der neue Umweltminister, grün höchstens hinter den Ohren, so als Neuling, füllt seine Stauseen in goethlicher Manier: «Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fliesse …» Doch ach, die Geister, die er rief, die wird er nicht mehr los. Weil sie sich am Boden festkleben.

Am Schluss zählen ohnehin Taten. Im originalen Grimm-Märchen ist es schliesslich kein Zauberspruch, der aus dem Frosch einen Prinzen macht. Schon gar nicht der Kuss der Prinzessin. Mit der Beschwörung «Nur Ja heisst Ja!» knallt sie den übergriffigen Frosch an die Wand. Das wäre vielleicht die Lösung für die aktivistischen Kunstverächterinnen, wenn sie ihren rettenden Prinz Albert I fürs Klima suchen: Einfach eine andere Rezeptur versuchen, nicht Kartoffelbrei, sondern Rösti verwenden.

Wie er sich dagegen schützt? «Expecto Petroleum».

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SRF | 10. Dezember 2022

Google-Suchbegriffe 2022: die Seele der Schweiz

Unsere wahren Sehnsüchte, was uns im tiefsten Innern bewegt, wonach wir wirklich suchen, das zeigen wir Schweizer und Schweizerinnen nur im Inkognito-Modus.

Unsere wahren Sehnsüchte, was uns im tiefsten Innern bewegt, wonach wir wirklich suchen, das zeigen wir Schweizer und Schweizerinnen nur im Inkognito-Modus. Würde die Liste der Suchbegriffe bei Google um diese heimlichen getätigten Anfragen erweitert, sähe sie wohl anders aus.

Was bei der eben publizierten Liste aufgedeckt wird, sind die Wissenslücken. Denn lieber outen wir uns als Depp, als dass wir die im Darkroom unserer Seele gehüteten Phantasien preisgeben. Als Sankt Helvetia der Neutralität fragen wir uns: Was sind Sanktionen? Kriegerisch haben wir wenig NATO-Erfahrung, wir begehren zu wissen: Was ist die NATO?

Lieber geben wir zu, dass wir nicht genau wissen, was ein Oligarch ist, aber was eine Milf ist, weiss inzwischen jedes 12jährige Kind. Natürlich nur vom Hörensagen. Heard off.

Nachdem Coronavirus im Jahr 2021 dominierten dieses Jahr weitere Krisen. Die Abschiede des Jahres schlugen sich in der Suche nieder, Elizabeth II, Roger Federer, im Grunde eine Jass-Krise: Karten spielen wird schwierig, wenn die Queen weg ist, König Roger fehlt und jetzt mit Ueli Maurer auch noch der Bauer geht. Der Ersatz für den Bauern ist allerdings gefunden. Einen weit traurigeren und relevanteren Hintergrund hat die Suchen nach der Ukraine, ein Saat, der tatsächlich erst dieses Jahr in die geistige Landkarte vieler Schweizer Menschen aufgenommen worden ist, auch wegen der Berichterstattung von Luzia Tschirky. Und natürlich die Frage nach Putin. Wie lange lebt ein Zwerg? könnte mit der Hoffnung auf ein baldiges Ende dieses kleingewachsenen Diktators zusammenhängen. Wahrscheinlicher ist allerdings ein Schulprojekt: in der Schweiz lässt schon die intensive Google-Recherche einer einzigen Schulklasse bestimmte Suchbegriffe in die Höhe schnellen.

Novak Djokovic, oder wie ich ihn schon länger nenne, Novax Djocovid, der Ungeimpfte, fürchtet wohl einfach die Spritze. Trotzdem wird die Nadal im Heuhaufen gesucht und selbst Martina Hingis taucht wieder auf. Zumindest auf Google zeigt sich kein WM-Boykott. Warum spielt Sommer nicht? Die richtige Frage wäre doch: «Warum hat der Sommer so lange gehalten?» Geht es um den Fussball-Goalie oder ums Sommer-Klima? Warum heisst es Albani-Fest?  Geht es um die Fussball-Nati oder um Winterthur?

Längst entschieden haben sich die Aarauer und Berner. Sind für andere Schweizer Städte internationale Ereignisse wie die Ukraine und die WM von grösstem Interesse, müssen die Aarauer ihren FC Aarau inzwischen im Netz suchen, weil er auf dem Platz nicht mehr zu finden ist. In Bern steht der drohende Weltuntergang mit Kriegen, Klimakatastrophe und Krankheiten nicht im Vordergrund. Zuoberst ist und bleibt das Gurtenfestival unter anderem gefolgt vom Stadtfest Bern, vom Buskers Bern und von der BEA. Unsere Bundeshauptstadt: eine einzige Festhütte.

In Zürich schafften es nur internationale Themen unter die ersten Zehn. Der einzige Suchbegriff mit Schweizer Anstrich und einem Hauch Unseriosität ist dort Credit Suisse.

Oha Thun, im Berner Oberland scheint man sich immerhin des Fachkräftemangels im Medizinal-Bereichs bewusst zu sein. Die Ärzte Thun offenbar irgendwas. Was sie thun bleibt unbeantwortet.

Am wichtigsten aber ist auch auf Google die Suche nach den Schuldigen. Warum steigen die Benzinpreise? Wer trägt Schuld, dass alte Fernsehshows wieder ausgegraben werden? Doris Leuthard, Simonetta Sommaruga, Michelle Hunziker. Und in diesem Zusammenhang: Wie nennt man ältere Influencer? In Lugano nennt man sie wahrscheinlich Drusilla Foer.

Aber wer zum Teufel ist eigentlich diese oft genannte Mathilde Gremaud? Ich muss sie schnell googlen. Zur Sicherheit im Inkognito-Modus.

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Die Zeit | 7. Dezember 2022

Es steht ernst um den Oesterreicher Witz

Dass es in Österreich witzige Figuren gibt, weiss ich nicht erst seit Lisa Eckhart. Österreich gilt, was den Humor betrifft, als das Grossbritannien des Festlands.

Dass es in Österreich witzige Figuren gibt, weiss ich nicht erst seit Lisa Eckhart. Österreich gilt, was den Humor betrifft, als das Grossbritannien des Festlands. Geprägt von Monarchismus, Migration und Machtgefälle lässt es sich bitterbös in alle Richtungen treten, ohne die distanzierte Selbstironie zu verlieren. Wiener Schmäh trifft auf brachialen Alpenhumor.

Nur die Österreicher als Witzfiguren scheinen verloren zu gehen. Früher waren freundnachbarschaftliche Witze an der Tagesordnung: «Ein Deutscher, ein Schweizer und ein Österreicher …», der Witz gipfelte stets in einer Pointe, welche den Österreicher als Deppen dastehen liess. Durch Globalisierung, Überwindung nationalistischer Klischees und politische Korrektheit entsprechen solche Zoten nicht mehr dem Zeitgeist. Es steht ernst um die Zukunft des Österreicher Witzes. Selbst Skifahrer werden nicht mehr verballhornt. Heute versteht mein Publikum eher Sprüche wie diesen: «Weine im Keller! Gilt in der Schweiz für das Getränk und in Österreich für Kinder.» Wer will, kann den Witz auf die Spitze treiben und auch «Lachen im Keller» erklären.

Es steht zu hoffen, dass folgender Witz in dieser Ski-Saison zutrifft: «Die Bibel sagt: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel. Vor allem, wenn das Kamel Österreicher ist. Denn einfädeln können die.» Bald fehlt selbst für solche Witze die Grundlage.

Ich sage es mit den Worten des Österreichers Alfred Polgar: «Die Lage ist hoffnungslos. Aber nicht ernst.»

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LandxStadt-Magazin

Nationalgerücht

«Schmeckt’s?», fragt die deutsche Kellnerin im Fondue- und Raclette-Stübli. Alles an diesem Satz scheint falsch zu sein.

«Schmeckt’s?», fragt die deutsche Kellnerin im Fondue- und Raclette-Stübli. Alles an diesem Satz scheint falsch zu sein. Wir haben keine Kellnerinnen in der Schweiz, wir haben schon gar keinen Ober, «Ober» klingt viel zu hierarchisch für basisdemokratische Schweizer Ohren, Ober haben wir höchstens beim Jassen. Selbst dort ist der Ober aber an vielen Orten die Dame, das Burgfräulein, aber «Fräulein» sagt man heute nicht mehr, man sagt «Service-Personal, das». Komplett gender-neutral, so neutral wie die Schweiz.

«Schmeckt’s?» ist ein Germanismus erster Güte, denn «Schmecken» oder eben «Schmöcke» ist in der Schweiz ein nasaler Prozess, einer, der die Tätigkeit des Riechorgans betrifft und nicht diejenige der Zunge. Wenn man bedenkt, dass auch der Geschmack von Speisen zum grössten Teil durch die Nase definiert wird, weil die Zunge nur gerade süss, sauer, salzig, bitter und umami unterscheiden kann, passt das Verb eigentlich ganz gut. Erst der Geruch verleiht dem Essen die richtige Würze, mussten Covid-Geplagte landauf, landab feststellen. Das Wort «Riechen» steht hierzulande für eine Gemeinde im Dreiländer-Eck, wo es gerne etwas nach Kunst und Geld riecht. Wenn aber in eidgenössischer Sinnesverwirrung das Tätigkeitswort «Schmecken» in der Schweiz «Riechen» mit der Nase bedeutet, bleibt die Frage nach dem schweizerdeutschen Verb, welches das «Schmecken» mit der Zunge beschreibt. «Schmecken» existiert schlicht nicht. Wer in der Schweiz fragt: «Schmeckt’s?» fragt also eigentlich : «Riecht’s» und wenn es schon rieche, pflegte meine Grossmutter zu sagen, dann schmecke es wahrscheinlich nicht mehr. So fragt man indesssen: «Isch’s guet gsi?» oder in helvetisch bescheidener Manier: «Isch’s rächt?»

Recht so. Wir führen ein Leben im Diminutiv. Jede hat ihr Bürdeli zu buckeln. Jeder trägt sein Rucksäckli. Das Verkleinerungs-Anhängsel schleppen wir hinter uns her wie eine Geissel, welche in den Ohren der Deutschen alles verniedlicht. Wir haben nicht alle Tassen im Schrank, sondern alle Tassli. Wir haben kein Streichholz angezündet, sondern ein Zündhölzli, wir habe kein Zelt, sondernein Zeltli, das ist aber nicht zum Schlafen drin, das Zeltli, sondern zum Lutschen und das Wort «Lutschen» gibt es eigentlich auch nicht, wir lutschen nicht, wir suggelen. Nicht immer kann der Diminutiv rückgängig gemacht werden. Ein Schnäbeli ist in vergrössrtem Zustand trotzdem kein Schnabel, ein Chräbeli wird nicht zum Chräbel und ein Füdli hat nur sehr indirekt mit Food zu tun. Nicht alles kann verkleinert werden, auch wenn die Deutschen das oft meinen, auch uns sind gewisse Dinge heilig. En Guete wird nicht zum Guetsli, eine Bank, auf der das Geld liegt, wird nie zum Bänkli, auf dem das Füdli sitzt. Ein Franken wird nicht zum Fränkli. Denn wir haben keine Geld-Schizophrenie, höchstens ein Gold-Schizophreneli. Wir haben kein Schwein, sondern besitzen ein Spar-Säuli, wir kriegen kein Bier, sondern hätten gerne, wenn’s möglich wär, ein Bierli, wir haben keinen Olaf, wir haben einen Ueli. Und selbst der verlässt Bern. Aber hier wird es plötzlich schwierig. Wer nämlich unserer Hauptstadt Bern ein -li andichtet, macht die Stadt nicht schweizerischer, sondern deutscher, nicht kleiner, sondern grösser. Bern, angereichert mit einem -li, wird zu Berlin, jener grössten Stadt in deutschsprachigen Raum. Jene Stadt, in welcher die Kellnerinnen und Ober gemäss Gerüchten so unhöflich sind, dass sie nicht einmal fragen, ob’s schmeckt.

Dafür betreiben sie Stadtflucht, kommen in die Schweiz, wo Fachkräftemangel herrscht in all’ den Weihnachts-Wunder-Dörfli, Fondue-Hüttli und Raclette-Stübli. Und eigentlich passt es ganz gut, dass wir bei uns für Schmecken und Riechen denselben Begriff verwenden. In einem Land, in welchem das Nationalgericht aus geschmolzenem Käse besteht, fragt man sinnigerweise nach dem Geruch. Es ist ein Nationalgeruch.

Schmeckt’s? Bitzli stinke muesses.

En Guete!

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Ladies Drive | Winter 2022

Der Zweifel ist ein Nagetier

Er nagt oft und gerne mit seinem Zahn der Zeit an unseren Grundfesten wie der Biber an einem Baum.

Er nagt oft und gerne mit seinem Zahn der Zeit an unseren Grundfesten wie der Biber an einem Baum. Dabei spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob unser Baum gut verwurzelt ist und trotzdem flexibel im Wind steht, wie es die richtig starken Bäume tun, fest, aber biegsam, tiefgründige, aber spielerisch, kurz: resilient wie es im Buche steht. Oder in der Buche. Der Biber freut sich sogr, wenn der Baum möglichst tiefe Wurzeln und einene dicke Stamm hat, je mehr Material vorhanden ist, desto mehr Nahrung und Material steht zur Verfügung. Dieses wird in den Bau geschleppt vom aquadynamischen Süsswassernagetier, dessen Schwanz aussieht wie meine Brüste, wenn ich sie versehentlich ins Waffeleisen gelegt habe. Der Zweifel ist ein Cousin dritten Grades des Bibers. Auch er nagt an den Fundamenten und baut Staudämme, welche unseren Flow bremsen können. Auch der Zweifel kann nur bestehen, wenn Substanz vorhanden ist. Indofern darf sich jede Zweiflerin rühmen, dass sie substanzielle Gedanken wälzt, dass sich bei wohl Wissen und Informatione wie die Jahrringe einer Buche zu einem Geflecht verfestigt haben. Und Staudämme sind in Zeiten von Stromlücken und Energiemangel auch nicht die schlechteste Idee..

Zweifel. Zwei Fehler unterlaufen uns dabei oft. Zum ersten sollte uns bewusst werden, das freiwerdende Energie beim Durchbruch des Wassers einfach gut kanalisiert werden muss, damit man sie nutzen kann. Zum zweiten vergessen wir oft, dass Nagetiere sich gerne unkontrolliert vermehren, wenn wir dies nicht zu unterbinden wissen. Die Zweifel rammeln wie die Karnickel und untergraben den Boden, auf dem wir einst so fest standen. Zweifel. Zwei Felder vor, eins zurück.

Deshalb sollte man Zweifel einzeln und am besten geschlechtergetrennt halten oder vorsorglich unterbinden.

Oft verzweifeln wir schon bei Profanem wie der Auswahl der Geldanlage oder beim Festlegen des Haarschnitts im Salon «Haart aber herzlich». Zweifel sind hier vor allem bei der Bennennung des Coiffure-Etablissements angebracht. Dass wir ab und an Haare schneiden, ist verständlich. Es passt auch zum Nagetier, dass gerne haart, selbst wenn wir es herzlich lieb haben. Zweifel. Zwei Felle, eins für den Winter, eins für den Sommer.

Ganz so einfach ist es für die protestierenden Iranerinnen es nicht. Ihr Verzweiflung ist nicht nur ein Nagetier, sondern ein Monster, das sie bei lebendigem Leibe auffrisst oder zu Grunde gehen lässt. Sie schneiden sich die Haare öffentlich ab, entledigen sich ihres Kopftuches, obwohl sie damit allergrösste Risiken eingehen. Verhaftung, Gewalt, Willkür, Folter, Vergewaltigung, Mord. Auch diese Frauen zweifeln. An ihrem Land, an ihrer Sittenpolizei, an ihrer Gesetzgebung. Doch ihre Daseinsberechtigung als würdige, freie Menschen lassen sie nicht anzweifeln. Darin sollten wir privilegierten Frauen und Männer mit aller Kraft unterstützen. Im Zweifelsfall müssen wir dafür Haare lassen, sie aber ihr Leben.

Zweifel. Zwei Fälle. Dabei brauchen wir gar nicht zwei Fälle. Wir brauchen Einfälle.

Und obwohl wir den Zweifel nähren beim Denken, so bringt er auch uns weiter. Hinterfragen, noch einmal nachdenken, kritisch bleiben, das alles kann uns helfen, um bessere Entscheidungen zu treffen.

Wenn sich die Zweifel aber zu stark vermehren und nicht nur an uns nagen, sondern uns aufzufressen drohen, bleibt uns nur das Zurückschlagen. Nagetiere sind schliesslich essbar. Hasen gelten bei uns als Delikatesse, in Peru verspeist man Meerschweinchen und in mancherorts werden Ratten zum Lunch verzehrt.

Fressen wir also die Zweifel, bevor sie uns.

En Guete.

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Tages Anzeiger | 18. November 2022

Warum ich die WM nicht boykottiere

«Aus Schweizer Sicht ergibt es Sinn, dass die WM dort stattfindet, wo der Sommer immer hält. Aber nicht nur unseres Goalies wegen gehört die Männer-Fussball-WM nach Katar: Ein homophober Staat begrüsst eine Disziplin, in welcher Homophobie Alltag ist. Ein frauenfeindliches Regime beherbergt eine Sportart, in welcher Frauen noch immer so wenig verdienen, dass sie ihre Trikots selber waschen und arbeiten gehen müssen, statt trainieren zu können. Ein korruptes Land wird Gastgeber für einen korrupten Verband. Die Fussball-WM schickt sich gleich selbst in die Wüste.»

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Inzerview auf www.naturschutz.ch | 12. Dezember 2022

Patti und der Naturschutz

  1. Wann oder wo geniessen Sie die Natur am meisten?

Meine eigene Natur geniesse ich in Situationen, die hier nicht erzählt werden wolllen. Flora und Fauna erlebe ich täglich am Flussufer, wo ich spazieren gehe. Da gibt es das Wildeste, was die Schweiz zu bieten hat: Wasservögel, Biber, Mountainbiker.

  1. Welches ist das faszinierendste Tier, welches Sie in der Schweiz je beobachten konnten?

Die faszinierendsten Tiere waren einige Raben, die im Geäst am Flussufer sassen und das Wasser beobachteten. Dort schwamm eine Entenmutter mit einer Kükenschar. Drei Erpel drängten die Ente von ihren Jungen weg und vergewaltigten sie abwechslungsweise, bis sie sich zerrupft und erschöpft an Land rettete. In der Zwischenzeit hatten sich die Raben gemütlich und ungestört einige der unbewachten Entenküken geschnappt, welche sie ihrer eigenen Jungmannschaft zum Frass vorsetzten.
Am Schluss war ich nicht mehr sicher: War das nun ein Naturschauspiel oder ein Schulbeispiel Schweizer Politik?

  1. Und welche Tierart nervt Sie am meisten?

Auf die Gefahr hin, sämtliche Rest-Sympathien zu verspielen, welche mir noch bleiben: Haustiere. Vor allem Hunde und Katzen. Haustiere zu halten, ohne sie am Schluss zu essen, halte ich ohnehin für Foodwaste.

Zudem nerven Tiere, die mich stechen oder beissen wollen. Und der Biber, der meine Bäume fällt.

  1. Wie viele Vogelarten erkennen Sie an der Stimme

Lustige Zeitgenossen behaupten, mit Vögeln kenne ich mich aus. Bei mir stimmt es bedingt. Spatzen, Amseln, Buchfinken, Meisen, Lerchen, Tauben, Schwalben, Elstern, Krähen und einige Wasservögel kann ich knapp an den Stimmen unterscheiden. Die restlichen am Federkleid. Oder am Geschmack.

  1. Wann haben Sie das letzte Mal unter freiem Himmel geschlafen und wie kam es dazu?

Als Kind lebte ich von April bis im Oktober auf dem Balkon. Das Bett stand so, dass es vor Regen geschützt war, aber mir freie Sicht auf den Sternenhimmel gewährte. Das war romantisch. Aber dann und wann hatte ich Vogeldreck auf dem Kissen, Schnee auf der Bettdecke oder einen Wespenstachel im Hintern. Heute versuche ich das Gefühl von damals von Zeit zu Zeit wiederaufleben zu lassen und zerre die Matratze auf die Terrasse, um den Garten vor dem gefrässigen Biber zu bewachen.

  1. Was war Ihre letzte Umweltsünde?

Diese Antworten zu schreiben und elektronisch zu übermitteln. Mein ganzes Leben ist eine einzige Umweltsünde.

  1. Und welche gute Tat haben Sie zuletzt für die Umwelt getan?

Bäume dort gepflanzt, wo der Biber welche gefällt hatte.

  1. Wenn Sie – für einen nachhaltigeren Lebensstil – die Wahl haben, entweder auf Fleisch oder Flugreisen zu verzichten, wie würden Sie sich entscheiden?

Was heisst hier: Wenn Sie die Wahl haben? Ich habe ja die Wahl! Wie fast alle anderen Menschen in der Schweiz auch. Und natürlich sollte man möglichst beides wählen. Privat mache ich seit vielen Jahren keine Flugreisen mehr, beruflich weniger als einmal pro Jahr. Ein einziger Flug zerstört die positive Klimabilanz von mehreren Jahren veganem Leben … Dennoch esse ich auch wesentlich weniger Fleisch als früher. Ganz auf tierische Produkte zu verzichten, fällt mir als Milchbauerntochter jedoch schwer. Käse ist mir beinahe ein Grundbedürfnis. Und Biber. Aber nur die gefüllten aus dem Appenzell.

  1. Wofür sollten im Umwelt- und Naturschutz mehr Ressourcen zur Verfügung stehen?

Die Produktion von ökologischen einheimischen Lebensmitteln sollte so unterstützt werden, dass die Menschen sie bevorzugt kaufen. Ökologisches Anbauen und Bauen sollte finanziell unterstützt werden. Biodiversität soll gefördert werden. Der Biber ist aber vernachlässigbar. Meine Meinung.

  1. Was ist Ihr ganz persönlicher Umwelttipp an unsere Leserschaft?

Faul sein. Nichts tun. Nichts konsumieren. Nichts kaufen, nirgendwo hin gehen, schon gar nicht fahren oder fliegen, nicht zum Shopping, nicht ins Fitnesstudio, nicht mal Joggen im Wald. Kein Haustier halten, nicht mal Gassi gehen, nichts tun. Kein Geld ausgeben. Faul sein.

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NZZ am Sonntag | 15. Oktober 2022

An den Haaren herbei gezogen

Die Haarpracht wird voluminöser, wenn man die Haare kopfunter trocknet. Das ist es allerdings nicht, warum die Frauen im Iran sich strähnenweise von ihrem Haupthaar befreien.

Die Haarpracht wird voluminöser, wenn man die Haare kopfunter trocknet. Das ist es allerdings nicht, warum die Frauen im Iran sich strähnenweise von ihrem Haupthaar befreien.

Es ist die Befreiung selbst, das Leben erhobenen Hauptes, das sie anstreben, ohne verordneten Schleier und ohne Angst vor der Sittenpolizei, welche auch vor Gewalt und Mord nicht zurückschreckt. Nachdem die junge Frau Mahsa Jina Amini von Sittenwächtern zu Tode geprügelt wurde, entflammte eine Protestwelle.

Nun fordert ein Kollektiv um Schweizer Intellektuelle, dass sich unser Land mit der feministischen, iranischen Revolution solidarisieren soll durch Sanktionen gegenüber dem mörderischen Regime, dies sei die Aufgabe westlicher Demokratien. Ich nenne es Bewirtschaftung von Frauenproblemen. Als müsste die Schweiz einschreiten bei jeder Pechsträhne, die ohnehin nur Minderheiten betrifft. Frisurenstreit. Themen, die an den Haaren herbeigezogen werden: Sittenpolizei, Verschleierungspflicht, Haare abschneiden. Was geht das uns an? Für uns ist die Sitten-Polizei höchstens ein Synonym für die Tschugger aus dem Wallis. Vollverschleierung kennen wir nur bei der Parteifinanzierung. Und Haare lassen müssen wir schliesslich alle, gerade wenn wir Politik betreiben.

Maurer, einst kraushaargekrönt wie ein junger Uri-Stier, ist der beste Beweis. Ueli Maurer ist bald ein Alt-Bundesrat (engl. Ueli Maurer is a bald old Federal Council). Ueli Maurer geht aus Bern raus (engl. Ueli Maurer is going to Burn out). Und hier zeigt es sich, dass wir in der Schweiz wirklich dringendere Probleme haben: Die grösste Partei muss einen Bundesratssitz neu besetzen. Wäre die Partei eine Frau, müsste man sich fragen, wo in ihrem Körper der neue Bundesrat zu suchen ist:

Der Kopf sitzt zuverlässig und quergescheitelt in Herrliberg,wo er auch bleibt. Die rechte Hand waltet in Ems und und muss das Portmonnaie festhalten, sie hat wahrscheinlich keine Zeit, um als Exekutiv-Organ zu fungieren. Selbst wenn der martulleske Kurzhaarschnitt sich wunderbar ins Bundesrätinnen-Kabinett fügten. Die rechte Hirnhälfte verbreitet das köppelnische Weltwochenbild, bei dem die Erde ums heraldische Sünneli kreist. Die inneren Organe, zuständig für Stoffwechsel und Gesundheit, fände man in Zürich und St.Gallen. Zur Bundesratskandidatur schüttelt aber Natalie Rickli den Blondschopf genauso wie Esther Friedli. Klar, lehnt Friedli ab. Maurer hat sich ja gewünscht, dass kein «Es» nachrücke. «Es»-ther Friedli. «Esther» heisst ohnehin «Stern», da sässe dann ein Gendersternchen im Bundesrat. Für die EsVP.Wo kämen wir da hin?

Wäre die Partei eine Frau, sie trüge keine Highheels, sondern solide Stiefel. Bodenständig und breitbeinig stünde sie mit einem Fuss im Mittelland und mit dem anderen im Röstigraben. Wobei es sich nicht um einen Graben handelt, sondern um eine Mauer. Eine Grimselstaumauer, die, Rösti sei Dank, erhöht werden soll. Wenn Fauna und Flora dann austrocknen wegen zu geringer Restwassermenge, kann man das getrost als Frauenproblem abtun.

Der wahre Röstigraben tut sich nicht auf bei der Frage: Gekochte oder rohe Kartoffeln? Den wahren Röstigraben finden wir bei der Frage: Wie wird Rösti knusprig, gar und geschmeidig? Mit Butter? Oder doch eher mit Erdöl?

Ja, wäre die Partei eine Frau, sie müsste entscheiden zwischen Berner Rösti und Züri-Gschnätzlets, sie würde mit einem Knie uf dem Boden der Chiesa knien, und das andere gegenüber den wichtigen Geldegebern biegen, aber gleichzeitig beklagen, dass ihr die sprichwörtlichen schwarzen Männer und Sozialschmarotzerinnen die Haare vom Kopf fressen.

Nun hätten wir beinahe alle Organe der Frau besetzt. Nur Herz und Rückgrat wären fast irgendwann in der Mitte verloren gegangen.

Und da niemand gern freiwillg braunen Dreck verteilt, müsste man vielleicht den Kopf bitten, nicht zuviel zu fressen. Wenn der Parteikörper nicht so viel Mist produziert, braucht es nämlich gar keinen Darmausgang.

Nur das neue Exekutiv-Organ ist noch immer nicht gefunden. Vielleicht sitzt es irgendwo im verschleierten Haarschopf. Oder in der FDP. Am Schluss wird es wahrscheinlich doch Rösti. Wenn er die Haare kopfunter trocknet, werden seine Locken möglicherweise sogar zur Solidaritätswelle für die iranische Revolution. Dann könnten auch die Linken ein gutes Haar an ihm lassen. Ich schick ihm schon mal einen Trimmer. Und mit etwas Haaröl läuft’s wie geschmiert.

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NZZ am Sonntag | 17. September 2022

Was lange strahlt, findet endlich ein Endlager

Majestätsbeleidigung! Empören sich Royalistinnen und Glückspostleser, man könne das Grab einer Königin doch nicht als Endlager bezeichnen. Diese Leute verstehen offenbar nichts von Schweizer Energiepolitik.

Majestätsbeleidigung! Empören sich Royalistinnen und Glückspostleser, man könne das Grab einer Königin doch nicht als Endlager bezeichnen. Diese Leute verstehen offenbar nichts von Schweizer Energiepolitik. Denn im Gegensatz zur Atommüll-Entsorgung war die letzte Reise der Königin seit Jahrzehnten vorbereitet. Alles verlief streng nach Protokoll, Tausende säumten die Strassen, als sie von Schottland nach London überführt wurde zu ihrer letzten Ruhestätte.

Die Frage ist nur, ob auch all die liberalen Atomkraft-Fans zu Tausenden am Strassenrand stehen, wenn der Atommüll vom Zwilag ins Endlager überführt wird. In der Schweiz nennen wir das nicht Atomkraft. Wir nennen es Kernkompetenz.

Majestätsbeleidigung! Rufen auch die Tennis-Fans. Grossbritannien habe seine Queen verloren, die Schweiz ihren King. Er wusste, dass die tennisbegeisterte Königin seinen Rücktritt nicht überlebt hätte. Deshalb wartete er aus Rücksicht so lange damit. Natürlich ist der Verlust von Federer ein weit schmerzvolleres kollektives Trauererlebnis als der Tod der Monarchin. Denn in der basisdemokratischen Jasskarten-Schweiz gilt ein Ass mehr als eine Königin. Es sei denn, man spielt Undenufe.

Majestätsbeledigung! Ärgern sich diejenigen, welche gerne den Unenufe spielen, diejenigen, die am liebsten von unten nach oben treten würden, obwohl sie meist gar nicht so weit unten sind: Die Linken. Sie werfen dem Solothurnenr SVP-Scharfmacher vor, er wolle die linke Bundesrätin stürzen. Natürlich will er das, er und seine Volkspartei haben während der Pandemie auch am Thron des Gesundheistministers gesägt. Jetzt nutzt er die Gunst der Stunde und macht Sommaruga für die Stromlücke, den Heizungsnotstand, die Gasmangellage und den Wassertiefstand verantwortlich. Wahrscheinlich kennt er den Unterschied zwischen Klimawandel und Klimakterium einfach nicht. Dabei beweist unsere Energieministerin in der Krise, dass eine aufrechte Haltung nicht von einem Stock im Hintern kommt, sondern von dem, was bei Imark offensichtlich Mangelware ist: Rückgrat. Vielleicht sollten die beiden mal gemeinsam Wasser sparen, eine kalte Dusche würde dem Dreckspatz gut tun. Möglicherweise würde der Ogi Dölf ihm auch gerne eine dringende Lektion im sparsamen Kochen von weichen Eiern erteilen.

Natürlich stünde es der Regierung gut an, wenn sie auf alle Krisen bestens vorbereitet wäre, bisher hatten wir Glück und kamen mit mit etwas Übersterblichkeit davon, was im besten Fall die AHV entlastet. Doch gute Vorbereitung kostet Geld. Die Löcher in der Staatskasse werden nicht gestopft, wenn wir Verrechnungssteuern auf Obligationen für Grossanleger abschaffen. Dieses Geld landet irgendwo im ausländischen Endlager, wo es für uns so unerreichbar ist wie Djocovics Aufschläge für Federer.

Lieber setzen wir auf die Mehrwertsteuer. Da können endlich auch Menschen mit geringem Einkommen solidarisch mitbezahlen. So können auch sie sich ihre AHV redlich verdienen. Und noch lieber möchten wir offenbar die Pensionskassen stützen, statt die AHV. Die zweite Säule ist allerdings der Brennstab, welcher unsere Gesellschaft spaltet. Wer einen guten Lohn hat, bekommt viel Pension. Wer gratis arbeitet, bekommt keine Pension. Wer gratis arbeitet, ist schliesslich selbst schuld, gerade die Frauen, die müssten sich besser vorbereiten auf die Rente, einfach ein bisschen bessere Lohnverhandlungen führen für Haushalt, Kinderbetreuung und Freiwilligenarbeit, dafür leben sie dann ja ein Jahr länger, können abtreiben und dürfen inzwischen nicht einmal mehr misshandelt werden, was wollen sie denn noch, soll man sie wie eine strahlende Queen behandeln?

Das Glück winke jenen, die gut vorbereitet seien, zitierte letzhin ein junger Mann und zückte augenzwinkernd eine Packung Kondome. Nur reicht eine dünne Latex-Schicht nicht aus, um die Brennstäbe der AKW im Zaum zu halten. Weder der geheiligte Sandboden unseres abtretenden Königs noch englischer Rasen taugen als Grab. Es braucht weit Härteres. Zum Glück hat Mutter Erde vorgesortgt und stellt uns eine Opalinustonschicht bereit. Nördlich Lägern. End-Lägern. Wo Opa Linus und Oma Lisbeth sich gute Nacht sagen. Dort, wo wir mit dem frühen Frauen-Rentenalter und der Verrechnunssteuer auch gleich unsere Solidarität beerdigen können. Denn es ist ja erwiesen: Mit dem richtigen Beruf können Frauen locker bis 96 arbeiten und Männer sich getrost mit 41 frühpensionieren lassen.

Auf eine strahlende Zukunft.

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Schulblatt Aargau Solothurn

Da ist der Wurm drin. Eine wahre Geschichte

Das Nachbarskind wünscht sich ein Haustier. Die Eltern sind viel unterwegs und nicht sonderlich begeistert, sie wissen, dass sie sich wohl um das Tier kümmern müssten, wie das so ist, am Schluss bleibt die Arbeit an den Eltern hängen.

Das Nachbarskind wünscht sich ein Haustier. Die Eltern sind viel unterwegs und nicht sonderlich begeistert, sie wissen, dass sie sich wohl um das Tier kümmern müssten, wie das so ist, am Schluss bleibt die Arbeit an den Eltern hängen. Bei Haustieren, sagen sie, ist der Wurm drin. Da sind auch keine Geschwister, die das Ämtli übernehmen könnten, vielleicht ist das sogar der Grund für den grossen Wunsch nach einem Tierchen, einem lebendigen Spielkameraden, der abends beim Einschlafen und morgens beim Aufwachen da ist. Es ist ein Einzelkind. Wobei dieses Wort viel zu negativ konnotiert ist. In Comedy-Kreisen spricht man schon lange nicht mehr von Einzelkind, man nennt das Alleinerbe.

Es hätte Platz für ein Tier, aber die Eltern wollen per se keines, auch weil so ein Tier eine CO2-Schleuder sei, Hunde und Katzen kommen nicht in Frage, wenn sie mehr Leben in der Wohnung möchten, würden sie sich weitere Kinder zulegen, die sind irgendwann stubenrein ohne Kot-Säckchen und Kistchen. Das Kind ist nicht dumm, es wünscht sich nicht einfach etwas zum Streicheln, sondern etwas Nützliches. Ein Fortbewegungsmittel. Ein Pferd.

Pferde dürfen nur zu zweit auf grossen Koppeln gehalten werden, das kommt den Eltern entgegen, sie müssen nicht lange argumentieren. Das Kind sieht ein, dass es sich in der Grösse seines Wunsches vertan hat und plädiert dafür, den Rasenmäher zu sparen und durch Schafe zu ersetzen. Doch es bräuchte einen Stall, dafür bekämen sie keine Baubewilligung, trumpfen die die Eltern auf, es wäre ohnehin zu eng, Massentierhaltung ist ja inzwischen verpönt.

Das Kind schlägt Hühner vor, da hätte man eigene Frühstückseier, man ernähre sich ja fast vegetarisch. Hühner seien nicht zugelassen im Wohngebiet, erklären die Eltern siegessicher. Nun verlegt sich das Kind auf Bienen, was aber nicht geht, weil der Vater allergisch auf die Stiche ist.

Heute hat mir das Kind erzählt, es habe nun mit einer Internet-Recherche die perfekten Haustiere gefunden: Keine Allergie, kein Stall, kein Gassi-Gehen, eine grossartige CO2-Bilanz, die Tiere ernähren sich von Abfall, ergeben leckere Burger, erzeugen Kompost und Massentierhaltung sei sogar explizit erwünscht.

Nun steht in Nachbars Keller seit zwei Wochen eine Kiste mit 500 Mehlwürmern.

En Guete

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NZZ am Sonntag

Lehrerin werden? Unterrichten?

Lehrein werden? Unterrichten? Sexy ist das nicht. Und das ist gut so. Erotik hat in der Schule so wenig verloren wie Rocky Marciano im Boxring (bevor Sie googeln: Er hat nie verloren).

Lehrein werden? Unterrichten? Sexy ist das nicht. Und das ist gut so. Erotik hat in der Schule so wenig verloren wie Rocky Marciano im Boxring (bevor Sie googeln: Er hat nie verloren). Statt Vogel-Freiheit herrscht Finken-Pflicht. Selbst meine Bezeichnung als Erziehungswissenschaftlerin, «Lic Phil Päd», klingt unangebracht. Päd und Phil im selben Wort ist heute eher heikel. Doch das ist nicht der einzige Grund für den akuten Lehrkräftemangel.

Unterrichtende sind die Unterschicht der Staatsbeamten. Die einzige Aufstiegsmöglichekit heisst nicht Karriere-, sondern Schulleiter. Was früher Ferien waren, ist heute Home-Office. Wo früher Respekt herrschte, heisst es heute «F**k dich, Alter!». Ausgesprochen in gepflegtem Pädagogik-Jargon liesse sich dieser Anwurf in etwa so übersetzen: «Ich drücke die durch Generativität bedingte Asymmetrie unserer Beziehung in einem verbalen Akt aus und lege Ihnen eine autorerotische Handlung nahe!».

Der Lehrberuf ist schwierig. Menschen sollen durch Schule und Lehrpersonal in unsere Kultur integriert werden, unsere Sprache lernen. Man muss diesbezüglich weder rassistisch noch fremdenfeindlich sein, um der Statistik Glauben zu schenken:

  • 97 % derjenigen Personen, die unsere Kultur und unsere Art von Anstand nicht kennen und sich deswegen ständig danebenbenehmen, 98 % dieser Personen sind tatsächlich Kinder.
  • 98 % derjenigen, die nicht Autofahren können, und trotzdem regelmässig ins Auto einsteigen, sei es nur ein Elterntaxi, sind Kinder. Die restlichen 2% sind Aargauer.
  • 96% der Leute, die unverständlich sprechen, sind Kinder. Die restlichen 3% sind Walliser.

Doch wer soll diese Herkules-Aufgabe übernehmen? Sepp Blatter hätte jetzt Zeit als Senior-Lehrer. Passend zum nahenden Herbst bei Schuljahresbeginn ein Gedicht:

«Herbst. Die Blatter fallen.»

Dasselbe gilt natürlich für Lauber.

Noch passender scheint Jacqueline Badran. Wer Flugzeugabstürze und Lawinen überlebt hat, würde wohl auch mit einer Sek-B-Klasse in Schlieren zurechtkommen. Für die Street Credibility könnte sie in der grossen Pause Zigaretten verticken und dann und wann jemandem eine autoerotische Handlung nahelegen.

Susanne Brunner, SVP-Gemeinderätin, präsentiert sich als weitere Kandidatin. Sprach-Diktate kann sie zumindest schon ganz gut. Sie will den Genderstern verbieten, um die Sprache verständlich zu halten. Frau Brunner, machen Sie doch ein Praktikum an der Oberstufe Spreitenbach, ich garantiere Ihnen, der Genderstern wird Ihr kleinstes Problem sein!

Nebst Sprachproblemen kommt die ganze die Materialschlacht, Hefte, Bücher, Tablets. Einige mögen spotten, dass das eine oder andere Kind nicht der hellste Stift im Etui sei. Doch als Lehrkraft ist man froh, wenn überhaupt ein Stift da ist. Oder ein Etui.

Logistische Herausforderungen jeder Art lernt man im Hauswirtschaftsunterricht zu bewältigen. Als Lehrerin kommt selbstredend nur eine in Frage. Die Frau Amherd. Sie kocht ohnehin längst ihr eigenes Süppchen. Und wenn die Kids ihren Dialekt nicht verstehen, macht sie zeitgemäss ein YouTube-Tutorial. Oder einen Abflug.

Die FDP sieht die Lösung darin, Kleinstpensen zu verbieten. Das macht Sinn, denn nur mit intensiver Beziehung kann Vertrauen zur Klasse aufgebaut werden. Beziehung kommt immer vor Erziehung. Die beste Voraussetzung, um Roger Köppel ins Schulhaus zu schicken. Ein Lernfeld nicht nur für die Kids, sondern auch für ihn. Er könnte sich in der komplizierten Kunst des Absenzenwesens üben. Im Übrigen machte er eine möglicherweise autobiographische Aussage: Jede Beziehung beginne mit dem «Nein» einer Frau.
Schön. Er soll dasselbe an der Schule versuchen! Denn jede Schulstunde beginnt mit dem «Nein» eines renitenten Schülers.

Eine wichtige Aufgabe der Lehrperson ist das Selektionieren in Niveaugruppen. Deshalb heisst der Schulleitfaden «Lehrplan 21».  21 ist nichts anderes als drei mal sieben. Zum ersten Mal sieben die Lehrerinnen nach dem Kindergarten, zum zweiten Mal vor der Oberstufe und zum dritten Mal bei der Frage nach Berufslehre oder akademischer Ausbildung.

Läge hier sogar die Lösung? Sollte der Staat statt Studium an der PH einfach eine pädagogische Berufslehre anbieten? Wenn man dabei bedenkt, dass Berufslernende in der Schweiz «Stifte» genannt werden, ist man vielleicht sogar wieder froh um einen Genderstern.  Denn beim Wort «Stift*innen» läuft man immerhin nicht Gefahr, im Etui danach zu suchen.

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Spendentsunami

Es sei verrückt gewesen, erzählt ein Zivilschützer, wie viele Sachspenden in kürzester Zeit eingetroffen seien nach Ausbruch des Ukrainekrieges.

Es sei verrückt gewesen, erzählt ein Zivilschützer, wie viele Sachspenden in kürzester Zeit eingetroffen seien nach Ausbruch des Ukrainekrieges. Er zeigt die Bilder. Tatsächlich rollt da ein ganzer Tsunami auf die zentrale Sammelstelle zu. Die Sachspendenwelle traf früher und heftiger ein als die Welle der geflüchteten Menschen.

Ein Warenfluss von gebrauchten Spielsachen, Schlittschuhen, Skischuhen, Kletterschuhen, Möbeln, Sexspielzeug. Sauerteigmütter. Und Berge von alten Kleidern. Genügend Stoff, dass Christo damit die ganze Fridays-for-Future-Bewegung verhüllen könnte. Wären nicht beide im Jahr 2020 gestorben.

Man sei an die Grenzen gekommen mit dem ganzen Material, meint der Zivilschützer. Er schliesst, dass nun wohl die Keller all der Spenderinnen und Spender geräumt seien.

Der logistische Aufwand für das Spenden-Management kommt teurer als gezielte Einzelspenden oder Neuware. Das weiss jedes Kind, welches mal einen Fridays-for-Future-Flohmarkt betrieben hat. Lagerhallen müssen angemietet und Mitarbeitende angestellt werden. Es braucht Kühlketten für die wohltätigen Milchschwemmen und Butterberge einheimischer Lebensmittelkonzerne. Der grösste Teil der Waren wird teuer entsorgt.

Die Bilder kennt man vom Hochwasser in Deutschland 2021. Kein grosser Grenzfluss wie der Rhein, sondern die kleine Ahr flutete und zerstörte ganze Ortschaften. Höher als der Pegel des Flusses stieg nur die nicht abebbende Flut von Spenden. Auch da musste der Zivilschutz nebst dem Auspumpen von Kellern noch mit den gespendeten Materialbergen fertig werden. Sandalen, Badekleider, Schwimmflossen, Zeugen eines Konsums, der mitverantwortlich ist für Klimakatastrophen wie die Flut im Ahrtal.

Kaufe in der Zeit, spende in der Not!

Sei selbst der Climate-Change, vor dem du andere retten willst!

Es gehört heute zum Lifestyle, Waren zu bestellen und sie nicht einmal mehr zu retournieren bei Nichtgebrauch. Es ist einfacher, spottbillige Kleider spendend zu entsorgen, als sie mühsam wieder zur Post zu bringen. Karmapunkte gibt’s gratis obendrauf. Win-Win.

Tue Gutes und tweete darüber!

Lieber Altes spenden als neue Steuern!

Was für Unternehmen gilt, gilt auch für unsereiner. Wo ist die Grenze zwischen Altruismus und Eigennutz? Es ist wohl wie mit dem Rhein, welcher die Schweiz von Deutschland trennt: Die Grenze ist fliessend.

Doch wie soll man gezielt helfen? Nicht alle haben für Geflüchtete ein verwaistes Kinderzimmer oder einen geräumten Keller. Zudem klingen Gespräche über Aufgenommene erschreckend ähnlich wie jene über eine neue Art von Sauerteig: «In welcher Phase sind deine? Meine sind ja noch sehr verschlossen. Hilft frische Luft?» – «Was hast du deinen gegeben? Vertragen sie alles?» – «Wir nehmen es selbst in die Hand! Da dürfen wir schon stolz sein drauf.» – «Müllers haben schon die dritte bekommen. Zwei sind schon weg, da ist irgendwie nichts aufgegangen.» Es geht nicht immer auf. Der Aufwand darf nicht unterschätzt werden, die Papierflut ist grenzenlos. Die Bürokratie macht es einem schwer, ein guter Mensch zu sein. Hart verdiente Karmapunkte für die Gastfamilien. Überdenkenswert ist dabei, wieso jetzt plötzlich irgendwie geht, was bei früheren Flüchtlingswellen unmöglich schien.

Das Problem der Spendenberge wäre nun noch zu lösen. Ich schlage vor, dass man mit den Textilien die schmelzenden Gletscher abdeckt. Den restlichen Stoff könnte man den Taliban spenden, er würde reichen, um sämtliche afghanische Frauen zu verhüllen. Für die betroffenen Frauen ist diese grobe Menschenrechtsverletzung dasselbe wie unsere ausbleibende Reaktion darauf: Schleier-Haft.

Milch und Butter schicken wir an den Kreml, dort ist die Kühlkette ungebrochen, Schlittschuhe und Skiausrüstung schicken wir mit, nichts zu danken.

Statt Milchprodukte bräuchten wir etwas Haltbares. Ricola könnte überschüssige Bonbons aus dem US-Markt spenden. Die sind dort nur so lange beliebt, wie sie der US-Wirtschaft nützen, sie sind nicht wirklich heilsam, dafür steinhart, und süss sind sie nur, wenn man daran lutscht. Ähnlich wie ein handelsüblicher Diktator.

Das Sexspielzeug aus dem Keller bekommen die Mitarbeitenden der Behörden. Man sagt, es mache flexibler als ein Stock im Hintern.

Und da wir nun beim Untergeschoss angelangt sind, darf sich auch der verzweifelte Zivilschützer trösten: Beim nächsten Hochwasser sind immerhin die Keller schon leer.

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LandxStadt-Magazin

Nie leer laufe!

Meine Mutter hat mich gelehrt, nie leer zu laufen. „Nie leer laufe. Nie leer laufe, immer öppis id Händ neh, nie leer laufe, immer öppis mitträge, nie leer laufe!“

Meine Mutter hat mich gelehrt, nie leer zu laufen. „Nie leer laufe. Nie leer laufe, immer öppis id Händ neh, nie leer laufe, immer öppis mitträge, nie leer laufe!“

Noch heute höre ich ihre Stimme, wenn ich vom unteren Stockwerk ins obere wechsle, wenn ich nach draussen in den Garten gehe, wenn ich vom Sitzplatz zur Terrasse zurückkehre. „Nie leer laufe“. Es gehe ja im Gleichen zu, wenn man grad noch die Wäsche mitnehme in den Keller, wo man sich eigentlich einen Wein holen wollte, es gehe im Gleichen zu, wenn man zusammen mit dem Wein auch noch ein Glas Konfitüre herauftrage, man habe ja zwei Hände und wenn man ohnehin schon im Keller sei, könne man die Wäsche auch kurz in die Maschine füllen und die bereits gewaschene aufhängen und in die Hände mit Wein und Konfitüre passe auch noch die bereits getrocknete Unterwäsche und der Brief, der da schon viel zu lange liege im Keller, wo er nicht hingehöre, den Brief könne man sich ja zwischen die Lippen klemmen, wenn es in den Händen keinen Platz mehr habe, nie leer laufen.

Das führte dazu, dass meine Mutter keine Leerläufe machte, ihr Alltag war verdichtet und so lückenlos gefüllt wie ihre Hände. Diese waren selten frei für eine ungeplante Streicheleinheit. Selten nahm die gelernte Damenschneiderin, die stolze Handwerkerin, einfach aus reiner Freude Nadel und Faden zur Hand, fast nie einen Stift und ein Blatt Papier, um zu reimen oder zu dichten. Nur dann und wann durften ihre Hände über die Köpfe der Kinder streichen oder über einen schlecht vernähten Saum an einem H&M-Fetzchen, „Schau mal, diese Schundware, dass so etwas überhaupt verkauft werden darf, aber das andere T-Shirt sieht sauber aus, das nehmen wir, wenn wir schon mal hier sind. Nie leer laufen.“ Leerläufe, denke ich, werden den Beamten und den Staatsangestellten zugeschrieben. Wer im Haushalt und im Handwerk arbeitet, muss effizient sein.

So gehe ich bepackt wie ein Saumtier zu einem Auftritt, in der rechten Hand den Brief, den ich schon lange lesen möchte, und in der linken das Handy für Sprachaufnahmen. Da spricht mich ein älterer Herr an. Er lese oft, was ich da und dort schreibe, erzählt er mir, aber es ginge ihm gar nicht um mich, sondern um meinen Vater, den er immer zu hören vermeine, wenn er meine Texte lese, er vernehme deutlich die Stimme meines Vaters, der vor Jahrzehnten sein Arbeitskollege bei der Bahn gewesen sei. Der Herr kommt ins Erzählen. Ja, mein Vater, das sei einer gewesen! Schlagfertig, immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Denn als Quasi-Staatsbeamter bei der Bahn habe man ansonsten nicht allzu viel zu lachen gehabt. Korps-Geist, Gehorsam und leere Wagen ins Depot laufen lassen. Einmal wöchentlich habe man in der bessern Beiz Zmittag gegessen, neben den stolzen Handwerkern. Da sei einst ein Schreiner aufgestanden und habe laut rezitiert:

„Wer im Leben gar nichts kann, geht zu Post und Eisenbahn!“

Es habe aber keine zwei Sekunden gedauert, da habe mein Vater aus der Hinterhand zurück gefeuert:

„Und ist seine Kunst noch kleiner, wird er einfach Möbel-Schreiner.“

Diese Episode habe er in all den Jahrzehnten nie vergessen, ich solle meinen Vater grüssen und auch meine Mutter. Ich bedanke mich und erinnere mich daran, dass ich den Brief noch lesen wollte. Er ist von meinen Eltern. Meine Mutter hat mir ein kleines Gedicht zum Geburtstag geschrieben. Nach all den Jahren wagt sie sich nun ans Reimen, das freut mich, früher war das die Domäne meines Vaters, der bei der Arbeit noch genügend Leerstellen fand, die er mit Erdichtetem füllen konnte. Denn es sind ja die Lücken, in welchen Kreativität entstehen kann.

Natürlich hat mein Vater den Brief auch unterschrieben. Allerdings musste er noch zwei Zeilen aus der Hinterhand anfügen.

„Nicht alles, was sich reimt, ist ein Gedicht.

Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht.“

Dies ist eine der gereimten Ungereimtheiten des Lebens. Ich strahle über alle vier Backen und fühle mich bis obenhin gefüllt mit Lebensfreude. Nie leer laufe.

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LandxStadt-Magazin

Körper in Zeiten des Krieges

Sie hätten fast alles zurücklassen müssen. Sie hätten nur ihren Körper retten können, mitnehmen nur das, was sie auf dem Leib trugen, wird berichtet über die Geflüchteten.

Sie hätten fast alles zurücklassen müssen. Sie hätten nur ihren Körper retten können, mitnehmen nur das, was sie auf dem Leib trugen, wird berichtet über die Geflüchteten. Vielleicht eine Erinnerung, vielleicht ein Spielzeug für die Kinder, aber im Grunde bringen sie nur ihre Körper mit. Vor allem weibliche Körper, Kinderkörper, diese gelten als schützenswert, sie müssen unversehrt bleiben, um die Zukunft eines Volkes, einer Nation zu garantieren.

Wenn ein lustiger Hans-Peter meint, er sei ein verhinderter Komiker, weil er als «mein frühstes Kinderfoto» das Bild eines Spermiums zeigt, liegt er falsch. Sorry, Hans-Peter, das früheste Foto wäre jenes der erheblich grösseren Eizelle, welche seit ihrer eigenen Geburt im Körper deiner Mutter geschlummert hatte.

Deshalb erhält der weibliche Körper von klein auf in fast allen Kulturen einen besonderen Schutzstatus. Am deutlichsten tritt dies hervor im gebärfähigen Alter, da wird der weibliche Körper reglementiert, vermessen, verschleiert oder entblösst, da manifestieren sich an ihm die Kultur und die Begierde. Ältere Frauenkörper sind eher wieder bedeutungsloser. Die erneute Wahl des französischen Präsidenten gibt mir persönlich jedoch Hoffnung. Er ist ein Vorbild. Er hat die deutlich ältere Brigitte, seine ehemalige Theater- und Französisch-Lehrerin, geheiratet.

Alors, falls hier schöne, junge Menschen im heiratsfähigen Alter mitlesen, welche eine politische Karriere anstreben: Ich war mal Theater- und Französisch-Lehrerin.

Für junge Frauen bedeutet die dauernde Sorge um ihren Körper einen Mehraufwand, Verhütung oder Förderung einer Schwangerschaft, monatelanges Bangen um den Fötus, wochenlange Heilung von der Geburt, Stillen. Väter hingegen können ihren biologischen Beitrag locker in wenigen Stunden zwischen zwei Kriegseinsätzen produzieren und auch gleich mehrere Frauen mit Nachwuchs beglücken. Was zynisch klingt, wird in Kriegszeiten zur grausamen Praxis.

Die Körper der Männer werden als Verschleissware betrachtet, als Kanonenfutter, als Frontmaterial. In ihnen liegt Abwehrkraft, aber wenig Reproduktionsmacht. Wessen Körper durch Granaten zerfetzt wird, um andere zu retten, stirbt den Heldentod.

Im Krieg werden Körper missbraucht. Für den Kampf, für die Macht, für die Lust. Es besteht die Gefahr, dass gerade mit Schutzsuchenden ein dreckiges Geschäft abgewickelt wird. Die Menschenhändler warten an den Grenzen, die Zuhälter reiben sich die Hände, in Freierforen werden Ukrainerinnen schliesslich als aussergewöhnlich hübsch, sehr weiblich und besonders willig beschrieben. Ein ehemaliger Politiker versicherte mir sogar, dass es in diesem Krieg nur darum gehe, Schweizerinnen nach und nach durch Ukrainerinnen zu ersetzen, da letztere ja attraktiver seien. Als wäre der Krieg eine billige RTL2-Show. Frauentausch.
Frauenkörper sind willkommen in einem Land, in welchem nur ein eindeutiges, laut ausgesprochenes Nein eine Verweigerung zur körperlichen Vereinigung bedeutet. In einem Land, in welchem nur eine eindeutige schriftliche Erklärung den eigenen toten Körper für eine Organentnahme freigibt. Selbst wenn damit eine Leben gerettet werden könnte.

Verkürzt ausgedrückt, wenn in der Schweiz die Körper von Personen genützt werden sollen, ist die Gesetzeslage die Folgende:

Bei toten Körpern: Nur JA heisst JA!

Bei lebenden Körpern: Nur NEIN heisst NEIN!

Vielleicht wäre es an der Zeit, das umzukehren.

Die Widerspruchslösung böte dazu Hand. Oder Fuss. Oder andere Körperteile. In einem christlich geprägten Land müssten wir es ohnehin dem Religionsstifter Jesus gleichtun. Er gab seinen gesamten lebenden Körper, um die ganze Menschheit zu retten. Da müssten wir doch seinem Vorbild folgend eine lumpige Leber von unserem hirntoten Körper geben, um einen einzigen Menschen zu retten.

Dazu muss natürlich bedacht werden, dass nicht alle merken, wenn sie hirntot sind. Manche bleiben gar noch jahrelang in der Regierung eines Landes. Als Exekutiv-Organ. Zudem können nicht alle, die aufs Kreuz gelegt und genagelt werden, eine neue Weltreligion begründen. Selbst dann nicht, wenn sie freiwillig mitmachen und deutlich Ja gesagt haben.

Am Schluss jedoch müssen wir alles zurücklassen. Mitnehmen können wir nicht einmal unseren Körper. Aber vielleicht können wir jemanden retten, ohne ans Kreuz genagelt oder von einer Granate zerfetzt zu werden. Kein Heldentod. Doch heldenhaft für jene, welche durch ein Organ von uns weiterleben. Und sei es nur eine lumpige Leber.

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NZZ am Sonntag

Kulturelle Aneignung

Wenn ein Zürcher weisse Socken trägt, ist das dann kulturelle Aneignung?

Wenn ein Zürcher weisse Socken trägt, ist das dann kulturelle Aneignung?

Nein, schreien die woken jungen Menschen, welche wissen was «Kulturelle Aneignung» bedeutet, «Cultural Appropriation», das Übernehmen von Bestandteilen anderer Kulturen. So würden Klischees bedient und zementiert. Man packe die indigene Bevölkerung Amerikas in die Schublade mit Federschmuck, Südostasiaten in die Schublade mit geflochtenen Bambushüten, Schwarze aus Jamaika würden mitsamt Dreadlocks, Reggae und Joint in die Rasta-Schublade versorgt. Für Fasnacht, Open-Air oder den hippen Quartierflohmi mit integrierter Friedensdemo werde dann die jeweilige Schublade gezückt. Besonders verwerflich sei dies, wenn die Kultur benachteiligter und unterdrückter Gruppierungen kopiert und als oberflächliches Modeaccessoire missbraucht werde. Daher wurde in Deutschland eine weisse Musikerin mit Dreadlocks wieder ausgeladen vom Organisationsteam einer Friedens- und Umwelt-Demo.

Was das mit den Socken zu tun hat?

Die weissen Socken werden den Aargauern zugeschrieben. Wer historisch gebildet ist, weiss, dass der Aargau im Hochmittelalter tatsächlich ein ausgebeutetes Untertanengebiet war. Noch heute leidet die Bevölkerung unter Spott und Vorurteilen. Wer eine Aargauer Nummmer habe, könne nicht Auto fahren, heisst es.

Obschon es heute vor allem die Leute aus der Stadt Zürich sind, die nicht Auto fahren können, weil sie gar kein Auto haben, nur ein Mobility-Abo und die roten Mobility-Autos tragen zu recht Signalfarbe, wer nur alle vier Wochen mal am Steuer sitzt, braucht kein AG im Nummernschild, damit alle anderen freiwillig einen pandemietauglichen Sicherheitsabstand wahren. Aber eigentlich sind die meisten dieser Langsam-Verkehr-Hipster ohnehin Geflüchtete aus dem kulturell unterprivilegierten Aargau und verschleiern nun ihre Herkunft, indem sie sich urbaner geben als die Protagonistinnen von Sex and the City. Bestes Beispiel ist die Stadtpräsidentin Corinne Mauch.

Wenn Leute aus dem flachen Mittelland Freiheitstrycheln schwingen, betreiben sie cultural appropriation? Aus den Bergregionen hörte man tatsächlich, deren Kultur würde instrumentalisiert für eine politische Aussage. Da können sich die geschundenen Kuhglocken gleich gemeinsam mit dem Edelweisshemd anmelden für die Selbsthilfegruppe der Missbrauchsopfer.

Wenn Schweizer den Hitlergruss zelebrieren, ist das dann kulturelle Aneignung? Und in welche Schublade würde er gehören? Zu den Deutschen? Oder doch eher zu den Österreichern?

Erscheint uns die Diskussion im Angesicht des Krieges nicht geradezu lächerlich? Es gäbe doch wichtigere Probleme als die Dreadlocks einer Klimabewegten. Es scheint doch schlimmt, sich nicht die Kultur, sondern das ganze Volk anzueignen, die Schubladen samt dem Schrank zu erobern.

Putin führt als einen Grund für den Angriff eine «Entnazifizierung» an. Kullturelle Minderheiten in der Ukraine sollen besser geschützt werden, das sei überhaupt gar kein Krieg, sondern ein Konflikt. Magdalena Martullo greift in dieselbe Schublade und erteilt in ihrer Firma ein Sprachdiktat mit Putins Wording. Ist das nun kulturelle Aneignung, weil man ja immer wieder hört, Sprachdiktate kämen von linksaktivistischen Identitätspolitikerinnen mit Migrationshintergrund? Oder von Sandro Brotz.

Der Aargauer Nationalrat Andreas Glarner versteht, dass Putin sich einige Gebiete in der Ukraine aneignen will, und schlägt vor, man solle ihm diese doch überlassen. Ein schöner Vorschlag dem Frieden zuliebe. Wenn bei uns eine Grossmacht einmarschiert, überlassen wir ihr dem Frieden zuliebe einfach den Kanton Aargau.

Und die Aargauerinnen müssten sich dann wehren. Weisse Socken würden zum Symbol des Widerstandes. Wie die Dreadlocks bei den Schwarzen.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Denn wir bedienen uns gerne an der Kultur der Schwarzen und Indigenen, wir schmücken uns mit Mode aus der Schublade der People of Color. Wir eignen uns Kultur derjenigen Gruppen an, die noch immer unter postkolonialer Ausbeutung und Vorurteilen zu leiden haben. Wir nehmen alles, ausser die Bürde. Denn die Farbe der Haut lässt sich nicht so einfach abstreifen wie die Aargauer Herkunft oder weisse Socken.

Satirikerin Lisa Christ formuliert eine wichtige Einsicht: «Schubladen sind ein guter Ort für Socken. Für Menschen sind sie ungeeignet.»

Es sei denn, sie tragen weisse Socken mit den eingesticken Initialen AG. Dann dürfen sie sich gerne mal selbst in solch eine Schublade legen. Nur um zu merken, wie es sich anfühlt.

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Germania

Du hattest nun 16 Jahre eine Kanzlerin, die zum Rechten schaute, dann und wann auch zum Linken.

Du hattest nun 16 Jahre eine Kanzlerin, die zum Rechten schaute, dann und wann auch zum Linken. Von manchen wurde sie Mutti genannt. Nun soll alles ändern. Kinder müssen erst mal lernen, dass auch ein Mann Kanzlerin werden kann. Kanzlerkandidaten müssen Koalitionen suchen. Sollen die Grünen und die Gelben mit den Roten oder den Schwarzen?

Ich schaue staunend zu dir nach Norden und sehe vor lauter Farben den Herbstwald nicht mehr.

Dabei könntest du es machen wie die Schweiz. Hier ist man schon viel weiter. In einer Art polyamoren Regenbogen-Elternschaft koalieren bei uns alle Parteien: Rot, Orange, Blau, Dunkelgrün und Sünneli-Gelb − «Fifty Shades of Rägeboge». Das funktioniert wunderbar. Natürlich geht das nicht ohne Diskussionen und Streitereien. Nur werden die Zwistigkeiten bei uns nicht an die grosse Glocke gehängt. Es sei denn, man zählt sich zu den Freiheitstrychlern. Das ist eine unterjochte Gruppierung in der Schweiz, welche sich symbolisch grössere Glocken umhängt, als sie bei Rindviechern erlaubt sind.

Ansonsten sind wir eher selten laut, leiser jedenfalls als deine Töchter und Söhne, wenn sie bei uns im Zug telefonieren oder in der Beiz nach dem Ober schreien. Ober gibt es bei uns sowieso nicht. Wir sind direktdemokratisch, freiheitsliebend, wir haben nicht gern Obere und Untere. Wir haben Servierpersonal. Der Ober ist bei uns eine Spielkarte, die beim Trumpf weniger wert ist als der Under. Bei uns wissen die Oberen in Bern, dass der Under das Sagen hat, wenn es drauf ankommt. Und manchmal trägt der Ober eine Schelle, aber keine grosse Treichle, eher so ein Narrenglöcklein.

Liebe Germania, schau dir unseren Bundespräsidenten an: Er ist verbunden mit der Scholle. An der Olma steuert er den Traktor-Simulator durch den Morast wie unser Land durch die Krise. Etwas kommt unter die Räder, ein bisschen Dreck bleibt hängen, aber irgendwie kommen wir durch. Er streichelt ein kleines Ferkel im Wissen, dass dieses danach geschlachtet wird. Bei dir, liebe Germania, wird das Wahlvolk gestreichelt und danach ausgenommen wie eine gemetzgete Sau. Bei uns wählen die alldümmsten Kälber gerne ihre Metzger selber. Bei dir wählten die allerbrävsten Ferkel nicht mal selber ihre Merkel. Wer regiert, bestimmt bei dir nicht die Volksmehrheit, sondern die Koalitionsverhandlung.

Bei deiner Schwester Helvetia hat immer die Mehrheit recht. Selbst dann, wenn eine Vorlage 99 Prozent des Volkes entlasten würde, darf die Mehrheit entscheiden, dass sie gar nicht entlastet werden will. Die Mehrheit darf entscheiden, dass sie nicht mehr Ferien möchte und kein tieferes Pensionsalter. Natürlich liegt die Mehrheit des Geldes und des Propaganda-Budgets auch bei uns nicht bei der Mehrheit des Volkes. Aber wir lassen uns nicht kaufen. Höchstens beeinflussen.

Bei dir, liebe Germania, ist das ja nicht besser. Die Autoindustrie hat die Wählerschaft fest im Griff. Man könnte denken, ihr seid ein Land von Auto-Sklaven. Selbst die bekannteste Linke ist ein Wagen-Knecht.

Deshalb hast du noch immer kein Tempolimit auf den Autobahnen. Bitte, führe auch keines ein! Wohin soll ich sonst meine rasenden Söhne schicken, wenn sie mal Gas geben wollen wie eine gesengte Sau? Wenn die Motoren laut aufheulen und sich von keiner Alarmglocke bremsen lassen, wenn sie sich nicht aufhalten lassen wollen von Ampelkoalitionen, die von Grün auf Rot springen? Bei mir ist zwar inzwischen rechts Überholen erlaubt, aber nur im lausigen Schneckentempo von 120 km/h.

Bleib wenigstens auf den Strassen liberal. Mir zuliebe.

Es grüsst vom Autoscooter an der Olma
deine kleine Schwester Helvetia.

PS: Und wenn du nichts von mir lernen willst, schiel nach Südosten zu Schwester Austria. So willst du doch auch nicht enden. Wenn ein kleiner Prinz auf dem Thron sitzt, der zu viel Zündeln toleriert, dann ist irgendwann Kurz-Schluss.

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Menschen

Entgegen jeglicher Vernunft schaffe ich es nicht, die Menschen zu hassen. Ich habe sie gern. Selbst oder gerade, wenn ich ihre Haltung nicht teile.

Entgegen jeglicher Vernunft schaffe ich es nicht, die Menschen zu hassen. Ich habe sie gern. Selbst oder gerade, wenn ich ihre Haltung nicht teile. Ich bin privilegiert. Denn ich kann öffentlich meine Gedanken kund tun und werde gehört.

Liebe Menschen, die diesbezüglich weniger Glück haben, liebe Leute, die von Gewalt, Drohungen, Armut, Krankheit betroffen sind, die nicht gesehen oder gehört werden, Einsame und Verlassene, Menschen in Berufen, in denen sie viel zu wenig verdienen, Leute mit ungerechten Vorgesetzen und unfairen Arbeitsbedingungen, Menschen, die diskriminiert oder behindert werden, solche, die wegen ihrer Herkunft, ihres Körpers, ihrer Hautfarbe oder Sexualität angegriffen werden: Wendet euch an die Dargebotene Hand (Tel 143) oder an netzcourage.ch.

Bei mir gibt es nur die dargebotene Faust. Ich versuche möglichst nach oben und nicht nach unten zu treten. Leider vergessen manchmal sogar Bundesräte, dass sie auch zu den Oberen gehören. Selbst ich gehöre dazu. In dieser Hinsicht verbindet Ueli Maurer und mich mehr, als uns trennt. Wir hassen uns nicht. Im Gegenteil: Wir verstehen uns. Und wir bekommen beide täglich Zuspruch und Applaus. Aber auch Hass und Drohungen (Maurer kriegt aber wahrscheinlich weniger DickPics als ich).

Gebt ihn mir gerne. Euren verbalen Hass. Ich habe mir das verdient, ich mach das ja beruflich. Wenn ihr dafür die Leute in Ruhe lasst, welche ohnehin schon diskriminiert werden, hat es sich sogar gelohnt. Und über DickPics müsste ich mich sogar freuen, diese kann man nämlich mit einer einzigen Fingespreizbewegung auf anständige Grösse bringen. Und genauso aufblasen wie diese Lappalie zwischen Maurer und mir (Lieber Ueli, ich bitte um Entschuldigung, die Geschichte ist es nicht wert, medial so dramatisiert zu werden, ich wollte das wirklich nicht in die Zeitung bringen, mir wär lieber gewesen, man hätte über dein „Es“ oder über deine Politik geschrieben und darüber, was du deiner Nachfolge in Bern hinterlässt …)

Mehr habe ich zu der Geschichte nicht zu sagen. Aber meine dargebotene Faust wird weiterhin den Reichen und Mächtigen gepflegt den verbalen Mittelfinger zeigen.

Mit Liebe
Patti Basler

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Expertinnen, Politiker, Mainstreamer, Querdenkerinnen, Schweizerinnen, Schweizer und alle anderen Menschen

Ich möchte euch etwas gestehen: Ich glaube nicht mehr an die heraufbeschworene Gefährlichkeit des Virus und seiner Mutanten.

Ich möchte euch etwas gestehen: Ich glaube nicht mehr an die heraufbeschworene Gefährlichkeit des Virus und seiner Mutanten. Nach all den Irrungen und Wirrungen glaube ich inzwischen, dass es von selbst geht, sich irgendwann quasi selbst zerstört. Das Virus ist gekommen wie andere vor ihm. Ich bin stark, auch dieser Parasit wird mich nicht töten, obwohl er fast alle Organe befallen hat. Normalerweise sollte ein Virus den Wirtskörper ja nicht umbringen, denn es braucht ihn noch. Viel wahrscheinlicher ist, dass mein Abwehrsystem den fiesen Käfer erledigt. Ich habe stark erhöhte Temperatur, Fieberschübe, die sind wichtig. Der Schweiss fliesst in Strömen und flutet ganze Körperteile, als wäre ich im Klimakterium. So schwemmt man die Parasiten aus dem Körper, die schwächsten zuerst. Die stärkeren können sich in meinen Zellen noch vermehren, aber auch sie werde ich wahrscheinlich bald los.

Es sei denn, sie mutieren. Klar, so einige kleine Einzelviren, die mutieren, machen noch nicht viel aus. Aber die stärksten könnten eine Mutation entwickeln, die dazu führt, dass ich weder Fieber noch Atemnot habe. Dann könnte diese Mutante in meinem Körper weiterleben und endemisch werden. Ohne dass mein Immunsystem sie komplett ausrotten würde.

Gerade heute wäre ein guter Zeitpunkt gewesen für eine solche Mutation. Es wäre möglich gewesen, dass sich zumindest die Parasiten einer Körper-Region begonnen hätten zu verwandeln. Sie hätten weniger Gift- und Abfallstoffe in meinem Körper hinterlassen, so dass ich weniger an Fieber, Schweissausbrüchen, Blähungen, Durchfall, Erbrechen und anderen Symptomen gelitten hätte. Es hätte abstimmen können, das Virus, es hätte sich auf seine und meine Bedürfnisse abstimmen können.
Aber etwas hat offenbar nicht geklappt. Das Virus ist nicht mutiert und wütet derart weiter, dass es sich die eigene Lebensgrundlage entzieht.

Ich werde es aussitzen und ausschwitzen mit meinen gift- und abfallstoffgeschwängerten Körpersäften. Auf meiner Hautoberfläche wird ein ungemütliches Klima herrschen und eine toxische Ausdünstung wird das Virus irgendwann im Keim ersticken.

Es tut mir Leid, dass ihr euch schon wieder geirrt habt.

Ich, euer Wirtskörper, werde überleben. Ihr, die Parasiten, wohl eher nicht.

Liebe Grüsse
Eure Erde

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Bauernfamilien

Ich wende mich bewusst an die ganze Familie, denn ich weiss, dass auf dem Hof nicht nur die Bauern, sondern alle mitarbeiten, auch wenn die Müller Brigitte keinen Rappen in der Pensionskasse hat.

Ich wende mich bewusst an die ganze Familie, denn ich weiss, dass auf dem Hof nicht nur die Bauern, sondern alle mitarbeiten, auch wenn die Müller Brigitte keinen Rappen in der Pensionskasse hat. Aber auch der Müller Seppi kommt samt Direktzahlungen nur auf den durchschnittlichen Bauern-Stundenlohn von Fr. 14.-.

Ihr geht offenbar nicht für Geld aufs Feld, ihr baut den Kohl nicht wegen der Kohle an, ihr mästet die Schweine nicht wegen der Scheine. In der Abwasserreinigung würdet ihr mehr verdienen samt regulären Ferien und Pensionskasse.

Seit Jahren müsst ihr immer mehr Land der Natur zurückgeben, Brachen, Hecken, Grünstreifen: buschig und wild wie der Bart vom Abegglen Toni, doch von deutlich mehr Tieren bewohnt. Euch wird das Geld gestrichen, wenn ihr diese Biodiversität nicht fördert. Und das ist gut so.

Die wenigen bebaubaren Flächen bewirtschaftet ihr dafür so effektiv wie möglich. Die Alpen lasst ihr beweiden. Was an den stotzigen Hängen gedeiht, ist für uns erst geniessbar, wenn es durchs Tier zu Milch oder Fleisch veredelt wird. Die Vegetarier können immerhin den Anblick der grasenden Tiere geniessen. Die Veganerinnen können im Winter die Pisten befahren. Und manchmal lassen wir Ausflügler und Influencerinnen euch auch etwas da: Hundekot, der leider kein Dünger, sondern umweltschädlich ist, Abfall, Flaschen. Eine Red-Bull-Dose hat der Kuh Erna durch den Verzehr sogar die versprochenen Flügel verliehen. Direkt nach der Notschlachtung.

Im Flachland baut ihr intensiver an. Da bringt ihr gerne mal mehr braune Gülle aufs Feld als ein rechtsextremer Twitterer im Netz verteilt. Da spritzen einige von euch fleissiger als die Pflegekräfte zurzeit in den Impfzentren. Obst, Gemüse, Raps fürs einheimische Pflanzenöl, Wein, Schweinefleisch, Geflügel, Eier – im grossen Stil unmöglich ohne Dünger, ohne Pflanzenschutzmittel, ohne Importfutter. Weniger, dafür biologischer: Das wäre ja gut so.

Nur blöd, dass Bio dermassen in ist, dass die Grossverteiler es künstlich verteuern. Ohne euch viel mehr zu bezahlen für die Bio-Produkte. Deshalb fragte Abegglen Toni kürzlich, ob die 55 Prozent, die die Agrar-Initiativen befürworten, dieselben 10 Prozent sind, welche Bio kaufen. Doch eine Initiative gegen die hohen Margen der Nahrungsmittel-Verarbeiter und Grossverteiler hätte keine Chance. Da gibt es Anwältinnen und Lobbyisten, ganze Heerscharen. Ein einfacher Ritter ist wohl der leichtere Gegner.

Ihr eignet euch einfach besser als Sündenbock oder als Sau, die man durchs Dorf treibt. Die Landwirtschaft ist der Brunnenvergifter, seit man nicht mehr Religionsgemeinschaften oder Hexen beschuldigen kann.

Wenn ihr umweltfreundlicher und weniger produziert, müssen wir mehr importieren. Doch die Pestizide, die verschmutzte Umwelt, das verursachte Tierleid im Ausland müssen wir wenigstens nicht noch mit unseren Direktzahlungen finanzieren. Wir waschen unsere Hände in Unschuld und pestizidfreiem Trinkwasser.

Nur, liebe Bauernfamilien, habt keine Angst. Die Initiativen sind so verwässert, die gehen schon fast als sauberes Trinkwasser durch. Intensive Landwirtschaft wird nicht verboten, sondern einfach nicht mehr finanziell unterstützt. Drum hat die Müller Brigitte einen Plan. Sie verkauft dem Abegglen Sepp ihre steilen Hänge, dort lässt er die Natur gedeihen und kassiert dafür Direktzahlungen. Im Gegenzug gibt er ihr sein Flachland, da reisst sie die störenden Hecken aus, verteilt dreimal so viel Gülle, vergrössert ihre Intensiv-Schweinemast, importiert Futter und spritzt jedes zugelassene Pestizid. Dafür bekommt sie keine Direktzahlungen. Ende Jahr teilen dann die Müllers und der Abegglen ihren Gewinn. Und Brigitte zahlt sogar etwas in die Pensionskasse ein. Davon wird das Trinkwasser zwar nicht sauberer. Im Gegenteil. Aber ihr hättet uns eine Lektion in Bauernschläue erteilt.

Und das ist gut so.

Auf ein Prosit mit sauberem Trinkwasser.

Patti Basler

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NZZ am Sonntag | 23. Juli 2022

Klimakrise? Auf 10 000 Metern ist es doch schön kühl

„I nime no en Campari Soda“ ist der Soundtrack zum Sommer, weit unter uns das Wolkenmeer. Nur, dass es keinen Campari Soda gibt, wir sind bereits schampar froh, wenn unser Handgepäck im richtigen Flieger landet.

„I nime no en Campari Soda“ ist der Soundtrack zum Sommer, weit unter uns das Wolkenmeer. Nur, dass es keinen Campari Soda gibt, wir sind bereits schampar froh, wenn unser Handgepäck im richtigen Flieger landet.

Denn es staut im Luftraum, Flughäfen sind überlastet, es wird geflogen, als gäbe es kein Morgen und schon gar kein Gestern. Denn gestern, gestern dachten geneigte Reisende noch an das Morgen. Die klimabewegte Jugend reaktivierte bei den klimakterischen Boomern ein Gefühl, das viele bereits tief im vermeintlichen Endlager verortet hatten: Scham.
Genauer: Flugscham. Diese sei aber bereits wieder verflogen, wird allerorten bedauert. Flugscham, das sei nur noch präpandemische Terminologie, das sei die Ante-Aerosol-Ära und reine Vorkriegsrhetorik. Leider sei der Hedonismus mit grösserer Wucht über unser Land hereingebrochen als die stärkste Corona-Welle.
Dabei ist es zu begrüssen, dass wieder schamlos abgehoben wird. Sowohl von der Startbahn als auch vom Ferienkonto. Schämen wollen wir uns nicht mehr, das Konzept der Scham ist längst überwunden. Schamhaare? Ein alter Zopf! Heute nennt man das Intimhaare. Schamlippen? Der aufgeklärte Muttermund spricht von Vulvalippen. Schambank? Diese holzgewordene Schwarze Pädagogik brennt auf dem Scheiterhaufen der Geschichte. Zu Recht. Scham und Bank haben ohnehin so wenig miteinander zu tun wie ein Ballermannhit mit guter Musik. Bereits Céline Dion hat die Helden der Lüfte besungen und wurde damit zur helvetischen Eurovisions-Überfliegerin.
Seien wir stolz statt beschämt! Lasst uns mit emporgerecktem Kopf die Troposphäre zurückerobern, als sei es das natürliche Habitat des Homo volans.
Im Kino sind die aeronautischen Heldenepen ohnehin der Saisontrend. Nicht nur «Top Gun» dreht eine weitere Runde. Zwei Jahre nach dem Strassenfeger: «Berset – Alain zu Haus» folgt nun das Sequel: «Berset – Alain in der französischen Flugverbotszone».
Ein Land, in welchem Jacqueline Badran nicht regelmässig in die Luft geht, will man sich gar nicht vorstellen!
Abheben darf nicht verboten werden. Ein Land, in welchem Jacqueline Badran nicht regelmässig in die Luft geht, will man sich gar nicht vorstellen!
Fliegen bietet in der heutigen Zeit sehr viel mehr Vorteile als nur schnelles Vorankommen. Wie soll man auf der Strasse in den Süden reisen, wenn allenthalben der Wald brennt und Feuerwehrautos im Weg herumstehen?
Auch Züge sind keine sichere Alternative mehr, da sich in der Gluthitze die Schienen verformen. Das einzige, was sich noch mehr verbiegt, sind die Politiker vor den Wahlen. Jene der Sünneli-Partei beispielsweise, die bis vor kurzem den Klimawandel so vehement leugneten, wie sie nun aus Klimawandelgründen neue Atomkraftwerke fordern.
Man müsse eben in alle Richtungen denken. Wenn dem so ist: Warum bauen wir eigentlich keine Atomflugzeuge? Bei den U-Booten hat es ja auch geklappt, warum also nicht nach oben? Dass so ein Atomkraftwerk in die Luft fliegen kann, wurde ja schon öfter bewiesen.
In einem Punkt sind sich die Linken und die Rechten einig: Fliegen muss billig bleiben.
In einem Punkt sind sich die Linken und die Rechten einig: Fliegen muss billig bleiben. Auch Menschen mit geringem Einkommen sollen sich zweimal im Jahr Malibu, die Malediven oder wenigstens Mallorca leisten können. Nur schon, um die Ursprungslokalitäten unserer wichtigsten Kulturgüter kennenzulernen. Zum Beispiel das Musikerzeugnis über eine maternale Erotikdienstleisterin namens Layla.
Zudem eröffnet uns das Fliegen die Vogelperspektive, womit kein Voyeurismus auf private Zweierkisten gemeint ist, sondern der andere Blick. Der von oben. Auf die letzten Reste der Gletscher. Zu Fuss kann man die nämlich gar nicht mehr erkennen.
Deshalb muss Fliegen wieder positiv konnotiert werden. Mit lustvollen Aphorismen:
«Nur wer fliegt, kann bei mir landen!»
«Es ist viel zu heiss, um sich ein grünes Mäntelchen anzuziehen!»
«Wer keinen Bodenkontakt hat, hinterlässt auch keinen ökologischen Fussabdruck!»
«Klimaerwärmung? Auf 10 000 Metern ist’s angenehm kühl!»
Jusqu’ici tout va bien. Le problème ce n’est pas la chute, c’est l’atterrissage.
Das Fliegen per se ist nicht das Problem. Die Frage ist vielmehr, auf was für einem Planeten wir landen wollen. Trinken wir noch einen Campari Soda bis zum Verlust des Schamgefühls. Flugscham ist ohnehin nur noch eines: die Scham, wenn man aufgeflogen ist.
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NZZ Magazin | 25. Juni 2022

Zu wenig Lehrkräfte? Sepp Blatter hätte doch bestimmt Zeit!

Lehrerin werden? Unterrichten? Sexy ist das nicht. Und das ist gut so. Erotik hat in der Schule so wenig verloren wie Rocky Marciano im Boxring (bevor Sie googeln: Er hat nie verloren).

Lehrerin werden? Unterrichten? Sexy ist das nicht. Und das ist gut so. Erotik hat in der Schule so wenig verloren wie Rocky Marciano im Boxring (bevor Sie googeln: Er hat nie verloren). Statt Vogel-Freiheit herrscht Finken-Pflicht. Selbst meine Bezeichnung als Erziehungswissenschafterin, «lic. phil. päd.», klingt unangebracht. «Päd» und «phil» im selben Begriff ist heute eher heikel. Doch das ist nicht der einzige Grund für den Lehrkräftemangel.

Unterrichtende sind die Unterschicht der Staatsbeamten. Die einzige Aufstiegsmöglichkeit heisst nicht Karriere-, sondern Schulleiter. Was früher Ferien waren, ist heute Home-Office. Wo früher Respekt herrschte, heisst es heute: «F**k dich, Alter!» Ausgesprochen in gepflegtem Pädagogik-Jargon, liesse sich dieser Anwurf in etwa so übersetzen: «Ich drücke die durch Generativität bedingte Asymmetrie unserer Beziehung in einem verbalen Akt aus und lege Ihnen eine autoerotische Handlung nahe!»

Der Lehrberuf ist schwierig. Menschen sollen durch die Schule in unsere Kultur integriert werden. Man muss diesbezüglich weder rassistisch noch fremdenfeindlich sein, um der Statistik Glauben zu schenken:

97 Prozent derjenigen Personen, die unsere Kultur und unsere Art von Anstand nicht kennen und sich deswegen ständig danebenbenehmen, 97 Prozent dieser Personen sind tatsächlich Kinder.

98 Prozent derjenigen, die nicht Auto fahren können und trotzdem regelmässig ins Auto einsteigen, sei es nur ein Elterntaxi, sind Kinder. Die restlichen 2 Prozent sind Aargauer.

96 Prozent der Leute, die unverständlich sprechen, sind Kinder. Die restlichen 4 Prozent sind Walliser.
Illustration: Gabi Kopp

Doch wer soll diese Herkulesaufgabe übernehmen? Sepp Blatter hätte jetzt Zeit als Senior-Lehrer. Passend zum nahenden Herbst bei Schuljahresbeginn ein Gedicht:

«Herbst.

Die Blatter fallen.»

Dasselbe gilt natürlich für Lauber.

Noch passender scheint Jacqueline Badran. Wer Flugzeugabstürze und Lawinen überlebt hat, würde wohl auch mit einer Sek-B-Klasse in Schlieren zurechtkommen. Für die street credibility könnte sie in der grossen Pause Zigaretten verticken und dann und wann jemandem eine autoerotische Handlung nahelegen.

Susanne Brunner, SVP-Gemeinderätin, präsentiert sich als weitere Kandidatin. Sprachdiktate kann sie schon ganz gut. Sie will den Genderstern verbieten, um die Sprache verständlich zu halten. Frau Brunner, machen Sie doch ein Praktikum an der Oberstufe Spreitenbach, ich garantiere Ihnen, der Genderstern wird Ihr kleinstes Problem sein!

Frau Brunner, machen Sie doch ein Praktikum an der Oberstufe Spreitenbach, ich garantiere Ihnen, der Genderstern wird Ihr kleinstes Problem sein!

Nebst Sprachproblemen kommt die ganze Materialschlacht, Hefte, Bücher, Tablets. Einige mögen spotten, dass das eine oder andere Kind nicht der hellste Stift im Etui sei. Doch als Lehrkraft ist man froh, wenn überhaupt ein Stift da ist. Oder ein Etui.

Logistische Herausforderungen jeder Art lernt man im Hauswirtschaftsunterricht zu bewältigen. Als Lehrerin kommt da selbstredend nur eine infrage. Die Frau Amherd. Sie kocht ohnehin längst ihr eigenes Süppchen. Und wenn die Kids ihren Dialekt nicht verstehen, macht sie zeitgemäss ein Youtube-Tutorial. Oder einen Abflug.

Die FDP sieht die Lösung darin, Kleinstpensen zu verbieten. Das ist sinnvoll, denn nur mit intensiver Beziehung kann Vertrauen zur Klasse aufgebaut werden. Beziehung kommt immer vor Erziehung. Die beste Voraussetzung, um Roger Köppel ins Schulhaus zu schicken. Ein Lernfeld nicht nur für die Kids, sondern auch für ihn. Er könnte sich in der komplizierten Kunst des Absenzenwesens üben. Im Übrigen machte er eine möglicherweise autobiografische Aussage: Jede Beziehung beginne mit dem Nein einer Frau. Schön. Er soll dasselbe an der Schule versuchen! Jede Schulstunde beginnt mit dem Nein eines renitenten Schülers.

Eine wichtige Aufgabe der Lehrperson ist das Selektionieren in Niveaugruppen. Deshalb heisst der Schulleitfaden «Lehrplan 21». 21 ist nichts anderes als dreimal sieben. Zum ersten Mal sieben die Lehrerinnen nach dem Kindergarten, zum zweiten Mal vor der Oberstufe und zum dritten Mal bei der Frage nach Berufslehre oder akademischer Ausbildung.

Läge hier sogar die Lösung? Sollte der Staat statt des Studiums an der PH einfach eine pädagogische Berufslehre anbieten? Wenn man dabei bedenkt, dass Berufslernende in der Schweiz «Stifte» genannt werden, ist man vielleicht sogar wieder froh um einen Genderstern. Denn beim Wort «Stift*innen» läuft man immerhin nicht Gefahr, im Etui danach zu suchen.

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«Brief aus dem Lockdown»

Lieber* Wladimir Putin

Ich bin zwar Polit-Satirikerin, muss jedoch zugeben, dass ich von Russland, von Osteuropa-Politik und von militärischen Strategien nicht viel mehr Ahnung habe als ein veganer Fernsehkoch von Virologie.

Ich bin zwar Polit-Satirikerin, muss jedoch zugeben, dass ich von Russland, von Osteuropa-Politik und von militärischen Strategien nicht viel mehr Ahnung habe als ein veganer Fernsehkoch von Virologie.

Aber ich verstehe etwas von Menschen. Und selbst wenn einige dich inzwischen eher als Inkarnation einer tolkienschen Ausgeburt der Hölle sehen möchten, denke ich doch, dass du ein Mensch bist. Ich bin mir sogar schmerzlich bewusst, dass du derselben Spezies angehörst wie ich.

Nicht nur partiell, nein, du bist ein ganzer Mensch, mit allem, was dazugehört. Wer dich jetzt einen Darmausgang schimpft, ist sich wohl nicht im Klaren über das Ausmass der Katastrophe, welche ohne die Arbeit der Darmausgangs, ohne dieses Afterwork über uns hereinbrechen würde. Wenn man dich schon als Körperteil bezeichnen möchte, dann doch eher als die allerkleinste Ausstülpung an der zottigen Faser einer Hämorrhoide am Aussenbreich des Anus. Schmerzhaft, stinkend, blutig, kann alles zum Stocken oder zum Explodieren bringen, ist aber eigentlich komplett unnötig. Dabei bräuchte der Mensch Hämorrhoiden, einfach keine aufgeblasenen, ausgestülpten, sondern solche, die an ihrem Platz bleiben.

Was ist passiert, Wladimir?

Was ist passiert, dass du dich wie ein Freiheitstrychler verhältst, stählerne Glocken schwingend, statt blecherne, eine Armee mobilisierend, statt einer Handvoll versprengter Anhänger? Du agierst wie ein in die Enge getriebener Kampfhund, der im Blutrausch und im Wahn nicht einmal mehr seinen eigenen Vorteil sucht, sondern irrational und gewalttätig zerreisst, was ihm zwischen die Zähne kommt.

Was ist geschehen, Wladimir Wladimirowitsch?

Wurdest du zu sehr verwöhnt als Kind? Wurdest du zu lange gestillt oder zu wenig lange? (Oder wie man im Kanton Wallis sagen würde: Hingst du zu lange an den Putini?). Immerhin bist du als Student in der Sowjetunion der 70er-Jahre tatsächlich mit einem eigenen Schlitten zur Uni gefahren! Ein Auto im Jugendalter! Da ist es nur verständlich, reicht jetzt, wo altershalber die die Impotenz drohen könnte, auch eine Nordstream-Pipeline nicht mehr als Phallus-Verlängerung.

Oder war es gar Mütterchen Russland selbst, die dich zu schnell nach oben kommen liess? Willst du nun dein eigenes Mütterchen drannehmen? Denn du weisst, dass Russland auf lange Sicht nicht gewinnen kann. Musst du nun auch noch ihre Schwester, die Ukraine, hart penetrieren, die schöne Kornkammer mit Haar aus goldenen Ähren und einem blauen Himmelskleid? Muss auch sie bluten?

Und welche Rolle spielte Väterchen Staat bei deiner Erziehung? Der ewig Abwesende, für den du nur heimlich arbeiten durftest als KGB-Agent? Ein Vater, der öffentlich nicht zu seinem Sohn steht, ist es das, was dich zum unersättlichen Krieger macht?

Ist es, weil dir jeglicher Humor fehlt? Im Gegensatz zu Jelzin damals, der dem Humor gerne mit einigen Flaschen Vodka nachgeholfen hat.

Willst du uns einfach einen Spiegel vorhalten, weil wir zwar keinen Krieg möchten, aber die Kohle gerne direkt durch die Pipeline an den Hauptsitz der Nordstream in Zug spülen lassen? Und weil wir gerne Waffen verkaufen. An beide Seiten. Denn das ist Neutralität: Wir bereichern uns ganz neutral bei allen. Es war kaum deine Absicht, uns diese Doppelmoral aufzuzeigen.

Vielleicht willst du dir selber endlich beweisen, dass du etwas reissen kannst. Ganz allein. Nicht wie bei deinen Studium-Abschlussarbeiten, die Guttenberg und Bärbock wie Musterschülerinnen aussehen lassen.

Ist es der Napoleon-Komplex, diese narzisstische Kränkung, welche bisweilen Männer deiner Körpergrösse befällt, besonders, wenn sie in die zweite Reihe treten müssen? Liegt Medwedews Schatten immer noch über dir?

Nur weil deine Augen etwas eng beieinander liegen, muss dir ja nicht der Weitblick fehlen. Viel gefährlicher sind wohl deine Botox-Behandlungen. Ich fürchte, das Nervengift hat deine Hirnrinde und deinen frontalen Stirnlappen inzwischen irreversibel angegriffen. Das würde erklären, warum du nur noch die Schlacht siehst, welche du zweifelsohne gewinnen wirst, aber den Krieg vergisst, welcher nur Verlierer übriglässt.

Krieg hinterlässt immer nur Verlierer.

Das ist die eine Lektion, welche in Europa fast alle gelernt haben. Du warst wohl gerade beim Autofahren oder hast eine fremde Arbeit plagiiert oder hast die weizenährenblonden Kommilitoninnen aus der Ukraine belästigt.

Die gute Nachricht ist, es ist nie zu spät zum Lernen. Trink einen Vodka wie Jelzin, das macht locker. Ich könnte dir auch eine Flasche Cassis empfehlen. Du hast einiges nachzuholen. Nachsitzen. Absitzen. Unter Aufsicht. Mach eine Botox-Detox, damit deine Gesichtsmuskeln sich einmal bewegen dürfen.

Doch denke immer daran: Nicht alles, was sich reimt ist ein Gedicht, nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht.

Ich würde dir sogar ein Hämorrhoiden-Kissen in die Zelle liefern lassen.

Es grüsst

Eine, die glaubte, die Menschen zu kennen

Während der Corona-Krise kann man Patti Basler & Philippe Kuhn im Apocalypso TV verfolgen. Hier zu allen Videos.

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Magazin StadtxLand

Stadt-Land-Graben? Kenne ich nicht.

Ich komme vom Land. Das behaupten in der Schweiz selbstverständlich alle. Und es stimmt. Selbst unsere Grossstädte sind verglichen mit Weltstädten bloss Kuhdörfer.

Ich komme vom Land. Das behaupten in der Schweiz selbstverständlich alle. Und es stimmt. Selbst unsere Grossstädte sind verglichen mit Weltstädten bloss Kuhdörfer. Wer Los Angeles beispielsweise zu Fuss durchquert, hätte in Europa den ganzen Jakobsweg hinter sich gebracht. Als ich einst in Irland mit einem jungen Mann aus Los Angeles die grünen Weiden der Insel erkundete, erklärte er mir im breitesten Westküsten-Slang: «Those are cows. This is hay. Cows eat hay and then they make the milk we buy at the supermarket.»

Ich lachte und erklärte ihm, ich sei vom Land. Wirklich vom Land. Ich sei mit Kühen aufgewachsen und hätte direkt von ihren Zitzen getrunken. Körperwarm. Dass es Milch auch gekühlt im Supermarkt gebe, hätte ich erst im Schulalter gelernt.

Ich komme vom Land und damit meine ich nicht ein Dorf, wo die Kirche steht, sondern einen Bauernhof im Grünen ohne Nachbarn, nur mit Kühen, Katzen und Kinderarbeit.
Meine Hüpfburg waren Strohballen, mein Fastfood waren die Obstbäume, mein ÖV war die Nachbarin, die mich mit dem Traktor ein Stück mit- nahm. Meine Street Parade war der Alpabzug mit Treicheln und Kopfputz der Leitkuh.

Abends mussten wir nicht den Kotz-Pfützen auf der Langstrasse ausweichen, sondern den Kuhfladen auf der Landstrasse. Nachts jagten wir nicht eine feine, gerade Linie weissen Pulvers mittels Hunderternote in die Nase, sondern einen unordentlichen Haufen braunen Schnupftabaks mittels selbst gebauter Schnupfmaschine. Statt Rorschachtests beim Psychologen werteten wir das symmetrische Bild auf dem Schnuderlumpen aus.

Als höchste Anerkennung für einen guten Witz oder ein nettes Wort sagten wir nicht: «Du hast mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert», wir sagten: «Wäge dir isch mir fascht de Stumpe us de Schnorre gheit.» Und das finde ich wunderbar.

Inzwischen wohne ich in der Kleinstadt und reise für Auftritte aufs Land oder in Grossstädte: Berlin, Hamburg, Wien, Niederwenigen. Und ich muss unzählige Gräben überwinden, welche zwischen dem Land und der Stadt bestehen, Gräben, wie damals im Mittelalter, Gräben, welche die Schmarotzer-Städter offenbar ausgehoben hätten, um die gebeutelte Landbevölkerung abzuhalten. Oder umgekehrt, Gräben, die mit Pestizid und Gülle gefüllt seien, damit die steuerzahlenden Städterinnen am Reichtum der subventionsgschwängerten Landbevölkerung nicht teilhaben können. Über diese Gräben flögen von der einen Seite Vorwürfe und Impf-Spritzen, von der anderen Seiten höre man die Treicheln so ohrenbetäubend laut schallen, dass miteinander Reden gar nicht mehr möglich sei.

Allein: Ich spüre nichts von diesen Gräben. Da gibt es weniger zu überbrücken als bei einer leeren Traktoren-Batterie. Die Städte sind ohnehin längst voll mit Landeiern, Zürich besteht aus Rüebli mampfenden Aargauerinnen und Äpfel kauenden Thurgauern, Basel ist das neue Fricktal, Genf das neue Wallis und in Baden wohnt halb Obersiggenthal. Auf dem Land hingegen wohnen Städter, die Höhenluft suchen oder Tiefmieten. Und alle zusammen haben dieselben Sorgen und Ängste: Pandemie und Politik, Geld und Gesundheit, Familie und Freundschaften, Klima und Klimakterium.

Die vermeintlichen Gräben sind nur herbeigeredet. Denn Gräben auszuheben lohnt sich nur für die Leute, die danach Brücken bauen nur um Brückenzoll zu kassieren.

Doch Brücken sind zum Glück gar nicht nötig. Wir reisen fröhlich von Stadt zu Land und umgekehrt, wir teilen Eindrücke, Erfahrungen und Schnupftabak und sind uns einiger, als dies die Spaltpilze gerne hätten.

Nur die Kirche, die sollte im Dorf bleiben, die Eglise im Village, die Chiesa im Villagio und ihre Glocken müssen auch nicht unbedingt lauter klingen als die Treicheln der Leitkuh beim Alpabzug.

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Menschen (ein Text mit viel Scheisse)

Es gibt für eine Satirikerin weiss Gott andere Fragen als die nach dem Corona-Zertifikat. Spannendere. Lustigere.

Es gibt für eine Satirikerin weiss Gott andere Fragen als die nach dem Corona-Zertifikat. Spannendere. Lustigere. Dramatischere: Wird ein Mann Kanzlerin? Muss Köppel nun seinen Wellensittich heiraten wegen der Ehe für alle? Und wer von beiden hat dann mehr Eier? Wieviel Mitgefühl braucht die Minderheit der Superreichen? Ist Mutter Erde im Klimakterium oder verursacht der Parasit Mensch solche Fieberschübe? Werden sich in Afghanistan Männer bald als Frauen ausgeben und freiwillig Burka tragen, weil ihnen die männliche Tragpflicht von Kalaschnikows auf den Sack geht? Heisst Yakin mit Vornamen Murat, weil er selbst bei der Besetzung der Elfmeter-Torschützen auf Mutters Rat hört?

Zu den realen Alltags-Fragen für uns Bühnenschaffende gehört aber auch, wie wir uns seit 18 Monaten dauernd neu erfinden können, wie finanzielle Einbussen in Kauf nehmen, wie mit faktischem Berufsverbot umgehen, wie mit Masken auf der Bühne oder im Publikum spielen, vor halbleeren Sälen, online, mit Massnahmen, Abständen, wie man das alles solidarisch mittragen kann und dabei noch gute Laune verbreiten.

Da ich trotz allem ein gutes Auskommen und ein noch besseres persönliches Umfeld hatte, gab es für mich keinen Anlass zu jammern oder öffentlich um Unterstützung zu bitten. Auch jetzt nicht. Andere haben es viel schwerer. Betreiberinnen von Fitnessstudios und Theatern, Beizer, Wirtinnen, Clubbesitzer. Sie alle fürchten Umsatzeinbussen wegen der Zertifikatspflicht.

Als ehemalige Wissenschaftlerin mag ich mich nicht zu Effizienz und Effektivität, zu Zahlen und Statistiken rund um Impfungen äussern. Wer sich auch jetzt noch nicht impfen lassen möchte, ist entweder für wissenschaftliche Argumentation nicht offen oder hat gute Gründe für den Impf-Verzicht. Und natürlich muss diese Entscheidung respektiert werden. Nebst gesundheitlichen Bedenken gibt es auch psychologische Gründe, warum Menschen sich nicht impfen lassen können oder wollen. Und falls der unwahrscheinlichste Fall eintritt, dass dereinst schwere Impf-Spätfolgen die halbe Menschheit umbringen, dann werden die Ungeimpften sogar recht gehabt haben.

Back to the Futur II.

Ich werde mich also hier nur einmal ernsthaft zu dieser unsäglichen Zertifikatspflicht äussern. Denn ja, die Zertifikatspflicht ist genauso Scheisse wie die Massnahmen. Scheisse wie die Impfung. Scheisse wie die Pandemie. Scheisse wie die Corona-Erkrankung selbst, glaubt mir, ich hatte sie und sie ist sehr Scheisse. Wenn wir das Land in kurzer Zeit durchseucht hätten (ohne Impfung) wäre die Wirtschaft mehr zusammengebrochen als mit einem Lockdown. Lockdowns sind übrigens auch Scheisse, obwohl wir in der Schweiz gar nie wirklich einen hatten. Es ist Scheisse, dass ich nicht mehr einfach jemanden umarmen und küssen kann, einfach, weil wir beide es möchten.
Es ist Scheisse, dass ich nicht die erste Reihe im Theater schonungslos anspucken darf. Es ist Scheisse, dass ich in einem so kurzen Text so oft das Wort Scheisse bemühe.

Wer also auf das Zertifikat verzichtet, ersetzt die eine Scheisse mit der anderen. Impfung/Test versus Einschränkungen. Wer sich also nicht zertifizieren lässt, nimmt Ausgrenzung in Kauf. Das tut weh und kann einsam machen. Vor allem, wenn man nebst der Ausgrenzung auch noch Spott und Vorwürfe ertragen muss. Denn vielen scheint es in der momentanen Situation höchst unsolidarisch, sich nicht impfen oder zumindest testen zu lassen. Da wird bei manchen der Schimpfdrang virulenter als der inexistente Impfzwang. Das Zertifikat ist aber immerhin die bisher einzige Möglichkeit, ein bisschen der alten Freiheiten im Kultur- und Gesellschaftsleben zurückzugewinnen.
Uns winken Umarmungen, gefüllte Clubs, spontanes Essen im Restaurant, Theaterbesuche, Konzerte, Handschläge, Tanzen, Feiern, das alles ohne Maske, ohne Abstand und ohne schlechtes Gewissen. Denn alles weist darauf hin, dass man mit Impfungen die Ansteckungen seltener, die Krankheitsverläufe milder, die Todesraten äusserst tief und das Gesundheitssystem aufrecht halten kann.

Unsolidarisch sind ja auch Menschen, die mit dem Auto rasen und so andere gefährden. Unsolidarisch sind Leute, die die Umwelt grob verschmutzen. Leute, die mit exzessivem Sport oder ungesundem Lebensstil die Krankenkassen und Spitäler belasten. Menschen, die sich bereichern auf Kosten anderer, sind ebenfalls unsolidarisch. Wer eine Politik unterstützt, die das Gesundheitssystem mit zu wenig Ressourcen ausstattet, ist auch unsolidarisch. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Auch Geimpfte verhalten sich täglich unsolidarisch. Nur ist im Angesicht der Pandemie die Solidarität eine dringliche, die Gefahr eine akute.
Ein unsolidarisches Arschloch zu sein (wie ich es bisweilen bin), kann sicher auch ansteckend sein, aber weniger schnell, weniger exponentiell und weniger tödlich.

Unsolidarisch mag es auch sein, dass Ungeimpfte die Tests selber bezahlen müssen. Dies soll Impf-Anreize schaffen, damit man eben keinen Zwang verordnen muss. Das mit den Anreizen funktioniert hierbei genau so wenig wie in der Umwelt-Politik. Vielmehr scheint gerade das teure Testen die Gesellschaft zu spalten, mehr noch als die Zertifikats-App (immer, wenn ich lese: „Zertifikats-App spaltet Wirte“, denke ich: „O my god, it’s App the Ripper!“). Allerdings kostet in einem Zürcher Club ein leichter Suff weit mehr als ein Test. Und um wieviel berauschender als Alkohol ist das massnahmenfreie Miteinander?

Geimpfte sind keine besseren Menschen. Ungeimpfte sind keine Menschen zweiter Klasse. Wer aufgrund des unterschiedlichen Impfstatus nicht mehr miteinander redet, hilft nicht, diese ganze Scheisse schneller und glimpflicher hinter uns zu bringen.

Drum: Bleibt anständig miteinander. Redet über anderes, wenn ihr wisst, dass die Positionen klar und unverrückbar sind. Und hört auf zu trotzen. Das Schlimmste, was Freiheitsliebende jetzt tun können, ist trotzen. Von einigen habe ich gehört, dass sie zwar geimpft seien und das Zertifikat hätten, nun aber gerade aus Trotz sicher nicht in die Beiz oder ins Theater gehen würden und der Bundesrat könne sich mit seinem Zertifikat ins Knie zertifi*ken.

Dem Bundesrat tut das nicht weh. Im Gegenteil: Sie schaden damit gerade jenen, die sich am meisten gegen die Zertifikatspflicht gewehrt haben. Sie schaden gerade jenen, die ohnehin schon am meisten leiden mussten und nichts für den Bundesrats-Entscheid können: Den Wirten, Den Clubbetreibenden, den Fitness-Studio-Besitzerinnen.

Seid also nicht wie das kleine Kind, das eben den Fahrradhelm aufsetzen wollte, ihn dann aber wieder abnimmt, weil die Mutter es ermahnt hat und das nun trötzelnd findet, ich wollte ja, aber wenn die Mami es befiehlt, dann mache ich es extra nicht, sie sieht dann, was sie davon hat, wenn ich mich am Kopf verletze. Spoiler: Die Mutter hat nichts davon. Aber die Schmerzen hat vor allem das Kind.

Wenn ihr also ohnehin geimpft seid: Nützt die Freiheit. Habt Spass am Leben. Kurbelt die Wirtschaft an. Unterstützt die Beizen und Clubs. Oder kommt ins Theater. Dann können wir gemeinsam ergründen, ob wir Köppels Wellensittich lieber ungeimpft lassen wollen, ihn dafür unter eine Burka stecken und so ins deutsche Kanzleramt schmuggeln, wo er für die Superreichen Energie produzieren kann, indem er, angefeuert von Mama Yakin, in einem Hamsterrad läuft und meint, es sei eine Karriere-Leiter.

Es grüsst
Patti Basler

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«Brief aus dem Lockdown»

Liebe Massnahmen-Kritiker, Demonstrantinnen und Corona-Skeptiker

«Wenn ihr sagt, das Mass sei voll, dann habt ihr Recht. Das Mass ist voll mit Massnahmen, Masken, Massenhysterie.

«Wenn ihr sagt, das Mass sei voll, dann habt ihr Recht. Das Mass ist voll mit Massnahmen, Masken, Massenhysterie. Wir alle haben genug. Im wahrsten Sinne des Wortes ist eine Maske vor dem Mund eine Bevor-Mundung. Einige nennen sie „Lappen“ oder „Windel“. Doch wenn sie hält, was sie verspricht, dann ist sie doch noch das kleinere Übel. Wenn sie auch nur fünf von zehn Ansteckungen rechtzeitig verhindert, ist sie inzwischen zuverlässiger als die SBB.

Ich und einige Leute aus meinem näheren Umfeld haben bei einem einzigen maskenfreien Restaurantbesuch im Herbst den vermaledeiten Corona-Käfer aufgelesen. Wir lagen alle mindestens drei Wochen komplett flach. Jemand mit konstant 40 Grad Fieber, jemand mit Atembeschwerden, jemand mit unerträglichen Muskelkrämpfen an Beinen und Hinterbacken. Alle leiden wir an Langzeitfolgen: Herzmuskelentzündung, geschädigtes Muskelgewebe, Lungenschäden, Erschöpfung und beeinträchtigte Leistung des Gehirns gehören dazu. Und das wohlverstanden im leistungsfähigen Alter zwischen 35 und 45. Wir sollten noch ein paar Jahrzehnte produktiv arbeiten und die AHV-Kassen füllen.

Einen solchen Breakdown wünscht man niemandem, jeder angeordnete Lockdown, den wir in der Schweiz ohnehin nie hatten, ist ein Frühlingsspaziergang dagegen. Eine Durchseuchung wollen wir nur schon deshalb nicht, weil wir als Gesellschaft nicht noch ganz verblöden sollten. Da scheint ein kleiner Impfpieks mit überschaubaren Nebenwirkungen dann doch erträglicher. Das Stechen eines Tatoos ist auf jeden Fall schmerzhafter. Und im Alter bedauert man es wohl auch mehr.

Doch ja: Natürlich sind wir blöde Schlafschafe und lassen uns ausnützen und instrumentalisieren. Während wir auf Demos gehen oder brav zu Hause bleiben, freut sich jemand über die Spaltung der Gesellschaft. Von der Kritik an den Massnahmen und am Bundesrat profitieren nämlich die am meisten, welche selber nicht zu den Demos gehen. Es sind die, welche keine Steuern zahlen wollen, keine Auflagen befolgen wollen, sich nicht kontrollieren lassen wollen. Es sind die, welche nicht gefährdet sind, weder von Corona, weil Abstand halten in grossen Villen mit riesigen Gärten kein Problem ist, noch von den Shutdown-Massnahmen aus dem gleichen Grund. Denen ist egal, ob der Beizer an der Ecke schliessen muss, ob der Büezer seinen Job verliert, ob die Coiffeuse öffnen darf, ob das Theater spielen kann. Hauptsache, sie müssen nicht dafür zahlen. Nicht für die Arbeitslosen, nicht für die Kranken, nicht für die Massnahmen. Coiffeuse, Handwerkerinnen, Künstler können sie sich nämlich direkt ins Haus holen, sie haben genügend Kohle. Auch für Schulen und Gesundheit möchten sie am liebsten keine Steuern zahlen, denn sie können sich Privatschulen und Privatkliniken leisten.

Gleichzeitig freuen sich alle, die unsere Daten sammeln auf Hauslieferdiensten, Online-Shopping-Portalen, Facebook und Amazon, auf youporn, clubhouse und Gameseiten. So günstig an so viele Daten, die wir freiwillig preisgeben, kommt nicht mal der Staat. Der reisst sich sämtliche Beine aus für den Datenschutz, aber weil’s immer die billigste Lösung sein sollte, klappt’s dann doch wieder nicht. Profiteure sind einige grosse Firmen, die in der Krise Gewinn machen wie Regenschirmverkäufer in Monsunzeiten. Da werden in Unschuld gewaschene Hände gerieben. Da wird ins sauber desinfizierte Fäustchen gelacht. Hinter vorgehaltener Schutzmaske, mit der man auch noch Kohle gemacht hat.

Wenn wir an Demonstrationen die Corona-Diktatur verkünden und uns gegen Massnahmen wehren, wenn wir uns über scheinbar arrogante #NoLiestal-Gutmenschen ärgern, profitieren die Falschen. Es profitieren solche, die gar nicht mitmarschieren, sondern das Fussvolk gern ins Messer oder in die Lächerlichkeit laufen lassen. Es profitieren die, welche auf die Instabilität unseres schönen Landes und unserer Demokratie hoffen. Und am meisten profitiert dieses Ars**l*ch von einem verf**kten Schei**-Virus. (Sorry für mein Französisch, aber ja, wir hatten eine intensive Zeit zusammen, Corona und ich, aber ich sagte laut Nein und es ist trotzdem in mich eingedrungen und der Kater war so lang und schmerzhaft, als hätte ich Nachwirkungen, weil ich das ganze Jahr 2020 mit all seinen Massnahmen hätte schönsaufen müssen.)

Es wäre also schön, wenn alle etwas vernünftiger wären. Dass schon mein eigenes Gehirn wegen Corona-Langzeitfolgen nicht mehr sauber funktioniert, reicht ja. Und wer eine Schutzmaske verächtlich „Windel“ nennt, muss damit rechnen, dass man dahinter ein anderes Körperteil vermutet. Als Poetin weiss ich:

«Nicht alles, was sich reimt, ist ein Gedicht.
Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht.»
In diesem Sinne: Backen zusammenkneifen und durch.

Alles Liebe
Patti Basler

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«Brief aus dem Lockdown zum Weltfrauentag»

Liebe Männer

Wann wird denn wieder alles normal?

Wann wird denn wieder alles normal?

Zuerst kam der Vaterschaftsurlaub, damit die Männer die von der Geburt geschwächten und ihre Karriere unterbrechenden Mütter wenigstens zwei Wochen lang unterstützen können; dann das Jubiläum zu 50 Jahren Frauenstimmrecht; dann Equal-Pay-Day; Burka-Initiative und nun auch noch Tag der Frau. Gleichstellung hier, Feminismus dort, jetzt ist dann aber auch mal genug mit diesen Frauenthemen, müsst ihr euch denken, jetzt könnte man wieder zur Normalität zurückkehren. Und damit habt ihr recht.

Es fragt sich nur, was denn diese Normalität ist.

Normal war für viele Jahrhunderte eine traditionelle Lebensform: Alle haben gearbeitet, ob Mann, ob Frau, die Frauen haben dazwischen noch einige Kinder geboren, die meisten Kinder sind jung gestorben, auch viele Frauen bei der Geburt oder im Wochenbett, doch es gab es zum Glück unverheiratete Schwestern und Brüder, Mägde und Knechte oder Grosseltern, welche sich um die Kinder kümmerten. Für sowas hatten arbeitsfähige Frauen nämlich keine Zeit, sie mussten auf dem Hof, im Stall beim Gewerbe mitarbeiten. Trotz der hohen Frauensterblichkeit hielt sich der Männerüberschuss in Grenzen, dafür sorgten Kriege und Risiko-Tätigkeiten, von denen man die kostbaren gebärfähigen Frauenkörper lieber fernhielt. In den Grossfamilien war auch gar nicht immer so klar, wer jetzt mit wem genau wie verwandt war, da brachten gottlob Kriege, Völkerwanderungen und Geflüchtete ab und zu frisches Blut in die Täler und Krachen.

Normal war auch, dass Adel und reiche Bürgerschicht sich Bedienstete hielten, Kinderbetreuerinnen, stillende Ammen, der Hauspfarrer sorgte mit Gebeten oder Schäferstündchen im Beichtstuhl dafür, dass es endlich einen männlichen Nachfolger gab. Auch das ist eine glückliche Fügung, sonst wäre der Hochadel ungesund inzestuös geworden. Die Stammbäume, die ja nur männliche Linien zeigen, sind noch weniger wert als das Covid-Contact-Tracing.

Normalität war für eine sehr kurze Zeit nach den Weltkriegen, dass in einer Ehe jemand zu Hause blieb. Der Haushalt war noch aufwendig genug, um den Tag zu füllen, aber nicht mehr so anstrengend, dass man dafür Personal benötigte. Es ergab Sinn, dass körperlich anstrengendere Berufe von Männern ausgeübt wurden. Intellektuell anspruchsvollere Tätigkeiten waren den besser Ausgebildeten vorenthalten, das ist normal, das waren damals ebenfalls Männer.

Weiten wir den Blick, heisst Normalität für viele Spezies, dass die Männchen nur für die Befruchtung der Weibchen zuständig sind. Reine Samenliefermaschinen ohne weitere Bedeutung. Weibchen sind Ernährerinnen, Anführerinnen der Herde, des Schwarms, des Rudels. In der Nutztierhaltung ist es daher normal, dass junge Männchen meist gemästet und geschlachtet werden. Beim Federvieh sogar als Küken lebendig geschreddert. Nur den Weibchen ist ein längeres Leben vergönnt, da sie Milch, Eier und Jungtiere produzieren. Für die Befruchtung reichen inzwischen wenige männliche Exemplare und ein paar Samenbanken mit Stickstoff gekühlten Röhrchen.

So etwas käme natürlich nicht in Frage für unsere Spezies. Zivilisation ist, was uns unterscheidet von den Tieren.

Keine Angst, liebe Männer, die Frauen wollen euch nicht ausschliesslich zur körperlich anstrengenden Hausarbeit verdammen. Ihr müsst auch nicht alle zu Hause bleiben, um für die Kinder zu sorgen, weil ja die Frauen im Schnitt besser und teuerer ausgebildet sind. Und von barbarischen Methoden wie Schreddern, zu Tode stechen oder Auffressen nach der Begattung sehen wir ab.

Und was ist mit dem lästigen Feminismus? Er ist wie die Corona-Massnahmen: Mühsam, unsexy, beschwerlich und alle wären froh, wenn er bald vorbei wäre und es ihn nicht mehr bräuchte.
Halten wir noch etwas durch.
Bald wird alles wieder normal.
Bis dahin alles Liebe

Patti Basler

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Überlebende

Nicht alle haben es überlebt, das Jahr 2020. Einige sind an, mit oder komplett ohne Covid von uns gegangen.

Nicht alle haben es überlebt, das Jahr 2020. Einige sind an, mit oder komplett ohne Covid von uns gegangen. Wir aber haben überlebt und befinden uns mitten in einem absurden Marathon, bei dem wir jetzt schon Muskelkater haben.

Stellt euch vor, ihr müsstet das Jahr 2020 schönsaufen. Meine Covid-Erkrankung fühlte sich an wie der Kater danach. Ja, ich habe mir tatsächlich die krasse Natur-Impfung gegönnt und bin jetzt ein wandelnder-Anti-Viren-Luftfilter, der mit seinen Antikörpern die Corona-Käfer unschädlich macht. Eine Impfung stelle ich mir allerdings weit weniger schmerzhaft vor. Die Krankheit wünsche ich niemandem.

Genügend Alkohol, um dieses Jahr nachträglich noch einigermassen aufzuhübschen, haben ohnehin die wenigsten in ihrem Vorratskeller. Obwohl ja gerne gehamstert wurde im ersten Lockdown. Die einen kauften sich das weisse Gold zusammen, das in den Putzkammern der geschlossenen Schulen lagerte wie ein Schatz, zu welchem nur das Hauspersonal den Schlüssel hatte: WC-Papier. Und waren auch Home-Schooling und Home-Office eine besondere Herausforderung, weil man nie wusste, ob man nun grad Hausmann, Papi oder Mitarbeiter, Mutter, Ehefrau oder CEO war, so schien der grösste Rollen-Konflikt doch der WC-Rollenkonflikt zu sein.

Andere hatten trotz Covid den richtigen Riecher: Sie hamsterten Hygiene-Masken und exportierten diese für viel Geld ins Ausland oder verscherbelten sie überteuert an die Schweizer Armee.

Diese wiederum bekam das Versprechen, dass sie mit neuen Kampfjets ausgerüstet werde. Denn die Bedrohungen, so hört man immer wieder, die Bedrohungen kommen aus der Luft. Wie man mit Kampfjets jedoch gegen virengeschwängerte Aerosole vorgehen kann, bleibt ein Rätsel. Vielmehr hätte man sie für den Abschuss von grösseren Zielen einsetzen können, von Wölfen, Luchsen oder Bibern. Diese geschützten Tiere dürfen allerdings weiterhin nicht prophylaktisch einen Kopf kürzer gemacht werden.

Dafür haben die Grossverteiler den Kopf verloren, zumindest den Dubler-Schaum-Kopf, bekannt für seine glatte, glänzende Schokohülle. Ein anderer Kahlkopf war in aller Munde. Und aller Augen warteten auf die täglich grüssende Pressekonferenz. Alain Berset predigte den freiwilligen Shutdown. Immer derselbe Film: Berset – Alain zu Haus.

Irgendwann aber wurde es uns zu eng im eigenen Zuhause, die Keller waren aufgeräumt, die Bananenbrote gebacken, die gehamsterte Hefe aufgebraucht und Netflix war leergeschaut. Die häuslichen Pflichten und die häusliche Gewalt waren erledigt worden, die Kurven flachgelegt wie ein Toyboy von einer Bachelorette. Wir freuten uns so sehr auf die grosse Welt, dass wir sogar an der Urne die Begrenzung ablehnten.

Der Urnengang war rekordverdächtig. Die Menge an Urnen im Herbst leider ebenfalls, als Ansteckungsraten und Todesfall-Kurven so steil gingen wie die Après-Ski-Meute damals in Ischgl.
In den Exekutiven der Welt und der Region gab es einige Wechsel. In den USA muss ein Mann abtreten, der bis vor Kurzem propagierte, dass man Frauen an die Pussy greifen soll. In Baden trat eine Frau ab, welche die Pussy-Grabscherei nun auch tatsächlich vorlebt. Indem sie Frauen ermutigt, ihre eigenen Körper kennenzulernen.
Ich glaube, die guten Aussichten aufs nächste Jahr sind genau dort zu suchen: Im Kleinen. Während des nächsten Lockdowns räumen möglicherweise nicht nur Frauen ihr körpereigenes Untergeschoss auf. Auch ehemalige Stadträte verschicken dann vielleicht Bilder als intime Aufforderung zur Penetration. Bilder von aufgezogenen Spritzen mit Pfizer-Impfstoff.
Statt ins Souterrain schauen wir uns ohnehin vermehrt in die Augen. Denn mit Hygiene-Masken-Pflicht fällt auch das Verhüllungs-Verbot. Abstand wird der neue Anstand und kein Abstand wird der neue Aufstand. Wenn wir uns wieder nahe kommen und berühren dürfen, wird dies aufregender als damals beim ersten Schoko-Kuss-Tanz an der Teenie-Party. Wir müssen wohl achtsamer werden im Umgang miteinander.

Selbst Dubler wird seine Schaumköpfe in «Berset-Kerli» umbenennen und mit einer Anti-Covid-Schluckimpfung versehen.

Und so, liebe Überlebende, werdet ihr auch im Jahr 2021 einigermassen gl-impf-lich davonkommen.

Es grüsst
Patti Basler

P.S. Schönsaufen müsst ihr wahrscheinlich auch das nächste Jahr dann und wann. Zum edlen Tropfen passt dann auch das selbst gebackene Hefeteigbrot, damit ihr mit genügend Boden dem Kater vorbeugen könnt. Das wird ganz einfach mit unserem neuen Bundespräsidenten. Schliesslich lautet das Motto: Du vin, du pain, du Parmelin.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Berührt euch

Es weihnachtet seltsam dieses Jahr. Wir möchten zueinander kommen, doch genau dies droht uns voneinander zu entfernen. Wir möchten uns umarmen, aber um Armen und Kranken zu helfen, sollten wir Abstand halten.

Es weihnachtet seltsam dieses Jahr. Wir möchten zueinander kommen, doch genau dies droht uns voneinander zu entfernen. Wir möchten uns umarmen, aber um Armen und Kranken zu helfen, sollten wir Abstand halten.


Wir möchten aus den täglichen Medienberichten die deprimierenden News rausfiltern wie ein Luftfilter die belasteten Aerosole. Wir möchten einander spüren, doch berühren ist verboten.
Ich habe sprichwörtliches Glück im Unglück, das Virus hat mich vor einigen Wochen erwischt. So unerwünscht und heftig wie die mit Gewürznelken besteckte Weihnachts-Orange, die mir meine Schwester als Kind einst an den Kopf geworfen hatte.

Das Virus war weit trügerischer. Zuerst vermutete ich einen Kater wie damals, als man noch Partys feierte, jemanden schöntrank, um mit einem Tiger ins Bett zu gehen, und mit einem Kater aufzustehen. Dann erschien es mir wie Muskelkater, als würde mir das Fleisch mit Nägeln gespickt und von den Knochen gerissen. Jetzt bin ich wieder gesund und heil. Die einzigen bleibenden Spuren der Krankheit sind einige Falten und das natürlich gewachsene Lametta im Haar. Von einer Durchseuchung würde ich aber allen abraten: Wenn auch nur ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung diesen vergleichsweise milden Krankheitsverlauf durchmacht, wird es den grösseren wirtschaftlichen Zusammenbruch geben als durch einen generellen Lockdown.

Niemand weiss, wann und bei wem ich mich angesteckt hatte. Am einzigen Abend ausserhalb meines engsten Kreises, ass ich beruflich mit einem Parlamentsmitglied zu Abend. In dessen Umfeld, hörte ich später, habe Corona grassiert. Nur das Parlamentsmitglied selbst blieb offenbar von Symptomen verschont. Das ist wahrscheinlich die berühmte parlamentarische Immunität.
Nun bin ich also selber einige Monate immun und stelle kein Risiko für andere dar. Im Gegenteil: Wenn ich Aerosol geschwängerte Luft einatme, mache ich die Viren mit meinen Antikörpern unschädlich. Selbst beim Sprechen atme ich nur reines Glück aus, das höchstens mit Mundgeruch und CO2 belastet ist.

Noch ungefährlicher aber ist das geschriebene Wort. Wenn wir uns schon nicht körperlich berühren dürfen, warum versuchen wir es nicht mit einem altmodischen Brief zu Weihnachten?
Natürlich könnte man schreiben: «Ich denke an euch», treffender wäre möglicherweise: «Ich brauche dieses Jahr den Baum nicht zu schmücken mit Nelkenorangen oder Glitzerkugeln. Denn meine Gedanken fliegen zu euch und ziehen silberne Fäden, welche sich wie Lametta über die Dunkelheit legen. Sie erscheinen mir wie die freundschaftlichen Bande, die uns auch in Zukunft zusammenhalten.»

Statt: «I miss u» führt man vielleicht aus: «Ich vermisse dich nicht. Das wäre kein passender Ausdruck. Vielmehr verursacht dein Fehlen bei mir einen Phantom-Schmerz. Als wäre mir ein Körperteil entfernt worden, welches immer noch wehtut, obwohl ich es nicht berühren kann. Wir werden uns wieder die Hand geben können, vielleicht wird meine etwas länger als angebracht in der deinen liegen. Wir werden das flüchtige Aufeinandertreffen unserer Fingerspitzen wahrnehmen wie Stromschläge der puren Freude. Es wird besser. Aber bevor es besser wird, wird’s schlimmer.»

Schliesslich: «Liebe Schwester, es schmerzt, dass ich nicht bei dir sein kann, jetzt in der dunkelsten Zeit. Wie gern würde ich heute mit einer Nelken-Orange beworfen werden. Die Stelle, an der sie mich traf, spüre ich noch immer. Liebe ist wie Corona: Sie hinterlässt Narben. Sie wächst, wenn der Funke springt. Sie erstarkt, genährt durch Nähe. Bloss impfen wird man sich gegen die Liebe nie können. Sie bleibt auch auf Distanz bestehen. Für eine sehr viel längere Weile, als ein Virus es je vermag.»

PS: Wer trotzdem eine Umarmung braucht, kann mich mieten. Auch um mich einfach in die Ecke zu stellen. Als Lametta gekrönter Luftfilter. Hyperventilieren kostet extra.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Schweiz

HORROR-CRASH! ÜBER 100 TOTE BEI ZUGS-ENTGLEISUNG

HORROR-CRASH! ÜBER 100 TOTE BEI ZUGS-ENTGLEISUNG

In Olten ist heute ein Zug entgleist und frontal an eine Wand gefahren. Es gab über 100 Tote. Sie hatten keine Chance. Lesen Sie, was geschah und was die Verantwortlichen zu diesem schrecklichen Unfall zu sagen haben.

Die tödliche Katastrophe war offenbar die Folge einer Stellwerkstörung. Eine Weiche ist schon länger falsch eingestellt und nun augenschenlich festgefahren. Die unfassbare Tragik daran:

OFFENBAR ENTGLEIST SCHON SEIT LÄNGERER ZEIT TÄGLICH EIN ZUG!

Es gibt bereits rund 5000 Tote. Menschen, die noch jahrelang hätten leben können. 5000 Menschen, um welche Angehörige und Hinterbliebene trauern. Trotzdem werden nur zögerlich Schritte eingeleitet, die Weiche anders zu stellen.

Der Innenminister Alain Berset drückt sein Beileid aus, beharrt aber darauf, dass die Schweiz eine Eisenbahn-Nation sei: „Wir sind ein Volk von Bähnlern. Wir können Eisenbahn“. Und Olten liege halt an der Kantonsgrenze und da sei es schwierig, einfach etwas zu befehlen aus Bern.

Die Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bedauert, sie könne nicht im Alleingang die Weiche anders stellen lassen oder gar den Zug verbieten. Sie appelliert an die Vernunft der Menschen, man solle doch freiwillig nicht in diesen Zug einsteigen, wenn man wisse, dass er entgleisen könne. Den Zug einfach ausfallen lassen, das könne sie nicht. Es müsste im bereits fahrenden Zug nur in allen Wagen gleichzeitig (aber freiwillig) die Notbremse gezogen werden, so dass „ein Ruck“ durch den ganzen Zug gehe.

Ueli Maurer betont, dass es sich um den 9-Uhr-Zug mit Seniorenrabatt handle, da seien ohnehin fast nur Pensionierte drin, Altersheim-Ausflüge und Graue-Panther-Wandergruppen. Da müsse man halt irgendwann an irgendwas sterben. Die Weiche müsse aber stehen bleiben, weil ein anderer Zug an dieser Stelle überholen müsse und dort drin seien zum Beispiel die Gratulanten und Ballone für seinen eigenen Geburtstag gewesen (er sei 70, das sei doch kein Alter, er sei ja auch noch nicht pensioniert, er wolle dem Staat lieber mit einem Bundesratsgehalt auf der Kasse liegen als mit AHV.).

Die anderen Ratsmitglieder monieren abwechselnd, dass im überholenden Zug Wirtschaftsgüter, Kriegsmaterialien oder Skitouristinnen zu transportieren seien. Damit diese und ihr Geld schnell am Bestimmungsort seien, müsse man den Seniorenzug kontrolliert crashen lassen. Das nenne man Güterabwägung.

Durch die Massnahmen bei den Räumungsarbeiten sind tatsächlich viele andere Züge ausgefallen, was insgesamt zu weniger Zugunfällen führt. Deshalb gibt es auch Stimmen im Land, die ihn nicht so tragisch finden, den täglichen Zugunfall, bei dem jeweils rund 100 Menschen brutal ihr Laben verlieren, oft verbunden mit Schmerzen, und ohne dass sie sich von ihren Lieben verabschieden können. Aber die wären ja sowieso gestorben.

Allerdings sterben nicht alle bei dem täglichen Horror-Szenario. Viele haben eine spezielle Art von komplizierten Verletzungen, die nur auf der Intensiv-Station behandelt werden kann. Dort aber fehlt es vor allem an Personal. Da die Zugunfall-Opfer die Spitalbetten verstopfen, werden auch die Vernünftigen, welche nicht in den Horror-Zug einsteigen, nicht mehr richtig behandelt, wenn sie einen Velo-Unfall haben.

Wirtschaftsliberale und Staatskritische gratulieren den Unfall-Verantwortlichen für ihren Mut, den Zug gegen die Wand zu fahren und täglich über 100 Tote in Kauf zu nehmen. Am lautesten gratulieren diejenigen, für welche das Umstellen der Weichen finanzielle Folgen hätte, weil dann ihr eigener Zug nicht genügend schnell vorbeifahren könnte.

Jetzt wurde auch ein bekanntes Wirtschaftsforum plötzlich unsicher und will diese im Ausland ursprünglich als bestes Schienennetz der Welt bekannten Geleise nicht mehr befahren. Einige Wirtschaftsführer fordern nun, dass man vielleicht doch die Weiche stelle, statt täglich die 100 Menschen in den sicheren, traurigen Tod fahren zu lassen.

Die Schweizer Flaggen stehen ob dieser unfassbaren Zahl an Toten nicht auf Halbmast im Land. Der Bundesrat geht die Unfallstelle nicht besuchen. Man schweigt zu den Verstorbenen. Das ist direkte Demokratie: Was in der Urne ist, darüber wird nicht geredet. Lieber lässt man die Blaskappelle spielen im Bundeshaus.

Irgendwann ist dann ja die Mauer durchbrochen und der Zug kann wieder ohne Crash fahren. Bis dahin bleibt die Schweiz eine fürchterliche Stellwerkstörung. „Wir können Eisenbahn. Wir sind ein Volk von Weichen.“

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Eltern

Das Leben ist schön

Das Leben ist schönDas Leben ist schön. Fragt eure Kinder! Die feiern selbst das vergehende Leben, goldenes Herbstlaub, Altweibersommer, Räbeliechtliumzug. Räbeliechtli, diese eidgenössisch herzige Version von Halloween-Kürbissen. Weniger blutrünstig war diese in meinem Fall allerdings nicht. Ich liebte die Räben vor allem Grosis feiner Räbebappe wegen. Aber das Räben-Schnitzen kostete mich Nerven, zwei Fingernägel und eine Daumenkuppe. In meiner Fantasie rammte ich der Batiktuch umflorten Kindergärtnerin das Schnitzmesser so tief ins Nasenloch wie einen Coronatest. Bis zur Bluthirnschranke (Frau Gerteis, es liegt nicht an Ihnen. Sie waren eine gute Kindergärtnerin. Ich war ein schreckliches Kind).

In dieser Jahreszeit bellt mein innerer Schweinehund besonders laut: Er ist Erziehungswissenschaftlerin von Beruf. Er weiss, dass das Leben sich momentan auch von der unschönen Seite zeigt. Dass wir Angst haben und verunsichert sind. Weil alle nur das Beste wollen für ihre Kinder, auf dass diese gut gedeihen und ein schönes Leben haben.

Selbst die Wissenschaft verunsichert uns, liefert über Maskenpflicht und Infektionswege keine ganz sicheren Resultate. Und das ist gut so. Die Wissenschaft lebt davon, dass sie sich weiterentwickelt, alte Erkenntnisse zugunsten von neuen über Bord wirft, sich immer wieder selbst hinterfragt und lebendig bleibt. Sonst würde sie stehen bleiben. Wir dürften nicht auf neue Erkenntnisse hoffen, auf Medikamente oder bessere Tests, auf einfachere Massnahmen, auf eine Impfung oder auf das Resultat, dass das Virus sich abgeschwächt habe und gar nicht so gefährlich sei.

Die Wissenschaft funktioniert wie ein Kleinkind. Würde dieses nicht versuchen sich aufzurichten und würde es nach anfänglichem Hinfallen nicht immer wieder aufstehen, würde die Menschheit auf allen Vieren krabbeln.

Nun krabbeln alle Viren auf der Menschheit. Und wir müssen Massnahmen ergreifen, dies einzudämmen.

Kinder sind die lernfähigsten, flexibelsten, widerstands- und anpassungsfähigsten Wesen der Erde. Sie werden in eine Situation hineingeboren und jeder Tag bringt neue Gefahren und neue Wunder. Um diese zu verarbeiten, hilft es, wenn die Eltern ruhig und gelassen sind. Den Kindern die Angst nehmen, statt die eigenen Ängste auf die Kinder zu übertragen. Das Unabänderliche mit einer gewissen Gelassenheit hinnehmen, und dort etwas bewegen, wo es nötig ist.

Kinder sind resilient und können viel schneller mit neuen Situationen umgehen als wir Erwachsenen. Wenn sie Abstand halten müssen, wenn ihre Betreuungspersonen oder gar sie selbst plötzlich Masken tragen müssen, ist dies zwar lästig und hinderlich. Aber Kinder lernen schnell, mehr auf die Augen zu schauen, statt auf den maskierten Mund. Sie erfinden neue Spiele, die mit Abstand funktionieren. Und sie müssen sich nicht mal überlegen, welche Maske sie an Halloween anziehen sollen. Denn eigentlich sind Kinder gerne maskiert. Ausser, wenn sie müssen. Dann ist die Maske genauso lästig wie die obligate Winterjacke, die Mütze oder der Velohelm.

Dass ein Kind an einer Schutzmaske gestorben sein soll, ist übrigens ein Märchen. Der wahre Kern, der tragische Tod eines Teenies, hatte offenbar nichts mit der Maske zu tun. Eine moderne Sage. Dabei bräuchten wir im Herbst doch Geschichten, die das Leben schön malen. Zum Beispiel jene tragisch-komische Geschichte von Guido, der mit seinem kleinen Sohn ins Konzentrationslager kommt. Um das Kind nicht zu ängstigen, gaukelt er er ihm vor, das Konzentrationslager sei ein Gewinn-Spiel und das Leben sei schön. Es steckt Wahrheit und viel pädagogische Weisheit in diesem Film. Und das berührendste Happy End der Filmgeschichte. La Vita e bella.

Kinder haben keine Angst vor Masken. Es sind die Eltern, die sich ängstigen. Und Eltern können den Kindern erklären, dass alles gar nicht so schlimm ist. Dass es Spiel sei gegen die kleinen Viren und man mit Masken und anderen Massnahmen gewinnen könne. Wo ich herkomme, im Fricktal, nannte man Masken ohnehin Larven. Und in einer Larve entwickelt sich bekanntlich ein schöner Schmetterling.

Der Räbeliechtliumzug in meinem Heimatdorf Zeihen musste übrigens abgesagt werden. Ich habe dem Schulleiter vorgeschlagen, dem Virus einen Strich durch die Rechnung zu machen und trotzdem (möglichst unblutig) Räben zu schnitzen. Statt am Umzug sollen sie am Abend des 12. Novembers auf die Fensterbänke gestellt werden. Als Zeichen gegen die Angst. Als Superspreader der Freude. Und ich komme persönlich vorbei und sammle mit meinem abgekröpften Daumen fotografische Beweise.

Das Leben ist schön. Feiert es.

Es grüsst
Patti

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber Alain Berset

Du bist wie früher unser Abwart, der Edi. (Für die Deutschen: Ein Abwart ist eine Art Hausmeister, einfach mit flacherer Hierarchie). Er musste die 26 Schulzimmer aufräumen, der Edi. EDI.

Du bist wie früher unser Abwart, der Edi. (Für die Deutschen: Ein Abwart ist eine Art Hausmeister, einfach mit flacherer Hierarchie). Er musste die 26 Schulzimmer aufräumen, der Edi. EDI. Eidgenössischer Depp des Innern. Und weil jede Lehrkraft aus jedem Zimmer basisdemokratisch mitreden wollte, dauerten Entscheidungen so lange, dass er vor allem eines musste: Abwarten.

Er brauchte Geduld. Du brauchst Patience. Jetzt droht ein zweiter Lockdown und dann heisst es für dich wieder:

«Berset – Alain zu Haus».

Um die kantönligeistigen Menschen zu ermahnen, musst du ihnen natürlich etwas Angst machen. Etwas Panik schüren. Die Lage des Landes sei ernst, sagst du, und die des Klopapiers doppelt! Ich verstehe dich. Freiwillig maskieren sich ja nur Bühnenschaffende: als Systemlinge oder als Covidioten. Eigenverantwortung heisst für uns in der Schweiz: Ich bin nur für mein Eigen verantwortlich. Sollen die andern sich doch selber schützen!

Das ist eher entlarvend, als maskierend.

Aber denk dran, lieber Alain, als Innenminister bist du nicht nur für die Gesundheit zuständig, sondern auch für die Kultur. Du umhüllst das süsse Kulturgebäck mit dem Mantel der Gesundheit.

You got the BAK in the BAG.

Nicht nur Spital-Patienten, sondern auch Spiel-Talente, nicht nur Covid, sondern Ovid, nicht nur Infizierung, sondern auch Inszenierung. Doch unser Publikum ist sehr eigenverantwortlich und vorsichtig. Es hat Angst. Im Theater sind selten die jungen Toyboys. Eher die Hochrisiko-Groupies. Im Gegensatz zu Leuten, die Clubs oder Privatfeste besuchen, sich nahe kommen, sich durch die Masse bewegen, miteinander sprechen, schreien und wild herumknutschen, ist unser Publikum jedoch kaum gefährdet. Im Theater sprechen, schreien und knutschen schliesslich nur die Bühnenschaffenden.

Darum, lieber Alain, sprich es doch bitte endlich aus, mit deinem charmanten französischen Akzent:

«IM THEATER-PUBLIKUM, SITZEND, MIT ABSTAND UND MASKE,

BESTEHT FAST KEIN RISIKO, SICH MIT CORONA ZU INFIZIEREN!»

Unser tägliches Lob gib uns heute

Und vergib uns unseren Kult

Wie auch wir uns hingeben unseren Huldigern

Führe uns nicht in Verseuchung

Sondern ernähre uns von den Erlösen.

Damit sie wieder kommen, die Zuschauerinnen und Zuhörer. Denn du weisst selbst, wenn wir nicht mehr auftreten können mangels Publikum, dann müssen deine Kollegen ran und uns ein bedingungsloses Grundeinkommen sichern: Du vin, du pain, du Parmelin.

Und eines ist klar wie das Amen in der Kirche, wenn es darum geht, die Theaterschaffenden fürs Nichtstun zu bezahlen: Ueli mauert.

Lieber Alain Berset,
Ich grüsse dich im Namen des Theaters, des Lohnes und des kurzweiligen Geistes
Die Bühneneschaffende

Patti Basler

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Klimajugendliche

Es wurde abgestimmt in der Schweiz an diesem Wochenende. Dem Schweizer Volk wurde wieder einmal das Gefühl vermittelt, die Geschicke der Welt mitbestimmen zu können.

Es wurde abgestimmt in der Schweiz an diesem Wochenende. Dem Schweizer Volk wurde wieder einmal das Gefühl vermittelt, die Geschicke der Welt mitbestimmen zu können. Wobei man den Appenzellern nochmals einschärfen musste, dass es sich bei der Personenfreizügigkeit nicht um Nacktwandern im Alpstein handelte. Und euch Jungen musste man erklären, dass es nicht um einen potenziellen Bi(e)ber-Abschuss ging, bei dem Justin mitgemeint ist. Und was habt ihr gemacht? Zelte aufgestellt, Transparente gemalt, eine Demo organisiert, illegalerweise. Wahrscheinlich hat euch einfach das Gurten-Open-Air gefehlt dieses Jahr. Die Schule habt ihr geschwänzt, denn ihr scheint ja die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Ihr benehmt euch, als wäre es wahnsinnig wichtig, was ihr hier veranstaltet. Als wärt ihr der Nabel der Welt. Als hätte diese Welt nur darauf gewartet, dass ihr für sie demonstriert. Dabei tut ihr es nur für euch.

Lasst euch von einer alten Dame gesagt sein: Vielleicht seid ihr tatsächlich der Nabel der Welt, dort, wo sich Abfall und Flusen sammeln, dort, wo die Sonne selten hin scheint. Natürlich dreht sich alles um euch. Wenn sich alles um einen dreht, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass man selber still steht. Eure basisdemokratische Organisation ist fast so träge wie die Schweizer Demokratie. Da sind andere Organismen dann doch schneller und gewandter, anpassungs- und überlebensfähiger.

Ihr beginnt ja schon zu hecheln eines winzigen Virus wegen. Ein Temperaturanstieg von lächerlichen zwei Grad bringt euch ins Schwitzen. Etwas mehr Methan und Kohlendioxid in der Luft, und schon scheint ihr zu kollabieren. Mir persönlich wäre es egal, wenn die Meeresspiegel anstiegen, wenn Venedig, die Malediven und Lugano versenkt würden.
Für mich heisst das Ambrosia auf meiner Haut statt das ewige Edelweisshemd, kriegerische Tigermücken statt langweilige Hausfliegen. Die Natur freut’s. Es wird nicht weniger, sondern mehr Biodiversität geben, es wird kochen und brodeln vor Fruchtbarkeit. Mikroorganismen, Bakterien, Insekten, Reptilien werden in nie da gewesener Fülle die bisher gemässigten Zonen bevölkern. Mir soll’s recht sein. Extreme Wetterereignisse? Besser als Wildwasserbahnfahrten. Atommüll? Strahlende Zukunft! Plastik im Meerbusen? Ich nenne es Plastic Surgery. From Bosom to Belly to Silicon Valley. Klimawandel oder Klimakterium ist ja im Grunde dasselbe, einige Feuchtgebiete werden trocken gelegt, an anderen Stellen werden die Ufer geflutet. Aber was versteht ihr Jungen davon?

Für einige grössere Säugetiere könnte es eng werden. Vor allem für euch, liebe Klimajugendliche. Eure Eltern und Grosseltern haben euch eine Welt aufgebaut, in der ihr leben könnt wie die Maden im Speck. Eine prosperierende Wirtschaft, ein funktionierender Staat, ein gemachtes Nest, das wärmer ist, als manche davon träumen können.

Und nun wollt ihr das alles ändern, System Change statt Climate Change, eine einzige grosse Abänderung. Viele meinen, ihr macht es für den Planeten. Für die Natur. Edel und uneigennützig. Sozial, tier- und pflanzenliebend. Doch ein bisschen Stand-up-Paddeln macht euch noch nicht zu Jesus.

Ihr seid eigennützig und egozentrisch. Ihr habt nur eure Interessen im Fokus. Denn die alten Menschen werden nicht mehr profitieren vom Stopp des Klimawandels. Die Tiere und Pflanzen merken es wohl nicht einmal, wenn sie aussterben. Alles ginge den Gang der Evolution.

Die einzigen, die vom Systemwechsel profitieren würden, wärt ihr: die Menschen. Die jungen Menschen. Und eure Nachkommen. Denn es dreht sich doch alles nur um euch. Ihr seid der Nabel der Welt.
Ich hingegen drehe mich weiter um mich selbst und sehe dem Ende der kurzen Menschheits-Ära gelassen entgegen.

Es grüsst
Mutter Erde

P.S. Wenn um euch alles versinkt, merkt ihr, dass es am Nabel am meisten stinkt.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber Andreas Glarner

Ich wollte nicht zum äussersten Mittel greifen, ich wollte dich nicht schonen, ich wollte kein Mitgefühl haben mit dir, ich wollte halt auch mal nach unten treten, dorthin, wo kein Sünneli scheint.

Ich wollte nicht zum äussersten Mittel greifen, ich wollte dich nicht schonen, ich wollte kein Mitgefühl haben mit dir, ich wollte halt auch mal nach unten treten, dorthin, wo kein Sünneli scheint.

Aber nun geht es nicht mehr. Du tust mir so unendlich Leid. Wir wissen es ja, deine Partei ist ein grosser Organismus, ein riesiger Parteikörper. Und du bist eines seiner Organe. Jedes der Organe hat eine genaue Aufgabe bekommen.

Der Kopf sitzt in Herrliberg und muss steuern und leiten. Wer die rechte Hand ist, war schnell klar: Sie soll in Ems die Wirtschaft im Partei-Boot behalten. Der Bauch ist irgendwo im Mittelland und muss MAURER, SCHMID und andere Arbeiter zu überzeugen versuchen, dass die Partei für das einfache Volk politisiere. Die Knie sind auf dem Boden der CHIESA und lassen die Katholiken ins Partei-Gebet einstimmen. Das Kleinhirn sitzt in der Redaktion eines Wochenblatts und ist herausgefordert, die Intellektuellen anzusprechen. Die Nase allerdings muss neu vergeben werden, nachdem sie den guten Riecher verloren hatte und dem STAMM-Hirn mit weissem Pulver zu nahe getreten war. Vielleicht eignet sich dazu ohnehin eher ein RICKLI. Die Füsse aber stehen irgendwo fest verankert auf der Scholle, im RÖSTI-Graben oder AM-STUTZ, während der dicke Hintern in den Sümpfen von Bern oder von Panama das gefüllte Portemonnaie in den Hosensack steckt. Rückgrat und Herz sind irgendwann in der MITTE von allem verloren gegangen.

So weit, so gut. Jede und jeder hat eine passende Aufgabe, jedes relevante Organ ist besetzt. Nur als man die Funktion des Darmausgangs vergeben wollte, haben sich verständlicherweise alle zurückgehalten. Wer will schon freiwillig gezielt und dosiert braunen Mist verteilen? Wer möchte gerne den Job des Schliessmuskels übernehmen? Ein Schliessmuskel, der dauernd zusammengezogen ist wie ein schmallippiges, arrogantes Lächeln? Wer will die Drecksarbeit verrichten, um auch noch die ganz rechtsextremen Nazis anzusprechen? Wer will sich schon missbrauchen lassen für diesen wortwörtlichen Scheiss-Job? Wer möchte anal in die Annalen der Partei eingehen? Diesen Stall-Geruch wird man auch nach dem Arbeitstag nicht mehr los, deshalb heisst es ja After-Work. Nein. Das tut sich niemand an.

Nur du, Andi, du wusstest: Wenn ein Organismus so viel schluckt, wenn er die Rechtsextremen holt, aber auch die Gemässigten aus der Mitte, wenn er so viel frisst, dann muss es auch irgendwo raus, sonst explodiert er. Darum hast du dich heldenhaft zur Verfügung gestellt. Du hast zwar gegen dein Herz gehandelt, aber du hast dich geopfert, diesen Job zu übernehmen.

Und nun lassen sie dich Gülle verspritzen: im Parlament, auf Twitter, auf Facebook und auf dem Bundesplatz. Durchfall hast du bekommen. Eine Ratskollegin in deiner analen Verwirrung «Arsch-Lan» genannt. Du hast ihr versehentlich unterstellt, dass in ihrem Land kein Recht und keine Ordnung herrschten, ohne zu merken, dass sie wahrscheinlich Schweizerin ist, wenn sie mit dir im Parlament sitzt.

Deine durchaus berechtigte Kritik am Vorgehen der Klimajugend, überhaupt an der links-grün-durchseuchten Jugend, wird zunehmend von unkontrollierbaren Schwällen von braunem Mist begleitet. Keine hämorrhoidale Hemmschwelle scheint dies stoppen zu können.

Lieber Andi, es zerreisst mir das Herz, dich so leiden zu sehen. Lass dich doch nicht derart missbrauchen. Denn so verlierst du genau den Respekt, welchen du zu Recht von Klima-Demonstrierenden einforderst. Und vor allem verlierst du die Liebe. Die Liebe des von dir so geliebten Landes.

Vielleicht musst du halt mal mit dem Kopf der Partei sprechen. Wenn der Körper nämlich nicht so viel Scheisse produzieren würde, bräuchte es vielleicht gar kein Arschloch.

In tiefer Verbundenheit

Deine mitleidende Mit-Aargauerin
Patti Basler

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Schweiz, liebe Mutter Helvetia

Du bist die Beste. Um nicht zu sagen: Wir sind die Besten! Das jedenfalls behaupten die Kinder anderer Nationen, von Mütterchen Russland bis Onkel Sam, sie betonen ihre Überlegenheit, zeigen stolz ihre Spielzeuge, schau, Mama, ich hab die grösseren Panzer und tolleren Flugis als mein blöder Cousin und sonst hau ich ihm die Sandschaufel über den Kopf.

Du bist die Beste. Um nicht zu sagen: Wir sind die Besten! Das jedenfalls behaupten die Kinder anderer Nationen, von Mütterchen Russland bis Onkel Sam, sie betonen ihre Überlegenheit, zeigen stolz ihre Spielzeuge, schau, Mama, ich hab die grösseren Panzer und tolleren Flugis als mein blöder Cousin und sonst hau ich ihm die Sandschaufel über den Kopf.

Darüber bist du längst hinweg. Wir feiern bereits deinen 729. Geburtstag. Ja, du bist alt geworden. Dieses Frühjahr musstest du eine lange Pause einlegen und man ist fast versucht zu glauben, es sei die Meno-Pause, denn als alternde Dame leidest du unter Hitzewallungen und anderen klimakterischen Krisen. Ein Virus setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Du bist alt, doch modern geblieben. Jung. Fresh. Du weisst, dass hinter den meisten grossen Frauen auch ein starker Mann steht. Deshalb bist du eine Ehe eingegangen. Mit Vater Staat. Er zählt 172 Jahre, jung und knackig im Vergleich zu dir: ein bisschen wie Brigitte und Emmanuel Macron auf dem Lande.

Ohnehin entspringst du einer Regenbogenfamilie: Man hört von drei Gründervätern, die sich nachts auf einer Wiese am See trafen und sich bekannten zu einer Vereinigung, einen Bund eingingen fürs Leben, die in keiner Not und Gefahr getrennt werden wollten, in guten wie in schlechten Zeiten, frei, ohne Angst vor den Menschen, eine Partnerschaft, eingetragen im Bundesbrief.

Du warst offenbar eine Art Kopfgeburt. Rütlischwur statt Nabelschnur, bezeugt von drei Männern, komplett wehenfrei. Man sagt sogar, sie haben den Eid genossen.

Press-Wehen erleben wir erst heute. Natürlich stehen die Presse-Erzeugnisse schon lange täglich unter Druck, aber das ganze WWW scheint ihnen stark zuzusetzen und viele warten nur noch auf den vollständigen Dammbruch. Das liegt auch daran, dass du deine Kinder zur Selbstständigkeit erzogen hast. Sie sollen dir nicht bestätigen, dass du die Beste seist, sie sollen dir nicht nach dem Mund reden. Lippenlesen ist ohnehin vorerst nicht angesagt, denn du hast empfohlen, eine Maske zu tragen und Abstand zu halten. Darin sind wir gut. Wir sind ein distanziertes Volk, nur die Jungen möchten lieber zum Tanz statt auf Distanz gehen. Dabei bietest du ihnen auch in der Isolation alles, was sie brauchen. In aller Bescheidenheit. Ja, du bist quasi der Roger Federer unter den Staaten: Du wirkst bescheiden, trotz Reichtum; du wirkst zugänglich, trotz eingezäunter Abschottung ums Luxus- Anwesen; du bist auf dem Boden geblieben, oder zumindest im Turnschuh. Nicht zuletzt ist auch dein Service schon mal besser gewesen.

Aber deine Kinder wollten deine Empfehlungen nicht befolgen, Masken und Abstand, Hygiene und Hausarrest, geht’s noch, Alte, chill’s mal, wir wollen frei sein, wie die Väter waren. Jetzt musste Vater Staat mal wieder mal ein Machtwort sprechen. Als moderne Mutter hattest du ihn in letzter Zeit vernachlässigt und ihm das Haushaltsbudget empfindlich gekürzt. Das rächte sich nun, die Kinder tanzten dir auf der Nase rum.

Man weiss ja: Kinder brauchen starke Väter. Ein allzu schwacher Vater Staat verliert Autorität und hat kein Taschengeld für Isolierte aus der Hochrisikogruppe, sei‘s nun in Frauenfeld oder Herrliberg. Er kann keinen Abstand predigen, ohne einen anständigen Aufstand zu erzeugen.
Drum, liebe Mutter Helvetia, lass auch den Vater zu Wort kommen. Wir brauchen ihn. Nur so können wir dich und uns richtig feiern. Und zu Recht behaupten: Wir sind mit Abstand die Besten!
Deine Tochter
Patti

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Töchter und Söhne: Es wird euch an nichts mangeln!

Ich werde langsam alt und etwas müde. Meine Biografie ist tief in die Lebenslinien meiner Hände geschrieben.

Ich werde langsam alt und etwas müde. Meine Biografie ist tief in die Lebenslinien meiner Hände geschrieben. An meinen Oberarmen habe ich mir Flügel aus schlaffer Haut wachsen lassen, eine Art Wingsuit, um die Distanz zu überbrücken, wenn ich vor lauter Brunnen die leise Talsohle nicht mehr hören kann. Dauernd passiert irgendetwas, ein Kommen und Gehen, ihr wechselt euren Standort und eure Adresse, die Wechseljahre sind gekommen.

Und ich, eure Mutter Helvetia, bin mitten drin.

Hitzewallungen, Klimawechsel, Klimakterium. Regelmässiges Blutvergiessen gibt es in unserem neutralen Land schon lange nicht mehr, auch meine Feuchtgebiete sind trockengelegt, dafür brodelt es an überhängenden Stellen, wo früher nicht einmal sanfte Hanglagen waren. Ich versuche mich jung und produktiv zu halten, indem ich mal da etwas aufspritze oder dort etwas Chemie einwerfe. Bis zum bitteren Ende, bis Pharma-Geddon.

Mitten durch meine Eingeweide führt die Alpentransversale und in meinem Mund, in meiner Gosche, meiner Göschenen musste schon lange eine Brücke gebaut werden, da ihr mir mit eurem pubertären Gehabe manchmal den letzten Nerv ausgerissen habt.
Doch jetzt ist es Zeit, an die Wurzel zurückzukehren, back to the roots, zurück zur Scholle. Denn ihr habt es bunt getrieben in letzter Zeit. Ihr seid flügge geworden und habt die Welt bereist oder sie in euer Wohnzimmer bestellt. Ihr habt den Teufel für eure Konsumsucht eine Luftbrücke bauen lassen. Und ihr habt vergessen, dass er dafür eure Seele verlangt hat. Dass er euch die Luft zum Atmen nimmt. Doch ihr wolltet immer mehr. Immer höher, schneller weiter, immer mehr! Mehr Konsum, mehr Hitze, mehr Sonne, mehr Meer.
Und als ihr noch eine Krankheit angeschleppt habt, konnte ich nicht mehr anders, ich musste tun, was Mütter tun in solchen Situationen: Ich gab euch Hausarrest.

Ihr durftet nicht mehr steil gehen wie eine exponentielle Ansteckungskurve. Pubertät hin oder her: Ihr musstet die Grenzen respektieren. Aber ich war hier für euch. Wie jede Mutter versuchte ich euch all das zu bieten, was ihr sonst anderswo sucht. Als Mensch geht’s einem in der Schweiz doch wie einem Hobbit im Auenland: «Mer isch Froh do». Man ist froh, da zu sein. Hier, wo Milch und Honig fliessen. Milk and Honey oder doch eher Milk and Money, denn die Bienen scheinen auch keine Lust mehr zu haben.

In der dunkelsten Stunde, isoliert in euren Wohnungen wie ich in Europa, da schien es an nichts zu mangeln. Shopping konnte man überbrücken mit Online-Einkäufen, Pendeln wurde überbrückt mit Homeoffice, Fitness habt ihr in meinen Wäldern betrieben. Natürlich war ich froh, dass ihr endlich gelernt habt, die Hände gründlich zu waschen. Nicht nur in schweizerisch-neutraler Unschuld, sondern mit Seife. Eine Armlänge Abstand halten und Klopapier benützen: Das wussten meine Töchter schon lange. Nun haben es auch die Söhne gelernt.

Nur etwas, habt ihr mir erzählt, nur etwas habe gefehlt.

Was zähle in Wallisellen, was die Schweiz will in Witzwil, das seien Umamrungen. Was gefalle in St. Gallen, seien Kollegen. Was einem von Finternis trenne in Finsterhennen, seien die Freundinnen. Was man zurück will in Roggwil, seien die Berührungen, was fehle in Falera, sei ein Handschlag. Es gehe nicht um schwere Dinge in Ehrendingen, nicht um die Büez in Spiez, nicht ums Büro in Büron: Es seien die Freunde, die gefehlt hätten. Die Kolleginnen, die man vermisste, Familienmitglieder.
Eine ausgestreckte Hand, ein Arm, der sich über die wilden Wasser legt wie die Teufelsbrücke über die Schöllenenschlucht. Gerade auch, wenn man keinen Bock hat.

Was man am meisten vermisse, sei weder die Hitze des Verbrenungsmotors, noch die Schwüle der Ferienreise. Nur die Wärme eines lieben Menschen.

Und das, liebe Kinder, könnt ihr doch mitnehmen. Denn pädagogisch fragwürdige Massnahmen wie Hausarrest sollten zumindest einen Lerneffekt haben: Es wird euch an nichts mangeln, wenn ihr aus dem Mehr ein Weniger macht. Solange euer Bedürfnis nach Wärme von einer liebenden Person gestillt wird, dies sich wie eine Brücke über die Schöllenen legt. Oder euch zumindest mit schlaffen Oberarmen Flügel verleiht.
Es grüsst

Das Geburtstagskind, eure Mutter

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe feinsinnige, moralisch korrekte Nicht-Aargauisch-Stämmige

Dass wir seit Wochen über diskriminierende Bezeichnungen von Süssigkeiten sprechen, ist eine reine Wohlstandserscheinung.

Dass wir seit Wochen über diskriminierende Bezeichnungen von Süssigkeiten sprechen, ist eine reine Wohlstandserscheinung. Wir im Aargau lieben sie einfach, die Waltenschwiler Schoggi-Spezialitäten: Kirsch-Stängeli, Vanille-Truffes, Vieille-Prune-Kugeln, Whiskey-Würfel. Da ist drin, was auf dem Etikett draufsteht.
Und dass wir das Wort Schokokuss nicht über die Lippen bringen, hat nichts mit Rassismus zu tun. Schokokuss klingt nach Reve, Aldi und Edeka. Schokokuss klingt nach Souveränitätsverlust und schon sehr, sehr nach Deutschland. Dass wir unsere Lieblingsspeise nicht Schokokuss nennen wollen, ist nicht rassistisch. Es ist nur ganz alltäglich deutschlandfeindlich.
Wir wollen uns doch nicht von den Deutschen vorschreiben lassen, wie wir zu reden haben! Der grosse Kanton hat uns bereits das eidgenössische Maul verboten und einen Mund daraus gemacht. Wir wurden vom helvetischen Ross geholt und aufs deutsche Pferd gesetzt.
Zwar gehen wir vom Aargau auch ins Deutsche einkaufen, allerdings aus reiner Wohltätigkeit. Wir möchten Hilfe vor Ort leisten, damit keine deutschen Wirtschaftsflüchtlinge in die Schweiz kommen: Sauschwaben. Deshalb bekommen wir auch die Mehrwertsteuer zurück an der Grenze. Entwicklungshilfe ist steuerfrei.
Da halten wir es mit unserem Vorbild Nestlé, welches dem Bundesrat jetzt hilft bei der Entwicklungszusammenarbeit. Es gräbt in Afrika den Menschen das Wasser ab und verkauft es teuer. Immerhin ist es sauber und sterilisiert, nicht wie damals, als Nestlé den Drittweltländern Milchpulver unterjubelte, das mit verschmutztem Wasser gemischt wurde und zu einem Säuglingssterben führte. So können die Afrikaner den Kapitalismus lernen und das Wasser ist politisch korrekt etikettiert mit «pure Life», das pure Leben eben. Der CEO von Nestlé ist übrigens Deutscher.
Genau wie der neue Zoodirektor in Zürich. Da macht sich ein Alt-Nationalrat zu Recht Sorgen, nicht dass ein Schweizer Buure-Zmörgeli noch durch ein teutonisches Landwirte-Frühstück ersetzt wird. Mörgeli moniert, dass der neue Deutsche gekommen sei, «um zu bleiben». Christoph Mörgeli hat als Historiker Beispiele, wie es gehen kann, wenn Deutsche in ein anderes Land einwandern, um zu bleiben. Tatsächlich könnten deren Nachkommen Macht gewinnen und den politischen Sprachgebrauch prägen. Die besten Beispiele dafür sind die Blochers und die Trumps. Grab them by the Meitschibei!
Vielleicht möchte Mörgeli aber einfach selber wieder Direktor werden. Die Tiere könnte man in grossen Einmachgläsern konservieren, wie damals in seinem medizinhistorischen Museum die missgebildeten Embryonen. Rhinozeros im Rizinus, Tapir im Terpentin, sauber etikettiert mit Herkunft, Rasse, Klasse, Unterklasse, eingelegt wie eine Vieille Prune im Spiritus. Und Christoph wäre unser Spiritus Rector.

Denn Konservieren, das kann er, Altes erhalten, alte Exponate, alte Rituale, alte Sprache. Steuerfinanzierte Staatsgeldbezüger, wie er es war, seien ja nicht sehr innovativ, hört man. Dafür seien wir Unternehmerinnen und KMU zuständig.
Dabei wird gerade jetzt alles neu, und zwar staatlich verordnet:

  • An Demonstrationen herrscht Vermummungspflicht.
  • An Schulen herrscht Handschlagverbot.
  • Statt der gutschweizerischen 4 Meter sollen wir plötzlich nur noch 1,5 Meter Abstand wahren.

Nur der Sprachgebrauch wird nicht staatlich reglementiert. Keine Sprechverbote, kein Moralzwang, keine verordnete political Correctness. Jedes Unternehmen darf sich selbst ein moralisches Etikett umhängen.
Denn über diskriminierende Lebensmittelbezeichnungen zu sprechen, ist tatsächlich eine Wohlstandserscheinung.
Es nicht zu tun, ist ein Armutszeugnis.

Gruss und Chocolat-Kuss
von Patti, dem inkarnierten Aargauer Braten
(= Alte Zwetschge im Speckmantel)

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber C.B., bald 80-jährig, Alt-Politiker, dessen Namen ich nicht nennen möchte (und der noch Geld zu Gute hat).

Du wirst alt. Alt und etwas müde. Obwohl man gerade in deinem Fall von Unermüdlichkeit sprechen möchte.

Du wirst alt. Alt und etwas müde. Obwohl man gerade in deinem Fall von Unermüdlichkeit sprechen möchte. Von Fleiss, von Sendungsbewusstsein, von geistiger Klarheit.
Deine politischen Mandate hast du abgelegt und den Familienbetrieb deiner Tochter und dem Schwiegersohn übergeben. Sie, die älteste von drei Töchtern, diejenige mit dem rassigen Kurzhaarschnitt, hat auch die politische Mission von dir übernommen. Ihre eine Schwester hingegen wird da und dort als «Basler-Läckerli» der Nation gefeiert. Oder verunglimpft. Von der dritten hört man eher wenig in der Öffentlichkeit.
Aber der Reihe nach: Du wurdest mitten im Krieg geboren, in die neutrale Schweiz hinein, eines von vielen Geschwistern, du hattest einen älteren Bruder, der bis vor wenigen Jahren noch fast schärfer politisierte als du, er machte eine akademische Karriere, andere Geschwister erlernten handwerkliche Berufe, dein Bruder Andreas wurde Gymnasiallehrer, du aber wurdest Bauer. Obschon du innerlich immer ein Akademiker warst, daher dein Studium für die Erwachsenenmatur, streng, fordernd, inklusive Latein und höherer Algebra.

Dass du Beruf, Weiterbildung, Politik und vor allem Familie unter einen Hut bringen konntest, hast du primär deiner Frau zu verdanken. Sie, die sprichwörtliche Frau hinter dem starken Mann, zurückhaltend, klug, attraktiv, pädagogisch geschickt stand immer in deinem Schatten. Zu Unrecht. Denn sie hat gearbeitet, hat deine Kinder erzogen, deine Töchter zu selbstbewussten, erfolgreichen Unternehmerinnen und Berufsfrauen gemacht, welche dein Erbe pflegen. Wo wärst du wohl ohne deine Frau geblieben, mein Lieber, was wäre aus dir geworden?

Deine Wahl in die Exekutive war eher überraschend. Und du hast dich quasi ins Amt drängen lassen. Weil es dich offenbar brauchte. Weil das Volk es so wollte. Es war ein Auftrag. Du warst gar nicht derart lange Exekutiv-Politiker, dennoch prägtest du einiges in deinem Amt.
Mich hast du geprägt. Von Anfang an. Du hast mich politisiert wie kein anderer. Ich hörte mir deine Reden und Ausführungen an und hatte immer ein bisschen Angst, dass die Gläser, welche in deiner Nähe standen, von deinen ausladenden Gesten umgeworfen werden könnten.

Du warst und bist der sprichwörtliche «alte, weisse Mann», der gerne die Welt erklärt. Den Jungen, den Frauen, den anderen Männern. Oft mit einem flotten Spruch, einem Zitat, einem Reim oder einem Kalauer garniert. So wollte ich auch werden. Nicht unbedingt alt, auch nicht unbedingt ein Mann. Aber ich wollte so viel Wissen und Eloquenz erwerben, dass ich Besserwisserin von Beruf werden könnte.

Grosszügigerweise hast du auf sehr viel Geld verzichtet, als du abgetreten bist. Im Gegenzug hast du gar für deine Familie, für deine Frau und die Töchter, für Enkelinnen und Enkel, für die Partei und deine Mission einiges ausgegeben.
Obwohl du jetzt zur Hochrisikogruppe gehörst, bist du noch aktiv. Die grossen Häuser und ausgedehnten Ländereien im Familienbesitz erlauben dir Spaziergänge ohne Schutzmaske und ohne, dass du dabei gestört wirst. Für den Familienbetrieb arbeitest du immer noch. Auch wenn die Tochter und der Schwiegersohn vielleicht manchmal froh wären, wenn der Vater auch mal Ruhe gäbe. Mit oder ohne Schutzmaske. Doch zum Ruhe geben bräuchte es eben ein Ruhegehalt.
Es käme dir allerdings nicht in den Sinn, Geld, das dir noch zusteht, einzufordern. Im Gegenteil.
Dabei hättest du es mehr als verdient.
Eines Tages, mein Lieber, versuche ich alles zurückzugeben, was auch ich von dir bekommen habe.

Vielleicht nicht dir, vielleicht muss man an der Allgemeinheit oder an den nächsten Generationen gut machen, was man bekommen hat.
Und deinen Namen nenne ich nun doch noch, Caspar Basler*, mein Vater, dessen Schatten gross war, aber nie so gross, dass er sich ein symbolisches Sünneli auf die Flagge malen musste, um vorzugaukeln, dass er auch für andere Wärme spende.
Danke.

In Liebe
Patti

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber Balthasar Glaettli Back to the future. Komödie in 3 Akten:

Die Linken: Mattea Meyer, Cédric Wermuth, Jacqueline Badran
Der Bürgerliche: Kurt Fluri
Der Grüne: Balthasar Glättli

Die Linken: Mattea Meyer, Cédric Wermuth, Jacqueline Badran
Der Bürgerliche: Kurt Fluri
Der Grüne: Balthasar GlättliIch bin Bauerntochter und selbstständige Unternehmerin. Quasi ein KMU mit Agrarhintergrund. Nun hat man mir jahrelang gesagt, dass die Bürgerlichen genau für mich politisieren. Unbürokratisch. Und siehe da: In der Krise waren alle solidarisch. Die Linken, die Bürgerlichen, die Rechten. Simonetta wollte uns durch den Sommer bringen, Alain berserkerte für die Kultur, Ueli mauerte uns einen Sockel, uns, den Schweizer KMU, der Event-/Tourismus-Branche, den Schtartöpps, die man allesamt unterstützen solle.

Das war der Anfang der Komödie.

Doch irgendwann ist ja dann auch wieder gut, dann reden wir ein bisschen von antirassistischen Unternehmensstrukturen oder dem Ölpreis und wie wir uns freuen, dass die neue Normalität hier ist. Unbürokratische Hilfe bis Ende Mai muss reichen. Der Mai macht ja alles neu. Wer Corona bedingt immer noch nicht arbeiten gehen kann, soll sich halt einen neuen Job suchen! Irgendwas mit Home-Office! Wer will schon Kabelleger bei einer Event-Agentur bleiben oder Tontechnikerin für Konzerte? Oder gar Musikerin? Sänger? Komödiant? Und um die Kulturschaffenden haben sich ohnehin nicht die Bürgerlichen zu kümmern. Das sollen gefälligst die links-grün versifften rytzen. Der Bundesrat jedenfalls hat Besseres zu tun, man schaue dann im Herbst, wenn die Notenblätter gefallen seien und der Wald konkursbedingt etwas gelichtet.

Das war der Komödie 1. Akt.

Die Linken stellen also einen Ordnungs-Antrag, man solle doch sofort entscheiden, wie den KMU und Selbstständigen geholfen wird. Nicht erst im September, wenn alle Konkurs sind, weil sie keine Unterstützung mehr bekommen, aber Corona bedingt auch noch nicht richtig arbeiten können. Der Antrag wird knapp angenommen. Jubel bei KMU, Selbstständigen, Event, Kultur, bei einigen Linken und einigen Bürgerlichen.

Das war der Komödie 2. Akt.

Da kommt ein Bürgerlicher, stellt einen Gegen-Ordnungs-Antrag, man solle diesen linken Ordnungs-Antrag nicht gutheissen und in der Zeit, in der man Ordnungs-Anträge und Gegen-Ordnungs-Antrag-Ordnungs-Anträge gestellt und gutgeheissen hat, hätte man auch grad über die Sache an sich beraten können, aber das hätte nicht der Ordnung entsprochen. So viel Bürokratie muss sein!
Ausgerechnet ein Grüner unterstützt den Bürgerlichen bei seinem Antrag.Vielleicht weil der Grüne lieber wieder einmal über Greta reden möchte als über Corona-Unterstützung. Vielleicht weil er den Bürgerlichen so mag, denn der heisst Fluri und das klingt nach Wiesen, Flur, Natur. Und zu viel Kultur schadet ohnehin der Natur und wenn das KMU-Dickicht ein bisschen ausgedünnt wird, wird sicher auch weniger CO2 ausgestossen und es hat mehr Platz auf den Strassen für die Velos der grünen Bundesangestellten, die ihren Job noch haben und auch nie darum zittern mussten wie eine Espe (wird ausgesprochen wie SP, aber das heisst gar nichts).
Der Bundesrat wird also im Herbst darüber reden, ob die Selbstständigen und die KMU im Juni, Juli und August Hilfe bekommen haben werden.
Das ist Back to the Futur 2.

Das war der Komödie 3.Akt

Und wer sich fragt, ob der grüne Balz Glättli noch alle Lättli am Zaun habe, dem sage ich: Ja! Man kann getrost die Unterhaltungsindustrie, die Kultur, die Event-Unternehmen, Theater und selbstständigen Künstlerinnen Konkurs gehen lassen.
Für genügend Komödien sorgt ja schliesslich das Parlament.

Herzlich
Patti Basler

Fluri, Badran, Meyer und Wermuth richten es jetzt offenbar doch noch. Diesmal machst du aber keinene grünen Tolggen ins Heft!

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber Alain Berset, ich habe die Pressekonferenz protokolliert.

Du sagst: Es gilt, was der Bundesrat beschliesst. L’état c’est moi. L’état c’est pas Monsieur Koch.

Du sagst: Es gilt, was der Bundesrat beschliesst. L’état c’est moi. L’état c’est pas Monsieur Koch. Der wird jetzt sowieso pensioniert und gehört ab sofort zur Hochrisikogruppe. Was zum Glück egal ist, da die jetzt ja offiziell nicht mehr gefährdet ist. Und er wird genügend Luft bekommen, weil er nie mehr eine seiner scheusslichen Kravatten tragen muss.

Du sagst: Lockerheit bei Erotikdienstleistungen sei wichtig für euch. Für wen denn nicht, Alain, für wen nicht? Das, weil sie sowieso gemacht würden, auch wenn sie verboten wären. Obwohl da keine zwei Meter Distanz möglich sind. Aber das Contact-Tracing ist da möglich, nicht wahr? Notfalls müssen halt die Dienstleisterinnen das Plastiksäckli mit der DNA des Kunden zum BAG tragen wie Hundebesitzer ihr Säckli zum Robydog.
Und überall, wo andere Körperflüssigkeiten in die Öffentlichkeit ejakuliert werden, ohne dass sie in einem Latex-Verhüeterli landen, sollen die Distanzregeln eingehalten werden. Ansonsten könne der Bundesrat nicht jedes Schnäbi nachverfolgen, das nenne man Mikro-Management. Und Schutzkonzepte seien nicht Sache des Bundesrates, l’état c’est moi, mais le concept c’est pour le peuple.
….
Du sagst: Theater? Eigenverantwortung. Und deine Chefin Simonetta Sommaruga doppelt nach: Vielleicht brauche es halt einmal ein schlechtes Beispiel. Die Menschen lernen aus Fehlern. Was meint sie damit? Eine Party im Altersheim muss halt mal ein bisschen ausarten? Lieber Intubieren als Isolieren? Kein Exit in Dignitas, sondern Death by Coronorgy?
Aber um über Zahlungen für den Eventbereich ganz sec zu antworten, müsse das Seco Zahlen liefern. Da sei sie nicht ganz sicher, ob die Kultur- und Eventbranche noch weiter unterstützt werde. Geld für ausfallende Events? Eventuell.

Aber ab Mitternacht, lieber Alain zu Haus, da es zu Situationen kommen könnte, welche gefährlich sein könnten, da unerfreulicherweise möglicherweise ..blabla…
Wusstest du, Alain, dass Konjunktivitis auch eine Tröpfcheninfektion ist? Und zwar eine hoch ansteckende.
Sag doch einfach, dass ab Mitternacht alle strunzbesoffen und giggerig einander die Finger ins Gesicht oder die Zunge in den Rachen stecken und ihre Kontaktdaten zwar freiwillig abgeben würden, sie aber schlicht nicht mehr wissen.

Und deine Kollegin Keller-Sutter sagt, die Swiss darf ihre Flugzeuge füllen wie sie will, wenn die Einreisebestimmungen eingehalten werden, im Notfall mit Justizministerinnen .

Am 6.6. um 6 Uhr morgens öffnen die Tore. Open the Gates.
300 Leute an Veranstaltungen, 30 an spontanen Treffen, 3 Regeln sind einzuhalten: Distanz, Hygiene, Contacttracing.
Diese 333 x 2 Meter Abstand ergibt wieder 666.
Mal drüber nachdenken.

Lieber Alain,
Das ist doch Libertinage!
Drum machen wir es jetzt wie in der Erotikbranche:
Wir gehen locker um, auch mit den getrackten Daten, geben uns der Eigenverantwortung hin und schauen, dass wir schon vor Mitternacht genügend besoffen sind, um unsere Telefonnummer zu vergessen.

Gegen Konjunktivitis hilft übrigens Kamillentee.
Gute Besserung
wünscht dir
Patti Basler

P.S. Wenn spontan 30 Gruppen von je 30 spontanen Menschen an einen Auftritt kommen würden, wäre das erlaubt? Oder nur dann, wenn der Auftritt in einem Flugzeug stattfände?

 

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«Briefe aus dem Lockdown»

Lieber Bundesrat, lieber Ignazio Cassis: Eine offene Flaschenpost

Wochenlang haben wir mitgemacht und zugeschaut, um nicht zu sagen: jahrelang!

Wochenlang haben wir mitgemacht und zugeschaut, um nicht zu sagen: jahrelang!
Wir waren vernünftig und haben uns ans Notrecht gehalten. Halten uns immer noch daran. Haben Verschwörungstheorien entlarvt.

Und nun, lieber Ignazio Cassis, nun willst du die Theorie in die Praxis umsetzen und bei der Entwicklungszusammenarbeit mit Nestlé zusammenspannen.
Ausgerechnet!

Cassis! Du bist doch keine Tasse Espresso, kein Becher Instantkaffee, kein Schoppen Milch. Du bist eher eine Flasche. Eine Flasche Sirup. Oder süsser Likör, den sich die älteren Damen in den sauren Merlot kippen. Cassis. Cassis-de-Dijon, der prefekte Aussenminister, denn das Cassis-de-Dijon-Prinzip besagt: Wenn eine Flasche für die EU gut genug sei, sollte es für die Schweiz allemal reichen.

Du kennst dich aus mit Entwicklungszusammenarbeit, mit dem globalen Süden, mit der hitzegeplagten Dritten Welt. Du kommst ja selber von dort.
Ignazio, der Feurige, der Entbrannte!

Gut, bei euch heisst es
Magadino statt Madagaskar,
Ascona statt Angola
Burka-Verbot statt Burkina-Faso.
Aber ihr habt goldene Leoparden und seid ein international anerkanntes Epidemie-Epizentrum, und bei euch im schönen Ticino wohnen offenbar die jungen Männer bis knapp 30 im Hotel Mama, im gemachten Nestlé.

Als Kind der 60er bist du wahrscheinlich aber nicht an der Mutterbrust gestillt worden, eher ein typisches Pulverkind, das als Baby nie eine nackte weibliche Brust zu Gesicht bekam.
Die ersten Frauenbrüste sahst du wohl erst etwa mit 8 Jahren. Bei der Altpapiersammlung, wo du genau wusstest, welches Heftli von welchem Nachbarn heimlich herausgeklaubt werden musste, Ignazio.

Und seit deiner Jugend gibt es nun ein Werbeverbot für das Milchpulver in der Säuglingsflasche. Auch das haben wir Nestlé zu verdanken.
Damals exportierte der Konzern Unmengen Milchpulver nach Afrika und bewarb es aggressiv, so dass den stillenden Müttern fast ihre Säuglinge von der Brust gerissen wurden.
Das Pulver wurde zu teuer verkauft und mit zu viel Wasser verdünnt und das Wasser war teilweise massiv verseucht, ein grosses Säuglingssterben war die Folge.

Natürlich könnte so etwas nicht mehr passieren heute, denn ja, Ignazio, Nestlé hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Nestlé sterilisiert jetzt das Wasser gleich bei der Quelle, gräbt es ab, füllt es in Flaschen und verkauft es dann viel zu teuer, so dass man sich nicht nur das Pulver, sondern auch das Wasser nicht mehr leisten kann.

Und tatsächlich bringt die Säuglingssterblichkeit dem Konzern auch gar keine geschäftlichen Vorteile. Natürlich könnten die nicht mehr stillenden Mütter verstorbener Babys schneller an ihren unterbezahlten Arbeitsplatz zurückkehren. Es gibt allerdings nur etwas, das für Grosskonzern-Zulieferfirmen in 3.-Weltländern noch billiger ist als Frauen: Kinder.

Das ist doch mal Konzernverantwortung auf Eigeninitiative! Das ist echte Entwicklungszusammenarbeit!
Du hilfst als Bundesrat, dass das Wasser dort in Afrika unten sauber in Flaschen abgefüllt wird und Nestlé sorgt dafür, dass die unterbeschäftigten Kinder früh in den Arbeitsmarkt integriert werden, so wie du damals beim Altpapiersammeln. Nicht dass sie noch kriminell werden oder gar als Wirtschaftsflüchtlinge in den Norden kommen.
Gut, du hast es dennoch über die Alpen geschafft, bis an die Brust von Mutter Helvetia in Bern.

Vielleicht wird dank dir gar das Bundeshaus in Zukunft gratis mit Nestlé-Mineralwasser beliefert. Und wenn dieses ein wenig bitter und salzig schmeckt, nach Blut, Schweiss und Kindertränen, kann man es einfach mit etwas Cassis-Sirup versüssen.

Flasche leer. Ich habe fertig.
Prost.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Simonetta Sommaruga

Deine krisenfreie Zeit als Bundespräsidentin dauerte nur rund zwei Monate. Du bist quasi ein Schtartöpp, wie dein Kollege sagen würde.

Deine krisenfreie Zeit als Bundespräsidentin dauerte nur rund zwei Monate. Du bist quasi ein Schtartöpp, wie dein Kollege sagen würde.
Doch du bespielst die Klaviatur der Corona-Katastrophe gekonnt, wie es sich für eine Bundespräsidentin gehört. Mit gewaschenen Händen. Natürlich wäre es dir als Pianistin lieber wie immer – as always: mit Flügel. Die hiesige Fluggesellschaft ist zwar praktisch gegroundet, du jedoch hast einen Flügelmann. Partei- und Bundesratskollege Berset stiehlt dir fast ein bisschen die Show. Ein echter Landesvater, der seine eigene Familie vernachlässigt, um fürs Volk da zu sein während der Pestilenz. Pestalozzi lässt grüssen. Berset in seiner Berner Bundesrats-Klause wie einst Bruder Klaus. Ein Titel für Hollywood: «Berset. Alain zu Haus.»

Doch als gute Sozialdemokratin überlässt du ihm gerne den Lead-Part. Oder lässt die Suppe grad direkt vom Koch auslöffeln. Nur vor Misstönen scheut ihr euch alle. Natürlich muss zuerst der Grund-Tenor stimmen: Bleibt zu Hause, wascht die Hände, macht die Kurve flacher als das meliorierte Mittelland, flacher als einen Altherren-Witz! Und ihr habt es tatsächlich hingebogen mit halbwegs strikten Massnahmen.
Nur wenn es um die Begründung der Massnahmen geht, sind die gefühlten Zensurbalken schwärzer als die Halbtöne auf dem Piano und dicker als Bersets Augenbrauen.

Wenn wir dich als Landesmutter fragen, ob denn Masken helfen würden und, wenn ja, ob wir genug hätten, da druckst du plötzlich herum, als würdest du die klaren Töne nicht beherrschen. Wie im alten Tanzliedchen: Einmal hin, einmal her, rundherum, es ist nicht schwer.

Das grenzt schon an Notlügen in Notlagen. Klar, ein gute Mutter mutet ihren Kindern auch nicht zu viele nackte Tatsachen zu, sondern klärt sie dosiert auf. Wieso sollte eine Landesmutter da eine andere Tonart anschlagen?
Was du nicht sagst: «Liebe Bevölkerung, wir halten euch für zu blöd, die Masken richtig handzuhaben, für zu dumm, um zwei Meter Distanz einzuschätzen, zu inkonsequent, um mit einer generellen Öffnung umgehen zu können.» Was du nicht sagst: «Wir haben zu wenig Personal für diese Krise, weil Pflegejobs inzwischen so unattraktiv sind, dass wir Pflegende sogar lieber fertig ausgebildet aus Deutschland importieren. Wir haben zu wenig Schutzmaterial. Wir haben nicht vorgesorgt.» Was ihr als Bundesrat nicht sagt: «Coiffeurbesuche sind einfacher zum Tracken, zum Nachverfolgen zum Überwachen als generelles Shopping. Wir müssen euch überwachen, um Corona zu besiegen.» Was der Bundesrat sagt: «Schtartöpps» und «Herr Koch, übernehmen Sie.» Und wahrscheinlich habt ihr recht.

Viele Köche müssen nicht unbedingt den Brei verderben. Aber sie sollten alle dieselbe Sprache sprechen. Klar, gradlinig, in verschiedenen Tonlagen, aber möglichst in derselben Tonart. Ein Staat ist kein schlankes Kammerspiel, sondern ein grosses Orchester. Entsprechend muss es auch gut alimentiert sein mit den nötigen Instrumenten.
Oder bedeutet «sozial distanziert» automatisch «SVP nah»?

Wobei die Parteigrenzen für einmal keine Rolle zu spielen scheinen. Zumindest bisher. Nun werden die Liberalen und die bürgerlichen Staatsabbauer ihre eigenen Versäumnisse ausgerechnet dir und deiner Partei um die Ohren hauen. Spare in der Zeit, werden sie sagen, damit du in der Not hast. Und sie haben recht. Denn eigentlich weisst du ja, ein Staat muss keine Gewinnmaximierung erzielen und braucht kein Lean-Management. Ein Staat muss dick und fett sein und kurvenreich wie Helvetia, deren voralpine Hügelzonen mit staatlichen Direktzahlungen in Form gehalten werden, welche jedes Push-up-Körbchen vor Neid erblassen lassen. Ein bisschen wie bei den Schtartöpps, eine Art Grass-Root-Bewegung, eine Graswurzelbewegung. Alle zahlen mit:
Kraut-Fönding.

Drum hier, liebe Simonetta, noch meine Spartipps für Schtartöpps:
Die fetten Bäume, die den Gräsern das Wasser abgraben, sollen gerne etwas mehr bezahlen, um vorzusorgen. Du bist schliesslich Chefin über eine gigantische Umverteilungsmaschine.
Und wenn du Flügel bevorzugst: Vielleicht möchtest du ja die Swiss zurückkaufen. Oder zumindest für Treibstoff sorgen, damit sie wieder abheben kann.
Investier in Rohöl. Ist grad im Angebot.

Es grüsst
leicht flügellahm
Patti Basler

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Magdalena Martullo

«What do you do when the beamer breaks down?», hast du einst gefragt, «You first fix the beamer» war die richtige Antwort, die du gleich selber geben musstest, weil dein Mitarbeiter die sinking steps nicht verinnerlicht hatte.

Du bist eine zupackende Feministin, die dies nicht an die grosse Glocke hängt und höchstens mit dem praktischen Kurzhaarschnitt manifestiert. Eine Trendsetterin: Du trugst schon Schutzmaske, als es noch nicht in war. Wahrscheinlich wirst du die momentan grassierende Solidarität mit Minderheiten auch ablegen, bevor sie nicht mehr en vogue ist. Sinkende Boote soll man frühzeitig verlassen, you know the seven sinking steps. Aber zuerst schaffst du 600’000 Masken an für Coiffeur-Salons, denen du sie ohne persönlichen Gewinn verkaufst.

Du kritisierst Bundesrat und Gesundheitssystem dafür, ein bisschen zu sehr auf den jahrelang von SVP und FDP gepredigten Liberalismus gehört zu haben. Lagerbestände wurden gesenkt, das staatliche Ethanollager aufgelöst, Spitäler auf Wirtschaftlichkeit getrimmt, lieber lohnende Hüftgelenk-Operationen als intensive Langzeitpflege. Es gibt nicht einmal genügend Klopapier.

Natürlich möchtest du weniger Staat, nur nicht in Krisen, da empfiehlst du China als Vorbild, das seine Bürgerinnen auf Schritt und Tritt überwacht. Gleichzeitig mahnst du, dass sich erwachsene Menschen nicht herumkommandieren lassen möchten; da hast du als Arbeitgeberin wohl Erfahrung.

Deine Kritik hat System: Staatliche Einrichtungen werden erst schlechtgeredet, dann kaputtgespart, im Krisenfall zeigt man mit dem Finger drauf: Seht, wie der Staat alles falsch macht! Wir haben es ja gesagt! Das scheint zu funktionieren: KiTas und Schulen, Gesundheitssystem, IV, Kesb haben einen schlechten Ruf. Alte und Kranke, Seniorinnen, aber auch Bauern, Ärztinnen, Lehrer gelten nur noch als lästige Kostenfaktoren.

Ausser in Krisen, wo sie plötzlich schützenswert oder systemrelevant sind. Im Gegensatz zu Selbstständigen und KMU können sie mit Lohnfortzahlung rechnen. Hier kommt die grandiose Idee von deinem Parteifreund Thomas Burgherr ins Spiel: Gutverdienende sollen 1 Prozent ihres Einkommens abgeben, um die Ausfälle der KMU zu decken. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, ein Mindestlohn für gefährdete Unternehmen und Selbstständige, bezahlt mit einer Art Steuer von Privilegierten. Das ist bahnbrechend. Stell dir vor, wenn Grossunternehmen und sehr gut Verdienende sogar noch einige Prozente mehr einbezahlen! Was du damit bewirken könntest! Da erscheinen 600’000 Schutzmasken geradezu knauserig. Wenn alle solidarisch mitmachen, man würde so vieles schaffen: Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme sowie Coiffeur-Mindestlöhne, die der reichen Schweiz würdig sind.
Vielleicht möchtest du dir dann auch einmal eine Frisur leisten, die mehr als 70 Franken wert ist.

Natürlich hältst du dich, trotz aller Kritik, an die Regeln des Bundesrats, wäschst deine Hände mit Seife und in Unschuld und posierst im eigenen Garten. Zum Glück hast du das explizit erwähnt, denn nur schon auf dem gezeigten Bildausschnitt passt locker ein Senioren-Pflegeheim mit 20 Intensivbetten samt Schutzmasken-Lagerschuppen. So macht social distancing schon fast Spass. Da sind wir uns ähnlich, ich lebe ebenfalls privilegiert.

Deshalb hier mein Rat: Chill’s! In Zukunft musst du gar nicht zur Virologie-Expertin werden oder in Eigenregie Schutzmasken anschaffen – denn du bist der Staat. Zusammen mit uns allen. Als reicher und einflussreicher Teil dieses Staates kannst du getrost an Experten, Wissenschafterinnen und zuständige Behörden delegieren, welche von unseren Steuern angemessen bezahlt werden. So dass es nie mehr mangelt in zukünftigen Krisen. Auch nicht an Klopapier. Denn mit der unsichtbaren Hand wischst nicht mal du den Hintern.

Es grüsst
sozial distanziert
Patti Basler.

Offener Brief in der Aargauer Zeitung, 14.4.2020

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebes Grosi

„Gib mir die Hand“, sagtest du, „ich sage dir wahr, auf dem Kopf hast du Haar, im Rücken ein Kreuz und in der Hand einen Speuz!“

„Gib mir die Hand“, sagtest du, „ich sage dir wahr, auf dem Kopf hast du Haar, im Rücken ein Kreuz und in der Hand einen Speuz!“

In diesem Moment spucktest du mir tatsächlich schelmisch lachend in die Hand. Überhaupt schienst du für jede Situation den richtigen Spruch zu wissen.

Du erzähltest in Reimen vom Kätzchen, das gestohlen hatte und nun ertränkt werden sollte, doch im letzten Moment gerettet von einer treuherzigen Kinderseele. Du wusstest, wie man mit Müllers Kuh den Esel auszählt. Und du liessest unsere Kinderherzen erschauern, wenn du die Ballade vom Gewitter rezitiertest. Urahne, Grossmtter, Mutter und Kind freuen sich auf morgen, draussen grollt der Donner, doch jede Strophe endet mit dem freudigen Ausruf: „Morgen ist Feiertag!“ Selbst die letzte:

“Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Vier Leben endet ein Schlag
Und morgen ist Feiertag.“

An Sonntagen begleitete ich dich in die Kirche, nachdem ich dein Puch-Maxi-Töffli geputzt hatte. Da die Eltern auch feiertags auf dem Bauernhof arbeiteten, warst du für die religiöse Erziehung zuständig. Als der Grossvati noch gelebt hatte, war er jeweils mit uns Mädchen an der Hand ins Dorf marschiert, um Wirtschaftskunde zu betreiben. In der kleinen Einlegerwohnung, dem Stöckli, stand immer eine Flasche saurer Most im Kühlschrank, von dem wir Kinder heimlich stibitzten.
Der Most blieb, auch nachdem Grossvati gestorben war. Das Stibitzen ebenfalls. Ein Mehrgenerationenhaushalt wie zu Gotthelfs Zeiten. Nur dass die Modernität einen entscheidenden Vorteil hatte: Der Fernseher stand in deiner Wohnung, wir hatten keinen. Da wir abends ohnehin unter deiner Obhut standen, passte das wunderbar. Nur mussten wir dann und wann in der Programmzeitschrift mit Tipp-Ex dein geliebtes Aktenzeichen xy überpinseln, damit wir ungestört unsere Teenie-Tanzfilme gucken konnten.

Du hast mir vieles beigebracht: Den Umgang mit Tieren, Garten- und Feldarbeit, die Liebe zu Reimen und Sprüchen. Du warst da. Für deine Söhne und Enkelkinder.

Es war kein Blitz, der dich traf. Langsam und stetig hast du dich vom Leben verabschiedet. Der jahrelange, zähe Kampf um ein gutes Leben setzte sich im jahrelangen Kampf mit dem Sterben fort.

Zuerst waren es nur Kleinigkeiten. Du erzähltest zum Beispiel, wie du in jüngeren Jahren den Pfarrer geohrfeigt hättest. Reines Wunschdenken. In Wirklichkeit hattest du damals keine Möglichkeit, dich für die Schläge zu rächen, welche der Kirchenmann zur Züchtigung deiner Söhne eingesetzt hatte.

Dann fandest du dein Geld nicht mehr. Oder dein Gebiss. Bei aller Tragik war das auch komisch. Dass eine fortschreitende Demenz daran Schuld war, ahntest du nicht. Die Schuld suchtest du bei mir, sahst oft mehr ein Ekel als eine Enkelin. Ein Teufel sei ich, ich hätte gestohlen wie das Kätzchen, welches man hätte ertränken müssen.

Ich weinte heisse Kindertränen über diese vermeintliche Ungerechtigkeit. Bald jedoch weinte ich nicht mehr um mich, sondern um dich. Und um meine Mutter, deine Schwiegertochter, die dich bis zum Schluss aufopferungsvoll zu Hause pflegte. Heute ist sie selbst Grossmutter, im Stöckli des Mehrgenerationenhaushalts mit dem einzigen Fernseher. Das für die Digital-Natives-Enkel nicht mehr so interessant.

In die Hand habe ich nie jemandem gespuckt. Nicht einmal dem Pfarrer, den du grossartigerweise dann tatsächlich mit Schimpf und Schande wegschicktest, als er dir eine letzte Hostie bringen wollte. Doch die Liebe zu gereimten Ungereimtheiten habe ich zu meinem Beruf gemacht. Esel auszählen ist mein Steckenpferd. Danke dafür, liebes Grosi.
Ich proste dir zu mit einem kühlen Most in der Hand.
Morgen ist Feiertag.

Deine Enkelin
Patti

Geschrieben für das Grosseltern-Magazin.ch, eingespielt für die Aargauer Zeitung mit Philippe Kuhn.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Eltern und Lehrpersonen

Ich schreibe für einmal nicht als Komikerin, sondern als Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Lehrperson: Die Kinder brauchen von euch jetzt Geborgenheit, Liebe, Zuversicht, Strukturen und Lesen, Schreiben, Rechnen.

Ich schreibe für einmal nicht als Komikerin, sondern als Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Lehrperson: Die Kinder brauchen von euch jetzt Geborgenheit, Liebe, Zuversicht, Strukturen und Lesen, Schreiben, Rechnen.
Alles andere ist Luxus. Klar habt ihr die Absicht oder den Auftrag, euren Kindern im Sommer einen reibungslosen Übertritt zu ermöglichen. Der Tag wird kommen, an dem das wichtig wird. Aber er ist nicht heute.

Ihr wollt, dass sie über Wikinger oder die Weltwirtschaft, über Staatskunde, die Zusammensetzung der Luft, Schwerkraft oder Scherenschnitt-Techniken Bescheid wissen. Der Tag wird kommen, an dem das wichtig wird. Aber er ist nicht heute.
Ihr versteht das komplizierte E-Learnig-Tool nicht, ihr schafft es nicht Home-Office und Home-Schooling unter einen Hut zu bringen, das Abfilmen des Instrumentalunterrichts erweis sich als zu kompliziert? Das ist alles nicht so tragisch. Bleibt ruhig. Nehmt’s mit Humor. Oder mit einem Gin Tonic.

Eure Kinder, eure Schulklassen werden nicht zu Bildungs-Versagern, weil sie einige Wochen keinen Unterricht hatten.

Statt die Nerven zu verlieren, weil das Aufschalten der Prüfung nicht gelingt, kann man das Aufschalten der Prüfung auch mal sein lassen. Der Tag der wichtigen Prüfung wird kommen. Aber er ist nicht heute.

Es werden Lösungen gefunden werden, wie man die paar Monate wieder aufholen kann. Ihr könnt mit Nachsicht rechnen, wenn ihr nicht alles geschafft habt.

Darum könnt ihr getrost auch nachsichtig sein. Mit Lehrpersonen und Schulleitungen, mit Eltern und Kindern. Und vor allem mit euch selbst. Lernziele und Schulstoff sind im Leben eines Kindes wichtig und der Tag, an dem sie die Kompetenzen beherrschen sollten, wird kommen. Aber er ist nicht heute.
Es ist gut, wenn ihr euch und die Kinder sinnvoll beschäftigen könnt in diesen schwierigen Zeiten. Aber das muss nicht eine zielgerichtete und prüfbare Beschäftigung sein. Die Lernziele sind heute nicht wichtig.

Wichtig ist heute die Gesundheit. Die Gesundheit aller. Auch die psychische. Wenn es irgendwie geht, sollte das eigene Zuhause für die Kinder ein Hort der Zuversicht und Gelassenheit sein. Alles wird gut. Auch wenn die Bedingungen anders sind. Zuversicht und Geborgenheit werden auch vermittelt durch Strukturen.
– Gemeinsam kochen, essen, aufräumen, putzen.
– Gemeinsam 1h – 3h Home-Office, wenn’s geht, mit den Aufgaben der Schule. Wenn’s möglich ist, mit Online-Angeboten. Aber eigentlich reicht es schon, wenn die Kinder das Lesen, Schreiben und Rechnen nicht verlernen. Alles andere ist Luxus.
Versprecht nicht zu viel, erwartet nicht zu viel.
Es ist ziemlich scheissegal, wenn mal etwas nicht klappt.

Begegnet einander mit Gelassenheit. Mit Humor.
Und wenn’s geht: mit Liebe.

Patti Basler

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe Seniorinnen und Grossväter, liebe Omas und Pensionierte

Manche zucken mit den Schultern, man müsse ja an etwas sterben im Alter. Als über 65-Jährige. Als so genannte Hochrisikogruppe. Und das stimmt natürlich.

Manche zucken mit den Schultern, man müsse ja an etwas sterben im Alter. Als über 65-Jährige. Als so genannte Hochrisikogruppe. Und das stimmt natürlich.

Auch wenn es sicher kein Zufall ist, dass das Hochrisiko ganz genau dort anfängt, wo das Erwerbsleben aufhört. Für die Wirtschaft spielt es keine Rolle, wenn die Pensionierten einige Monate zu Hause isoliert bleiben, denkt man. Auf den Schultern der Krankenpfleger und Ärztinnen lastet jetzt die ganze Arbeit. Sie sind systemrelevant. Wir brauchen sie. Verkäuferinnen, Chauffeure und den Bundesrat auch. Wir brauchen sie. Die Alten aber, die seien nicht mehr so wichtig. Welch’ gewaltiger Irrtum. Wir brauchen euch.

Ihr habt ein Leben lang gearbeitet. Im Haus, im Büro, in der Fabrik oder draussen. Ihr fühlt euch vielleicht noch topfit und möchtet gerne helfen. Oder ihr seid ohnehin allein und die Isolation macht aus dem Alleinsein Einsamkeit. Macht aus Vorsicht Panik. Aufs Abstellgleis wolle man euch schieben. Isolieren. Einsperren. Da steht ihr mit hängenden Schultern und Corona-Angst im Nacken. Und wenn ihr doch rausgeht, einkaufen, spazieren, was man eben so macht, grad wenn man niemanden hat, dann weist man euch zurecht wie kleine Kinder. Renitente Rentner! Todessehnsüchtige Senioren, welche nun aussuchen können zwischen Exit, Dignitas oder Wandergruppe. Den Rucksack geschultert ins Verderben.

Denn ja, wir machen uns Sorgen. Nicht nur um die systemrelevanten Spitäler, sondern tatsächlich auch um euch. Wir brauchen euch.
Wie viele Eltern sind komplett überfordert mit Home-Schooling und Home-Office und merken gerade jetzt, warum Lehrkräfte 12 Wochen Ferien brauchen. Sie merken, dass man Geduld nicht im Online-Shop bestellen kann. Geduld, welche die meisten Grosseltern haben. Sie merken, wie wichtig die Grosseltern sind, welche nun die Kinder nicht mehr hüten dürfen. All’ die unbezahlten und ungezählten Stunden, die Kinder in der Obhut ihrer Grosis und Nonnos verbringen, fehlen jetzt. Und treiben die Eltern der kleinen Rita-Lina und oder die von Justin-Timeus an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Oder in die Arme des Alkoholismus (Selbst Queen Elisabeth hatte die Nase voll vom Home-Schooling. Aber ihr Sohn hat das Virus vor ihr erwischt. Wahrscheinlich die einzige Corona, die er je kriegen wird). Die liebevollste Bezeichnung, welche sich die jungen Leute geben, ist «Hey, Alte!». Alter Wein und alte Pfannen haben ihren Reiz.

Eure Enkel brauchen euch. Eure Kinder brauchen euch.

Als Baumschneider und Gärtnerin, als Bäcker und Köchin, als Pfleger und Steuerberaterin, als Trost und Stütze. Als Schultern zum Anlehnen und Ausweinen. Wer denkt, Berset hätte statt als Pandemie-Bezwinger auch als derjenige Bundesrat in die Geschichte eingehen können, der das AHV-Problem löst, irrt sich. Corona ist kein Boomer-Doomer, ist nicht die der Rost für das Alte Eisen. Da ist kein Rost, denn die älteste Liebe rostet nicht, die zu Eltern und Grosseltern, zu Tanten und Onkeln. Arterien können verkalken, Hüftgelenke sich abnutzen, aber die Liebe hält.
Die meisten von euch sind ohnehin nicht gefährdet. Zum Glück. Denn ihr seid noch immer Chefinnen oder Patrons, ihr seid als Produzenten oder Konsumenten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, ihr seid unersetzliche Arbeitskräfte in Familienbetrieben. Und nicht zuletzt seid ihr die allerwichtigste Gruppe der Pflegenden. Wie viele Senioren werden zuhause von ihren Partnerinnen oder Partnern, von ihren Geschwistern oder ebenfalls schon pensionierten Kindern gepflegt?

Wir brauchen euch, damit das Gesundheitssystem nicht ganz zusammenbricht.
Wir brauchen eure Gelassenheit und Weisheit, eure Altersmilde, eure Geduld und vielleicht sogar eure Sturheit. Ihr habt eine Welt aufgebaut, in der nicht alles perfekt ist, wir werden vieles ändern müssen, aber momentan brauchen wir euch noch.
Selbst wenn ihr keine Kinder oder Partner habt, seid ihr wichtig. Gerade jetzt. Viele Menschen brauchen jemanden zum Reden, für sie könnt ihr da sein. Am Telefon. Im Internet. Wir brauchen eure Fantasie und eure Lebenserfahrung. Und sogar eure Altherren-Witze, über die wir uns dann aufregen können. Gschähch nüt Schlimmers! Hey, Alte!

Helft uns, indem ihr euch nicht gefährdet, indem ihr Abstand haltet und ein paar Wochen möglichst zu Hause bleibt. Lasst euch helfen, damit ihr später uns wieder helfen könnt. Und das Schöne daran: Mit 70 kann man sich viel mehr Rock’n’Roll zu Hause erlauben als mit 35. Wenn ihr Bilder von euch in Unterwäsche ins Internet stellt, wenn ihr Filme von euch im Drogenrausch ins Netz ladet, dann verliert ihr nicht euren Job. Im Gegenteil: Ihr werdet zu Internet-Stars. Eure Beiträge gehen viraler als Corona. Versucht’s doch mal. Die Welt hat langsam genug von arbeitslosen Kabarettistinnen und Comedians, die das Netz mit pseudo-lustigen Videos oder pathetischen Briefen an die Menschheit fluten. Beiträge von euch in fragwürdigen Posen oder Stützstrumpfhosen wären mindestens so relevant.
Oder bleibt einfach bei eurem Kerngeschäft: Da sein. Für euch selbst und für die Jüngeren.
Denn ihr seid die Giganten, auf deren Schultern wir nun stehen. Wenn ihr nicht mitmacht und nur mit den Schultern zuckt, kommt das ganze System ins Wanken.

Wir wollen euch nicht an Corona verlieren, uns reichen eure ungekrönten Häupter. Eure starken Schultern. Und eure liebenden Herzen.
Wir brauchen euch.
Ihr seid systemrelevant.

Es grüsst die verhältnismässig irrelevante
Patti Basler (die hofft, einmal so alt zu werden, dass sie zu einer Hochrisikogruppe gehört.)

Menschenleben oder Wirtschaft retten?
Welche Wirtschaft? Die mit der unsichtbaren Hand, welche dann schon alles regelt? Abgekanzelt, meine Kolumne für das RefLab.

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«Briefe aus dem Lockdown»

Liebe unsichtbare Hand des Marktes

Es hiess einmal, du würdest alles regeln. Die unsichtbare Hand des freien Marktes!

Es hiess einmal, du würdest alles regeln. Die unsichtbare Hand des freien Marktes! Sie habe alles im Griff! Die Preise, die Produktionsmenge!
Wenn es genügend Nachfrage gäbe, steige das Angebot von selbt!
Und nun schaffst du nicht einmal das mit dem WC-Rollen!

WC-Papier ist der Lakmus-Test der Corona-Krise. Der Lack muss weg. Und der Mist auch.
WC-Papier.
Der grosse Rollen-Konflikt der Quarantäne.
Dabei sind gerade in solch geschlossenen Räumen die Rollenkonflikte vorprogrammiert. Ist man nun Ehemann oder eher Mann, der von zu Hause arbeitet? Ist man nun Home-Officer oder Home-Schoolerin für die eigene Kinder? Und einigen ist schon beinahe mal die Hand ausgerutscht.
Viele Eltern merken gerade jetzt, warum Lehrpersonen 12 Wochen Ferien brauchen.
Viele Eltern finden gerade heraus, dass ihre kleine Rita-Lina gar nicht hochbegabt ist.
Viele Eltern verstehen plötzlich, weshalb Lehrpersonen ein Studium gemacht haben.

Soll man die schützende Hand über die Familie halten, alles im Griff haben oder darf man sich auch mal gehen lassen und die Kontrolle über sich und die Trainingshose verlieren?
Kann man noch an sich selbst Hand anlegen, wenn Kinder und Partner im Nebenraum sind? Darf man während der Arbeit Händchen halten mit seinen Liebsten? Wo ist die unsichtbare Hand des Marktes, die das regelt?
Und was ist mit all den Bühnen-Kulturschaffenden, die plötzlich ohne Einkommen dastehen?
Die müssen nicht abgekanzelt werden.
Die werden gecancelt.
Viele von ihnen haben schon vorher von der Hand in den Mund gelebt.
Nun ist sogar das verboten.

Fass dir nicht ins Gesicht, ist das Gebot der Stunde.
Obwohl man sich dauernd die Hände vors Gesicht schlagen möchte. Oder sich wenigstens mal bekreuzigen.

Da ist der Bischof, der erklärt, dass Hostien virenfrei seien. Von Priesterhand in den Katholikenmund, panem sin Pandemia, Oblaten ohne obligaten Abstand. Die Corona der Schöpfung trotzt der Corona-Erschöpfung. Amen.

Zum Glück sind die meisten Geistlichen vernünftig und halten sich an die sehr klaren säkularen Regeln.
Der Priester, der die Absolution in einem Drive-Through erteilt:
Die Sünder sitzen im Auto, zwei Meter entfernt und beten drei Ave Maria.
Fast-Food für die Seele. Ablass mit Abgas. Und alle waschen sich die Hände in Unschuld.

Du unsichtbare Hand, du hast es nicht geschafft mit deinem CO2-Ablasshandel die Klimakrise zu stoppen. Da musste schon ein Corona-Virus antreten gegen die CO2-Schleudern.
Abgekanzelt durch ein Virus. Gecancelt durch Corona.

«Coron-Air …
a Story about Grounding
by Tent in Quarantino».

Die letzte Schlacht der Menschheit wird mit Impfstoffen geschlagen werden. Pharma-Geddon.

Und jetzt fliegen die weissgewandeten Superheldinnen Tag und Nacht für uns. Diejenigen, die wirklich systemrelevant sind, die wichtigsten helfenden Hände, die Hände, die keinen am Wegrand liegen lassen. Die auch am Geringsten unter uns das tun, was sie am Grössten tun: Leben erhalten. Leben retten.

Deren Hände bräuchten für die unsichtbare Gefahr Desinfektionsmittel und Handschuhe aber du, unsichtbare Hand, schaffst es nicht, die Nachfrage zu decken.

Für die Pflegerinnen und Lebensmittelverkäufer,
für Chauffeure und Bäuerinnen,
die Spitex-Mitarbeiter und Betreuerinnen,
für Sicherheits- und Medizinalpersonal,
Müllentsorgung und Reinigung
für die, die ihr Leben risikieren,
täglich für die anderen, die ihre Hände waschen müssen,
bis die Haut durchgescheuert ist,
wo ist da die unsichtbare Hand,
die diese Berufe anständig entlöhnt?

Nur du, unsichtbare Hand, nur du wirst überhaupt nicht gewaschen.
Vielmehr geschmiert.
Aber vielleicht sind auch deine Tage gezählt.
Und wenn das nächste Mal nach dir gerufen wird,
Sagen wir: Sorry,du bist abgekanzelt. Gecancelt.
Und dann zeigen wir der unsichtbaren Hand den sehr sichtbaren Finger.
Oder wenigstens ein Friedenszeichen.
Peace

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